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Ihr war, als hätte sie nur einige Minuten im Dunkeln gelegen, als der Vater klopfte und sie rief:
„Gertraud, du bist spät dran! Komm, sonst gibt's kein Frühstück bevor ihr fahrt!"
Paul saß schon am Tisch und aß, als sie mit schwerem Kopf in der Küche erschien.

Sie beeilte sich mit dem Essen und kurze Zeit später saßen die Geschwister bereits auf dem Wagen und rumpelten vom Hof in die beginnende Dämmerung davon. Gertraud war froh, dass auch Paul zu dieser Stunde noch nicht sonderlich gesprächig war, sondern gähnend die Zügel hielt.

Wären nicht die Schmerzen in ihrem Handgelenk gewesen, sie hätte die Ereignisse der letzten Nacht für einen bösen Traum gehalten. Schweigend und mit brennenden Augen saß sie neben ihrem Bruder und fühlte sich einsam und unsagbar elend.
Sie wusste, dass sie nicht gänzlich unschuldig war an Klemens' Ausbruch gestern Abend. Zu lange hatte sie ihn hingehalten, genau wissend, welche Hoffnungen er sich machte. Zu bequem war es gewesen, auf diese Weise von allen anderen Verehrern verschont zu bleiben. Immer wieder hatte sie ein klärendes Wort hinausgezögert, wollte ihm nicht wehtun und hatte sich und ihm nun doch mehr wehgetan, als es die Wahrheit je gekonnt hätte.

Warum fiel es ihr nur so schwer sich für einen der Männer zu entscheiden und den Weg einzuschlagen, der ihr doch vorgezeichnet war? Die Wahlfreiheit, die ihr der Vater zugestanden hatte und um die sie von so manchem Mädchen im Dorf beneidet wurde, erschien ihr jetzt wie ein böser Fluch.
Auf was hatte sie all die Jahre bloß gewartet, während alle ihre Freundinnen nach und nach heirateten und Kinder bekamen? Vielleicht würde sie sich mit Klemens aussöhnen können. Warum nicht als seine Frau nach Süderbrook gehen? Und während am Horizont ein erster schwacher Lichtschein die aufgehende Sonne ankündigte, schwor sie sich, sich in diesem Jahr noch für einen der Freier zu entscheiden.


Hustend reichte Wichard den schweren Branntweinkrug an den neben ihm Sitzenden weiter:
„Das Zeug bringt einen um! Verdammt!"
Die Männer lachten.

Flackernde Flammen erleuchteten verschwitzte Gesichter und dreckverkrustete Gestalten, die behäbig rund um ein großes Feuer lagerten.
Fieberglanz in den Augen, nahm Benno den scharfen Schnaps entgegen. Betroffenes Schweigen entstand in der Runde, als sie sein klägliches Bemühen sahen, den Krug mit der linken Hand allein zum Mund zu führen. Bennos rechter Arm war in blutgetränkte Lappen gehüllt. Ein verzweifelter Bauer hatte ihm mit einem Axthieb den Ellenbogen zerschmettert, um einem der Kämpfenden beizustehen, was beide mit ihrem Leben bezahlt hatten. Benno kämpfte tapfer gegen die Schmerzen in seinem brandigen Fleisch, aber sie wussten alle, dass er nicht lebend nach Hause kommen würde, wenn nicht ein Wunder geschah. Schweigend nahm Wichard ihm den Krug wieder aus der Hand und goss einen Becher voll. Benno wollte protestieren, aber das Fieber hatte seine Kräfte aufgezehrt. Wortlos nahm er den Becher.

Neben Benno, der sich gerade noch auf den Beinen halten konnte, waren noch zwölf Mann schwer verletzt worden, die etwas abseits in einer baufälligen alten Scheune notdürftig versorgt wurden. Die fünfundzwanzig Toten, die die Gefechte bis hierher gekostet hatten, wurden in Decken gewickelt und auf ihren Pferden mitgeführt, damit man ihnen zu Hause ein christliches Begräbnis zukommen lassen konnte.
Ihr Ritter ließ, wenn es irgend möglich war, niemanden in feindlicher Erde zurück. Einige Leichtverletzte, die im Kampf nichts mehr ausrichten konnten, hatte man bereits vor Tagen auf den Heimweg geschickt, denn die Kämpfe waren so gut wie beendet. Niemand rechnete mehr mit großer Gegenwehr. Wohin sie kamen, flohen die Menschen in Angst.

Morgen sollte noch das Dorf, in das sich laut der Späher einige der Anführer der Gesetzlosen geflüchtet hatten, eingenommen werden und dann würde der Markgraf das Heer zurückführen. Am Nachmittag hatten sie die Siedlung bereits erreicht und einen Belagerungsring gezogen. Diese Nacht brannten ringsherum große Feuer und Wachen wurden aufgestellt, damit sich keiner der Flüchtigen davonstehlen konnte. Das Warten auf den morgigen Tag und das unvermeidliche Ende würde die Gegner noch zusätzlich zermürben. Das Heer selber würde ausgeruht und den baldigen Rückzug vor Augen, dem letzten Kampf entgegenfiebern.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt