Sie hatten byzantinisches Gebiet erreicht.
Es war im Vorfeld mit dem Kaiserhaus am Bosporus vereinbart worden, dass sie sich ab hier in drei große Truppenverbände aufteilen und auf getrennten Wegen passieren würden, um die Ressourcen des Landes zu schonen und mit der riesigen Menschenmenge nicht eine Spur der Verwüstung durch Felder und Dörfer zu ziehen.
Dafür würden sie danach aus Konstantinopel Unterstützung für den Weitermarsch erhalten. Vorräte, ortskundige Führer und wichtige Auskünfte über die derzeitige Sicherheitslage im Heiligen Land und auf dem Weg dahin. Höchst willkommene und vielleicht Schlacht entscheidende Hilfe.
Die Kreuzfahrer setzten also alles daran, Kaiser Manuel entgegen zu kommen.
Hardrich, Kuno de Kempervennen und zwei von dessen engeren Freunden hatten sich bereits untereinander darauf verständigt, mit ihren Heeren zusammen einen Verband zu bilden und die südliche Route zu nehmen. Die vier Herren waren des öfteren zusammen auf der Jagd gewesen und verstanden sich recht gut. Hardrich konnte es kaum erwarten, der leidigen Oberaufsicht durch den designierten Heerführer bis zur Kaiserstadt zu entgehen, wo sie dann alle wieder zusammentreffen würden.
Doch Gotthilf von Trebur machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Er bestimmte, dass de Kempervennen mit drei Herzögen seiner Wahl die mittlere Route nahm. Die beiden anderen, mit denen sie sich hatten zusammentun wollen, wurden mit zwei weiteren Heeren auf die nördliche Wegstrecke geschickt. Von Trebur selber würde mit Hardrich und zwei seiner eigenen Freunde auf der südlichen Route vorrücken. Offensichtlich wollte er seinen jungen Kontrahenten lieber im Auge behalten und Hardrich schäumte vor Ärger, als er davon erfuhr.
Noch immer hatte er nicht offen mit ihm über die leidige Angelegenheit der Gerüchte um den Oberbefehl gesprochen. Und er glaubte auch nicht, dass er sich je würde dazu durchringen können.
Zähneknirschend verabschiedete er sich von Kuno, Raimund und Carolus, die auch alles andere als erfreut waren.Seit acht Tagen waren sie seitdem unterwegs und Hardrichs Laune war in dieser Zeit ins Bodenlose gesunken.
Von Trebur bestand auf gemeinsame Mahlzeiten und suchte auch während des Ritts immer wieder seine Nähe. Hardrich kam es vor, als wolle sein Vorgesetzter ihn mit aller Gewalt zur Weißglut bringen.
Der beleibte, mittelgroße Mann mit dem schütteren, grauen Haar hatte eine Stimme, die für das Theater gemacht schien. Sonor und durchdringend. Sein breites, glattrasiertes Gesicht war meist leicht gerötet und nicht selten stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Das stundenlange Reiten und beständige Unterwegssein verlangten ihm mehr ab, als den Jüngeren unter ihnen. Trotzdem schätzte er einen großen Auftritt und hörte sich ganz offensichtlich selber gerne reden.
Es lief immer ähnlich ab.
Von Trebur begann ein Gespräch, Hardrich antwortete einsilbig, verstummte schließlich ganz und der Herzog verfiel in endlosen Monolog, bis der Ritter fast zersprang vor Überdruss und unter irgendeinem an den Haaren herbeigezogenen Vorwand das Weite suchte.
Bislang war es ihm zumindest gelungen, nicht rundheraus unflätig zu werden, aber Jost, der seinen Herrn zunehmend unter Spannung stehen sah, fragte sich, wie lange das noch gut gehen konnte.
Sie kamen jetzt langsamer voran. Das Gebirge war von Schluchten und Bächen durchzogen, wild und wunderschön. Es gab Karstlandschaften mit geheimnisvollen Höhlen und lichte Wälder, in deren Einsamkeit Hardrich sich so manches Mal nur allzu gerne geflüchtet hätte. Statt dessen musste er neben Herzog von Trebur herreiten, der, wie es ihm vorkam, Stunde um Stunde bloße Belanglosigkeiten daherredete.
Zudem bockte Hardrichs Wallach unentwegt. Zum einen, weil ihn die ungewohnte Anspannung seines Reiters verwirrte und zum anderen, weil von Treburs Pferd und sein Hund ständig dicht neben oder vor ihm gingen. Hardrich kannte sein Tier und wusste, wie sehr sein Brauner das verabscheute, aber er konnte seinen Vorgesetzten schwerlich auffordern, gefälligst woanders zu reiten.
Mit abschätzig erhobenen Brauen sah von Trebur Hardrich ein ums andere Mal angestrengt mit der Führung des Tieres ringen und der Ritter dachte voll mühsam unterdrückten Zornes, dass er den Mann auf der Stelle erschlagen würde, wenn der jetzt auch noch begänne, ihm gute Ratschläge zum Reiten zu erteilen. Ihm lagen die Nerven blank.
Soeben hatte er eine detailreiche Schilderung der großen Kirche in Konstantinopel über sich ergehen lassen müssen und griff sich mit einem leisen Stöhnen an die Brust, um nach Gertrauds Anhänger unter seinem Lederwams zu fühlen. Er zwang sich, an seine Frau zu denken. Nur noch wenige Wochen und sie würde seinen Sohn auf die Welt bringen.
Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie von Trebur ihn beobachtete und Hardrich flehte im Stillen, er möge sich endlich zu seinen Leuten zurückbegeben und ihn zu den seinen zurückkehren lassen.
Doch zu seinem Erstaunen seufzte nun auch Gotthilf plötzlich tief und mit einer unverhohlenen Spur von Resignation und fragte:
„Würdet Ihr es mir einmal zeigen?"
„Was?", fragte Hardrich kurz angebunden zurück und musste wohl ziemlich verständnislos drein geschaut haben, denn der Herzog lachte auf.
„Na, das Kleinod, das Ihr da um den Hals tragt", erklärte er dann, „Immerzu sehe ich Euch danach fassen, aber auf das Stück selber habe ich noch nie einen Blick werfen dürfen."
Hardrich errötete. Verstimmt musste er sich eingestehen, dass er von Trebur unterschätzt hatte. Er hatte ihn für einen bloßen Schwätzer gehalten, aber der Mann war doch aufmerksamer, als er ihm zugetraut hatte.Umständlich zog der Ritter die Kette aus seinem Wams und reichte sie wortlos hinüber.
Der Herzog nahm den Anhänger an sich und betrachtete ihn.
„Eine sehr schöne Arbeit. Wirklich", sagte er und nickte bedächtig, „Christophorus... Wisst Ihr, dass ich mich wegen eine Reliquie des Heiligen Christophorus fast mit Eurem Vater in die Haare bekommen habe?"
Überrascht sah Hardrich auf und schüttelte den Kopf.
„Nein. Das ist mir nicht bekannt", brummte er.
„Ach, das liegt auch Jahre zurück. Wir waren beide gerade frisch vermählt, Euer Vater und ich, und es war anlässlich eines Turniers zum Thronjubiläum. Noch unter dem alten König. Als Preis zu diesem besonderen Anlass hatte der diesen Knochen des Heiligen ausgesetzt. War es ein Schulterblatt? Ich glaube wohl... Jedenfalls wollten wir beide das kostbare Stück unbedingt gewinnen. Zumal wir auch beide vor unseren jungen Frauen gut dastehen wollten."
Er lachte und erzählte weiter:
„Wir haben gefochten wie die Berserker. Und sind beide in der vierten Runde ausgeschieden. Gewonnen hat am Ende ein Vetter meiner Frau. Und der hat mir das Kästchen dann verkauft. Das hat Euer Vater mir nie verziehen, glaube ich."
Hardrich musste fast schmunzeln und blickte seinem Gegenüber das erste Mal seit Tagen, wie es ihm schien, wirklich in die Augen und sah ihn lächeln. Wie oft hatte er im Stillen gewünscht, der Mann möge endlich schweigen und ihn in Ruhe lassen. Doch jetzt hätte er ihn gerne noch weiter von seinen Vater erzählen hören.
Der Mann reichte ihm mit einer angedeuteten Verbeugung das Schmuckstück zurück und fügte hinzu:
„Das Bildnis Eurer Dame ist auch wahrlich gut getroffen. Ich nehme an, sie hat Euch dies zum Geschenk gemacht?"
Hardrich nickte und hängte sich die Kette wieder um.
Dabei hörte er von Trebur nachdenklich sagen:
„Ich habe sie bei Hofe neben Euch gesehen. Wahrlich eine Schönheit. Und wie ich erfuhr, steht sie auch bei Königin Isabella in der Gunst?"
So nahe waren sie der Angelegenheit seit ihrem ersten Zusammentreffen in Regensburg nicht gekommen und Hardrich war klar, dass dies die wohl beste Gelegenheit war, endlich Gertrauds Rat zu befolgen und seine Karten vor Gotthilf offen zu legen. Vielleicht würde sich eine solche Möglichkeit nie wieder bieten.
Er betrachtete noch einmal das in Stein geschnittene Abbild von Gertraud und hörte im Geiste ihre Worte. Rede mit ihm.
Er räusperte sich und holte tief Luft. Jetzt oder nie. Doch als er sich umwandte und den Mann ansprach, hatte der im selben Moment auch mit ihm zu reden begonnen.
Beide sprachen den anderen gleichzeitig an mit:
„Herr von..."
Überrascht hielten beide wieder inne, bevor von Trebur laut lachte und der Markgraf verlegen verstummte.
„Nach Euch", knurrte Hardrich endlich und forderte seinen Vorgesetzten mit einer knappen Geste auf, sich als erster zu äußern.
Doch da schüttelte der Mann vehement den Kopf und sagte heftig:
„Oh nein, mein Lieber! Seit Wochen versuche ich nun, endlich mit Euch ins Gespräch zu kommen und jetzt, wo Ihr tatsächlich einmal das Wort an mich richtet, werdet Ihr auch sprechen!"
„Ihr habt...? Was?", entfuhr es Hardrich verdutzt und sein Gegenüber warf ihm einen erbosten Blick zu.
„Herrgott nochmal! Was dachtet Ihr denn, tue ich hier?", fuhr er ihn an.
„Ich dachte, Ihr wolltet mich in den Wahnsinn treiben", brummte der Ritter und war entschieden, ehrlich zu sein.
Gotthilf verdrehte die Augen und grollte:
„Genau das dachte ich von Euch! Also? Was wolltet Ihr sagen?"
Betreten blickte der Markgraf zu Boden und sprach dann das, was er sich in den letzten Wochen immer wieder zurechtgelegt hatte, endlich laut aus:
„Meine Frau wurde am Tag vor unserer Abreise vom Osterturnier von einer der Hofdamen über ein Anliegen der Königin in Kenntnis gesetzt. Ich weiß, dass die Gerüchte darüber überall kursieren und sicher habt auch Ihr davon gehört."
Fragend blickte er zu von Trebur hinüber. Der nickte bedächtig, schwieg aber dazu.
Hardrich ächzte und sprach langsam weiter:
„Ich habe also persönlich Weisung von meinem König, Eurem Befehl zu folgen. Und über meine Dame weiß ich vom Wunsch meiner Königin, Euch nicht zu folgen. Und glaubt mir, ich habe nicht darum gebeten! Wahrlich nicht!"
Er fuhr sich missmutig mit der Hand über seine Lederkappe und Gotthilf wartete mit ernster Miene darauf, dass er sich weiter erklärte.
„Ich habe einen Eid geleistet, dem Königshaus zu dienen und ich fühle mich beiden Hoheiten verpflichtet. Aber mir liegt nichts am Oberbefehl per se. Was ich will, ist, meine Lehnspflicht so rasch wie möglich zu erfüllen. Ich möchte die heiligen Stätten befreien, sie mit eigenen Augen sehen und in der Grabeskirche ein Gebet sprechen. Und dann will ich mich mit meinen Leuten wieder auf dem Weg nach Hause machen."
Gotthilf von Trebur runzelte die Stirn und erwiderte kühl:
„Euch zu wissen, Herr von Aven: Mir liegt sehr viel am Oberbefehl per se! Der König hat mir diese Aufgabe anvertraut und es hat mich tief getroffen, von der Einmischung seitens der Königin zu erfahren. Warum bloß das Ganze? Da gibt es nichts, was ich mir vorzuwerfen habe! Nichts, was diese Demütigung meiner Person rechtfertigt!"
Und dann brachte von Trebur erhobenen Hauptes all die Taten und Aufgaben vor, die er bereits als Landesherr und im Auftrag des Königs mit Erfolg vollbracht hatte.
Nichts davon war jüngeren Datums. Das letzte war ein Zollabkommen mit dem Königreich Ungarn, das seine Handschrift trug. Und auch dies lag bereits fünf Jahre zurück.
Je länger er sprach, umso klarer wurde Hardrich, dass Isabellas Intervention einen triftigen Grund hatte. Der Mann neben ihm war ein kluger Kopf, rhetorisch versiert und auf dem politischen Parkett erfahren und mit allen Wassern gewaschen.
Natürlich war das von Nutzen. Denn wenn Hardrich sich vorstellte, er selber müsse mit dem byzantinischen Kaiser an einem Tisch sitzen und über ihre Unterstützung verhandeln, schauderte ihn. Das war seine Sache nicht.
Gotthilf von Trebur auf der anderen Seite war kein militärischer Stratege, kein Krieger und erst recht kein Anführer, der mit dem Schwert in der Hand seinen Soldaten vorausritt.
Sie würden einander brauchen.
Er erinnerte sich gut daran, was Gertraud ihm geraten hatte und ächzte innerlich. Zusammenarbeit.
Allein das Wort klang nach zäher Mühseligkeit, nach aufreibender Geduldsprobe und nach Zeitverschwendung. Besonders, wenn er an von Treburs Hang zu weitschweifiger Rede dachte. Hardrich fiel der Umgang mit Höherrangigen schwer. Er war es gewohnt, dass man ihm folgte und ohne Widerwort gehorchte. Er hatte nie um etwas gebeten oder etwas durch Verhandlung, Überzeugung oder Schmeicheleien gewonnen. Amtsgewalt und schlicht und einfach körperliche Gewalt und Überlegenheit waren seine Mittel gewesen, seit er denken konnte. Das würde ihm hier nichts nützen.
Er konnte den Herzog zu nichts zwingen. Der Mann war gebildet, intelligent, ein wenig eitel und auf seinen Status bedacht. Und er war ihm vom König vorgesetzt. Der Markgraf hatte sich und Gertraud geschworen, alles daran setzen, diesen Kreuzzug rasch und siegreich zu beschließen. Auch wenn er tief in seinem Innern nicht wirklich überzeugt war, es unversehrt nach Hause zu schaffen. Er würde sein Bestes tun. Und wenn das bedeutete, tagtäglich mit Gotthilf zu tun zu haben, zu feilschen und Dinge zu erörtern, würde er das eben tun.
Auch wenn ihm davor graute.Keiner von beiden, würde es alleine schaffen. Und er vermutete, dass dies auch das war, was Isabella im Sinn gehabt hatte. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass Hardrich Gotthilf nicht einfach aus dem Weg räumen würde, wie vielleicht ein Mann mit niederer Moral und weniger Skrupel.
In Gotthilfs nächster Atempause hob der Ritter die Hand. Sein Gegenüber verstummte überrascht und sah ihn fragend und immer noch verstimmt an.
„Herr von Trebur, ich anerkenne Eure Verdienste. Ihr seid ein... fähiger Diplomat und ich kann Euch darin nicht das Wasser reichen. Das weiß ich", brummte Hardrich mühsam.
Der alte Herzog sah den gestandenen Mann neben sich mit diesem Lob ringen und es amüsierte ihn sichtlich. Hardrich, dem das nicht entging, war drauf und dran, seinem Befehlshaber an die Gurgel zu gehen.
„Mach es mir nicht noch schwerer, Mann! Ich warne Dich!", dachte er zähneknirschend und bereute bereits halbwegs, den Stein überhaupt ins Rollen gebracht zu haben.
Aber jetzt gab es kein Zurück mehr.Er richtete sich im Sattel zu voller Größe auf und blickte mit finsterer Entschlossenheit auf sein Gegenüber herab. Und der Eindruck des um Worte verlegenen, störrischen Jungspunds verflog auf der Stelle. Gotthilf von Trebur sah sich mit einem Mal einem wehrhaften Krieger gegenüber, einem Kämpen wie er in den Liedern besungen wurde. Unbeugsam, kraftvoll und furchtlos.
Und der sagte:
„Meine Stärke ist das Kriegshandwerk. Lasst mich die Entscheidungen im Felde treffen. Und ich werde Euch den Titel und den Ruhm des Feldherrn nicht streitig zu machen. Darauf mein Wort."
„Und Ihr glaubt tatsächlich, Ihr könntet mir irgendetwas streitig machen?", fragte der andere aufgebracht zurück.
Hardrich ärgerte sich über diese trotzige Rückfrage, denn er war der Meinung gewesen, von Trebur wirklich entgegen gekommen zu sein, als er ihm seinen Dienste anbot. Auf keinen Fall würde er vor ihm kriechen und jetzt einen unterwürfigen Ton anschlagen.
Er wies auf die Marschierenden und Wagen hinter ihnen und antwortete grimmig:
„Die Männer dort kennen mich. Sie wissen, dass ich sie nicht in einen unüberlegten Angriff schicke. Solltet Ihr sie durch einen unklugen Befehl in Gefahr bringen, müsste ich Euch die Gefolgschaft verweigern und es würden sich mir all diejenigen anschließen, die meiner Erfahrung im Felde mehr trauen, als der Euren. Und das sind viele. Um also Eure Frage zu beantworten, Herr von Trebur: Ja, ich könnte Euch den Oberbefehl streitig machen. Aber ich will es gar nicht. Ich kann dies hier nicht alleine stemmen. Und Ihr könnt es auch nicht."
Mit versteinerter Miene lauschte der Herzog seinen Worten. Die Offenheit, mit der sein Gegenüber gesprochen hatte, kam unerwartet. Doch er hatte den Eindruck, dass von Aven ehrlich war.
Der Mann taktierte nicht und seine Rede entsprach dem, was er selber im Vorfeld über den Herrn der Ostmark in Erfahrung gebracht hatte.
„Ihr wollt also eine Zusammenarbeit? Und wie stellt Ihr Euch das vor?", fragte er schließlich.
Hardrich räusperte sich und erwiderte:
„Lasst mich die Zahlen sehen. Und mit den Herzögen sprechen. Welches Heer hat wie viele Männer? Wie viele davon sind erfahrene Krieger, wie viele Neulinge, welche Waffen, wie viele Pferde... Wo liegen die Stärken der einzelnen Verbände? Wo die Schwächen? Ich muss das alles wissen. Und wenn es dann zum Gefecht kommt, werde ich Euch einen Plan an die Hand geben. Den Ihr dann befehlt."
Eine ganze Weile ritten sie danach schweigend nebeneinander her.
„Habe ich eine Wahl?", fragte von Trebur endlich bitter.
„Sicher habt Ihr die. Ihr könnt es darauf ankommen lassen. Solange ihr niemanden in aussichtslose Kämpfe schickt, folge ich Euch. Ich bin Euch auch hierher gefolgt, obwohl ich lieber etwas anderes getan hätte. Aber wenn es zum Kampf kommt, hart auf hart, und Ihr das Leben meiner Männer willkürlich aufs Spiel setzt, werdet Ihr mit meinem Widerstand rechnen müssen. Und mitten im Gefecht, sollten wir nicht uneins sein."
Das war ihm brüsker herausgerutscht, als er beabsichtigt hatte und prompt brauste von Trebur auf:
„Soll das eine Drohung sein, Herr von Aven?"
Der Markgraf unterdrückte einen Fluch und hob abwiegelnd seine Rechte. Es war eindeutig nicht weit her mit seinem Verhandlungsgeschick, dachte er ärgerlich. Dies war dabei, gefährlich aus dem Ruder zu laufen.
Er versuchte, einzulenken und sagte:
„Nein... Nein! Das ist nicht meine Absicht. Glaubt mir, ich hatte wegen dieser ganzen Kabale genauso viele schlaflose Nächte wie Ihr! Ihr wollt den Oberbefehl? Bitte! Sollt Ihr haben! Aber lasst mich Euer Schwertarm sein. Lasst mich Euch und unserer Sache als Kriegsherr dienen. Und sollten meine Pläne misslingen, seid Ihr mich recht bald los. Denn ich werde selbstverständlich meine eigenen Leute persönlich in den Hauptsturm anführen."
Wieder ritten sie eine Weile wortlos.
„Und was wolltet Ihr mir vorhin eigentlich sagen?", fragte Hardrich endlich.
„Ich wollte heute noch einen letzten Vorstoß wagen, um mit Euch über die Möglichkeit einer Zusammenarbeit zu sprechen", antwortete der alte Herzog und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Hardrich schnaubte, halb belustigt und halb verärgert.
Die Männer sahen sich an und der Herzog sagte zufrieden:
„Gut. So wollen wir es zusammen angehen. Ihr erhaltet Einblick in die Listen und sollt Auskunft über alles bekommen, was Ihr benötigt. Seht Ihr den Mann im grünen Gewand dort hinten? Das ist mein militärischer Berater, Hauptmann Kastor. Zieht auch ihn zurate. Er ist ein alter Haudegen wie Ihr merken werdet und wird sicherlich das eine oder andere beisteuern können, denn er war schon im Heiligen Land."
Hardrich sah sich nach dem Mann um und nickte. Ihm fiel eine tonnenschwere Last von den Schultern.
„Ja, das werde ich", versprach er erleichtert.
Sie setzten ihren Ritt fort und der Herzog fragte wie beiläufig:
„Hat Isabella Euch eigentlich irgendetwas als Lohn in Aussicht gestellt? Dafür, dass Ihr mich abserviert?"
Achselzuckend entgegnete der Markgraf:
„Diese Hofdame sprach vom Zugang zur Ostsee für mein Haus. Aber ich habe nicht mehr, als das Wort dieser Maria Sowieso, die nicht einmal selber mit mir gesprochen hat. Nein, ich rechne nicht wirklich mit einer dinglichen Belohnung irgendeiner Art."
„Maria... Garstiges Weib", bemerkte Gotthilf trocken und Hardrich grinste.
„Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir uns in den nächsten Monaten gut verstehen und zusammen wirken würden. Wie wäre es, wenn ich Euch für ein Gelingen unserer Sache die Reliquie verspreche, die schon Euer Vater so gerne haben wollte?", fragte Gotthilf mit einem Mal.
Hardrich sah zu Boden, lächelte und sagte dann stockend:
„Die Geschichte von Christophorus hat mich schon als Kind beschäftigt. Immer wieder sehe ich mich selber darin... Deshalb hat meine Frau auch sein Bildnis gewählt auf dem Andenken, das sie mir gab."
Er schluckte und fuhr dann nachdenklich fort:
„Ich würde diese Reliquie wahrlich mit Freuden mein eigen zu nennen. Etwas, das schon mein Vater gerne gewonnen hätte. Allein..."
„Was?", fragte Gotthilf und hob verwundert die Brauen.
„Da gibt es etwas, das mir noch mehr am Herzen läge", erwiderte der Ritter ein wenig beschämt.
„Sprecht", forderte der Herzog ihn auf.
Hardrich zögerte und rang sich dann durch, verlegen zu antworten:
„Ihr seid ein Weggefährte meiner Eltern. Und ich selber kann mich leider kaum noch an sie erinnern. Wenn Ihr mir von Euren Erinnerungen an sie erzählen würdet... Das wäre mir viel wert. Kostbarer noch, als die Knochen des Heiligen."
„Das will ich sehr gerne tun", antwortete der Herzog bewegt.
Dann zog er seinen ledernen Reithandschuh aus und bot dem Ritter seine Rechte zum Handschlag. Und der junge Herr der Ostmark schlug ein.
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Die Tochter des Brauers
Historical Fiction"Ihr glaubt wirklich, Eure Küche hätte Zugang zum Baum der Erkenntnis?" "Gut pariert, Frau!", lachte er. Sie bewarf ihn mit dem Apfel, er fing ihn auf, zögerte noch einen Moment und biss hinein. Ein mittelalterlicher Roman. Um? Nun ja. Die Tochte...