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Eine Stunde später erwachten sie, immer noch Arm in Arm, als nebenan das Bad gerichtet wurde. Gertraud schlüpfte in ihr Unterkleid und Hardrich setzte sich den Helm auf.
Sie küssten sich noch einmal und er sagte:
"Ich habe noch etwas zu erledigen und hole dich dann zur Messe ab."
Sie nickte und kehrte in ihre Gemächer zurück, wo zwei Mädchen bereits Badewasser für sie erwärmten und Marianne schon auf sie wartete. Sie kam ihr entgegen gelaufen und umarmte sie.
"Ach Gertraud! Ich habe das Laken gesehen. Mein Gott, soviel Blut!", sagte sie mitleidig.
Gertraud winkte verlegen ab und sagte:
"Es ist nichts geschehen, was nicht auch geschehen wird, wenn Du einmal Deinen Joachim heiratest."
Marianne wurde rot und kicherte verlegen. Gertraud aß noch eine Kleinigkeit. Dann half die Magd ihr beim Baden und Anziehen und erzählte dabei, dass man in der Stadt und auch unter dem fremden Gesinde, das die Gäste begleitete, über nichts anderes als die Markgräfin sprach.
"Und dann hast Du noch von Dührings Kopf gerettet. Das stelle man sich vor! Dem Ritter so eine Frechheit ins Gesicht zu sagen. Mein Gott!", sagte sie kopfschüttelnd.
Sie kämmte ihr das Haar streng nach hinten und steckte es mit Ebenholzkämmen an den Seiten fest. Dann legte sie ihr noch ein dünnes Schultertuch um. In dem Moment klopfte es einmal an der Tür und Hardrich kam herein. Marianne verbeugte sich und er schickte sie mit einer Handbewegung hinaus. Gertraud erhob sich und trat zu ihm. Er sah sie zufrieden an und nickte. Zusammen gingen sie durch den verborgenen Gang in die Kirche.
Das Gotteshaus war heute zum Bersten voll. Alle Bänke, die Emporen, alle Gänge und Nischen, ja selbst noch in den offenen Türen saßen und standen die Gläubigen. In der markgräflichen Loge setzte Hardrich den Helm ab und sah stirnrunzelnd auf die Menge unter sich. Und als sie nach der Messe aus dem Seitenportal traten, erschraken sie beide.
Gertraud umklammerte seinem Arm und Hardrich griff fast unbewusst zum Schwert. Der Platz vor der Kirche war mit Menschen übersät, die sie neugierig erwarteten. Die ganze Stadt war gekommen, so schien es. Tagelöhner, Händler, Handwerker und Bauern. Doch Wichard erwartete sie bereits. Er hatte die Neugier der Leute vorausgesehen und stand, elend und übernächtigt, mit acht Mann von der Burgwache bereit, um sie zu eskortieren.
Der Ritter warf ihm einen finsteren Blick zu, schickte ihn dann aber mit einem Wink an Gertrauds freie Seite, während die Wachen mit blanken Schwertern einen Kreis um sie bildeten. So abgeschirmt gingen sie in Richtung des Turniergeländes. Zäh nur teilte sich die Menge vor ihnen. Männer, Frauen und Kinder reckten die Hälse und drängten nach vorne. Jeder wollte einen Blick auf die junge Herrin der Ostmark werfen.
Ein ohrenbetäubender Jubel brach aus. Blütenblätter wurden vor ihr auf den Weg gestreut, Hände streckten sich ihr entgegen, überall sah sie in lachende, neugierige Gesichter, Glück.- und Segenswünsche strömten von allen Seiten auf sie ein.
Gertraud war überwältigt von der Begeisterung, die ihr hier entgegenschlug, auch wenn die drängelnde Menschenmasse sie nicht wenig ängstigte.
Plötzlich erkannte sie Rudolf von Walow in der Menge. Er beugte sich zu einem Kind hinab und übergab ihm etwas. Dann blickte er Gertraud an, verneigte sich und war im nächsten Moment zwischen den Leuten verschwunden. Gertraud beobachtete, wie die Kleine zwischen den Menschen hindurch schlüpfte und mit einem großen Strauß weißer Lilien auf sie zukam.
Sie lächelte Gertraud unsicher an, knickste und sagte mit piepsiger Stimme:
„Gottes Segen für Euch, Herrin."
Dann streckte sie ihr die Blumen hin. Gertraud sah Hardrich ganz kurz fragend an, doch dieser hatte offensichtlich nicht bemerkt, von wem der Strauß geschickt worden war, denn er nickte ihr zustimmend zu.
Die Markgräfin nahm den Strauß, dankte dem Kind lächelnd und sie setzten unter Beifall und Hochrufen ihren Weg fort. Gertraud fing einen besorgten Blick von Wichard auf. Dieser hatte sehr wohl verfolgt, woher die Blumen gekommen waren. Auf ihrem ganzen Weg um die Burg herum waren sie von Schaulustigen umringt, bis endlich das Turniergelände erreicht war und das mitgelaufene Volk hinter einer weiträumigen Absperrung zurückbleiben musste.
Gertraud war erleichtert. Hardrich führte sie zu ihrem erhöhtem, einzeln stehenden Ehrenplatz auf der mittleren Tribüne. Sie setzte sich und legte rasch die Blumen beiseite. Noch waren die meisten Plätze leer, denn die Edlen befanden sie noch auf dem Rückweg von der Kirche hierher und wurden sicherlich von der Menschenmenge aufgehalten.Diener liefen mit Kuchen, feinen Süßigkeiten und Erfrischungen umher.
Hardrich griff sich ein Stück Gebäck und sagte zu Gertraud gewandt:
"Ich werde schon einmal die Rüstung anlegen. Ich bin gleich zurück."
"Und Du bleibst so lange hier bei ihr", wies er Wichard barsch an.
Dann ging er in Richtung seines Rüstzeltes davon, in dem Till mit zwei weiteren Burschen Pferd und Waffenzeug bereithielt.Der Mittag war sonnig und hier im Windschatten der Tribünen wurde Gertraud warm in ihrem dunklen, hochgeschlossenen Kleid. Sie ließ sich einen Becher mit verdünntem, kühlem Wein bringen und schob ihre langen Ärmel hoch. Wichard, der hinter ihr stand und weder aß noch trank, stöhnte auf, als er die dunklen Male an ihren Unterarmen bemerkte, dort, wo Hardrich sie gestern Nacht festgehalten hatte.
"Oh mein Gott, was hat er Euch angetan! Nie hätte ich Euch hierher bringen dürfen! Ich hätte Euch gleich den ersten Abend fort bringen sollen. Ihr hättet auf dem Gut meiner Eltern bleiben können und...", brach es aus ihm heraus.
"Seid Ihr noch ganz bei Trost?", fuhr sie ihn da bestürzt an, "Ist das Eure Art Treue und Respekt gegenüber Eurem Herrn zu zeigen? Ihr lauft mit Leidensmiene herum, zeigt Euch störrisch und übellaunig, betrinkt Euch und beleidigt ihn! Und dann hintergeht Ihr ihn auch noch, indem Ihr solche Reden hinter seinem Rücken führt! Ich habe Euch gestern Abend arg verspottet, wenn auch nur zu Eurem eigenen Besten wie ich glaube, und deshalb will ich Euch Eure ungeheuerlichen Worte nachsehen. Aber, bei Gott, Wichard, was treibt Euch zu solchem Gebaren?"
Wichard hatte die Luft angehalten und ihr völlig verblüfft zugehört.
"Nach allem, was er Euch an Leid und Schmerzen zugefügt haben mag... Ich flehe Euch an, vertraut mir! Ein Wort von Euch und ich werde Euch von hier fortbringen. Weit fort von hier, wo wir...", stammelte er verzweifelt bittend.
Sie sah ihn scharf an und er verstummte.
"Genug! Hört mir gut zu und merkt Euch meine Worte, denn ich werde dies nur einmal sagen. Hardrich von Aven hat mir mehr Ehre angetan, als irgendein Mann je einer Frau. Er hätte jederzeit sein Vergnügen mit mir haben und mich danach auf die Straßen werfen können, aber er hat es nicht getan. Bis auf einen einzigen Kuss, hat er mich nicht einmal angefasst, bis ich seine Frau geworden bin. Seine Frau, Herr von Dühring! Ich war die Tochter eines Gastwirtes und Brauers. Jetzt bin ich an seiner Seite die Markgräfin dieses Landes. Und all dies wäre bereits Grund genug, ihm mein Leben lang dankbar zu sein. Aber zu alledem, und auch das werde ich nur einmal sagen, liebe ich diesen Mann", sagte sie eindringlich.
"Was? Ihr... Ihr liebt ihn?", fragte der junge Hauptmann tonlos.
"Ja. Öffnet Eure Augen, Wichard! Ihr habt eine glückliche Frau vor Euch", erwiderte sie lächelnd.
Er starrte sie an und wurde blass. Schließlich fiel er vor ihr auf die Knie und senkte den Kopf."Oh, Herrin, verzeiht mir! Vergebt mir meine Vermessenheit. Ich dachte... Mein Gott, wie konnte ich nur so blind sein! Wie konnte ich nur so anmaßend sein, gar nicht in Erwägung zu ziehen, dass auch er geliebt wird. Seit Jahren bemühe ich mich um sein Vertrauen und jetzt, da ich es errungen zu haben glaube, verrate ich ihn. Ich! Ausgerechnet ich! Nichts sind all die Schwüre wert, die ich ihm gab! Beim erstbesten Mal, dass meine Treue auf der Probe steht, versage ich erbärmlich. Niemals werde ich das wieder gutmachen können", stöhnte er völlig außer sich.
"Natürlich könnt Ihr das wieder gutmachen, Wichard! Ersetzt mir den Bruder, den ich zurücklassen musste und versprecht mir, mit mir zusammen meinem Mann auch weiterhin zur Seite zu stehen. Denn er wird nach wie vor Eure Hilfe brauchen. Das wisst Ihr genauso gut wie ich", sagte sie.
"Beim Kreuze Christi! Frau von Aven, ich schwöre Euch, Euch mit all meiner Kraft zu dienen!", antwortete er mit Nachdruck.
Langsam füllten sich die Ränge rechts und links neben ihnen. Wichard erhob sich verlegen und stellte sich mit entschlossenem Blick wieder neben sie. Von Trettin kam heran, grüßte und lehnte sich an die Balustrade, welche die Ehrenloge vom übrigen Publikum abteilte.
"Nun, Kind, wie geht es dir?", fragte er besorgt.
"Besser könnte es mir gar nicht gehen", kam die Antwort.
Der Alte lächelte und winkte dann einen Diener heran.
Er setzte durstig einen Becher Bier an die Lippen, verzog das Gesicht und sagte:
"Bah, was ist das denn? Wollt ihr mich vergiften?"
Gertraud lachte:
"Mir scheint, das gute Kernersche ist zur Neige gegangen. Das ist wohl das Bärenbräu des Klosters. Vielleicht solltest Du es halten wie ich und Wein trinken, lieber Vater."
Hardrich kehrte zurück. Von Kopf bis Fuß in silberglänzender Rüstung, das Visier aufgestellt. Trotz des enormen Gewichtes des Metalls waren seine Bewegungen weder steif noch ungelenk. Erfüllt von gespannter Vorfreude auf das Turnier nahm er neben Gertraud Platz.
Er sah sie liebevoll an und Wichard dachte zum wiederholten Male bei sich:
"Wie konnte ich nur so blind sein."
Von Trettins Blick fiel auf die Blumen und erstaunt fragte er:
"Wer hat denn um diese Jahreszeit noch einen so schönen Strauß Lilien für dich aufgetan?"
Gertraud hob die Brauen und antwortete:
"Nun, ich denke fast, dass der Herr von Walow dafür verantwortlich zeichnet. Jedenfalls sah ich ihn, kurz bevor man mir die Blumen überreichte, in der Menge verschwinden. Sicher bin ich mir aber nicht. Vielleicht war das nur ein Zufall."
"Genauso zufällig, wie ich ihm gleich alle Knochen brechen werde, verdammt! Wenn ich das gewusst hätte! Warum hast du sie angenommen?", fuhr Hardrich sie verärgert an.
"Ich habe erst noch überlegt, aber dann erschien es mir nicht richtig, all die Leute um uns herum zu erstaunen und das Geschenk samt den Segenswünschen zurückzuweisen. Außerdem habe ich mich vielleicht auch versehen und er hat gar nichts damit zu tun. Damit hätte ich jemanden sehr vor den Kopf gestoßen", erwiderte sie sanft.
Hardrich fluchte noch eine Weile leise vor sich hin, beruhigte sich dann aber.Als alle Zuschauer saßen und auch die Kämpfer in ihren Zelten bereit zu sein schienen, stand Hardrich auf.
Er zog seinen eisernen Handschuh aus, fasste ihre Hand, küsste sie und sagte:
"Du wirst heute diesen Platz als Turnierkönigin verlassen."
Dann ging er hinüber zu seinem Rüstzelt.
"Du hättest ihm nicht sagen sollen, dass die Blumen womöglich von von Walow kamen. Das gibt nur böses Blut", raunte von Trettin ihr zu, so dass außer ihr nur Wichard es hören konnte.
"Ich hoffe sehr, dass ich mich irre, aber ich fürchte fast, dass...", begann sie.
"...dass von Walow es ihm selber verraten wird. Und das könnte sich als die weitaus gefährlichere Spielart herausstellen. Eine, wie ich meine, höchst richtige Vermutung", vollendete Wichard ihren Satz.
Von Trettin sah überrascht von ihm zurück zu Gertraud.
"Wie ich sehe, durchschaust Du die Kabale bereits schneller als ich", sagte er schmunzelnd, drückte ihre Hand und begab sich dann zu seinem Platz.
"Irgendetwas führt dieser Schönling im Schilde... .", murmelte sie noch zu Wichard gewandt, bevor die Fanfaren zum Turnierbeginn bliesen und die Gespräche um sie herum verstummten.Auf dem Platz verlas der Herold gerade laut die Liste der sechzehn Teilnehmer. Der jeweils Genannte ritt langsam bis an eine Linie vor und verneigte sich vor dem Publikum.
"Erklärt mir bitte, wie die Kämpfer erwählt werden, Wichard", bat Gertraud leise.
Dieser räusperte sich und beugte sich zu ihr herunter.
"Also. Traditionell kämpfen der Landesherr und seine sieben ersten Lehnsmänner, wobei jeder von denen einen Mann aus seinem Gefolge erwählt, der ebenfalls teilnehmen darf. Es ist eine große Ehre, mit auf diesen Platz reiten zu dürfen. Auf Wunsch der alten Dame wird von Harchows Lehen heute ein letztes Mal durch den ersten Mann ihres verstorbenen Gatten vertreten, samt dessen Sohn. Es sind dies Bernhard und Simon von Echtern. Sie wurden gleich nach dem Markgrafen aufgerufen und stehen dort am rechten Ende der Reihe. Sie tragen Axt und Bogen im Wappen. Und die Plätze, die Reno von Trettin, Eurem... Vater, zuständen, werden reihum von den anderen sechs Edlen vergeben, da er selber keinen Anspruch darauf erhebt", begann er.
"Was ist mit Euch?", wollte sie wissen.
"Nun ja. Was soll ich sagen? Seit ich Eurem Gatten diene, hat er jedes Jahr mich an seiner Seite mitstreiten lassen. Aber heute früh wurde mir durch einen Boten mitgeteilt, dass dieses Mal mein Vetter, Christoph von Kressin, an meiner Statt teilnehmen werde. Seht Ihr? Der, der gerade vorreitet. Es kam für ihn völlig überraschend. Er hatte nicht einmal mehr Zeit, seine Rüstung ordentlich polieren zu lassen. Mich überraschte es weniger, wie Ihr Euch vielleicht denken könnt. Allein es tröstet mich ein wenig, dass der Ritter nicht irgendjemanden wählte, sondern einen Verwandten und guten Freund von mir. Das lässt mich hoffen, dass mein Herr mir die gestrige Frechheit vielleicht doch wird vergeben können. Außerdem ist es Christoph zu gönnen, er ist ein guter Mann", antwortete er beschämt.
Gertraud warf ihm noch einen tadelnden Blick zu, wandte sich dann wieder dem Geschehen zu und fragte:
"Was passiert weiter?"
"Nun, Frau von Aven, wählen die Herren, die Damen deren Farben sie tragen werden, und der Gewinner macht dadurch seine Favoritin zur Turnierkönigin. Haltet Euren Schal bereit", erklärte er lächelnd.
Die Zuschauer erhoben sich und beobachteten, wie die Reihe der Reiter herankam. Viele Damen hatten wie zufällig ihre dünnen Schultertücher in der Hand. Etliche hoffnungsvoll glänzende Augen richteten sich auf die Männer, die mit hochgestelltem Visier auf die Zuschauer zuritten. Sie ritten hintereinander, so wie sie vorher an der Linie gestanden hatten. Hardrich, der als erster aufgerufen worden war und in der Mitte der Männer gestanden hatte, ritt jetzt an achter Stelle. Zwei Plätze vor ihm ließ Rudolf von Walow sein Pferd im Schritt gehen. Gertraud vermied es, ihn anzusehen und stand mit dem dunkelblauen, dünnen Schultertuch an der Brüstung der Tribüne. Die ersten Recken hatten sie nun bereits passiert und wählten gerade ihre Damen. Unter Gelächter und guten Wünschen übergaben diese ihre Farben. Rechts von ihr beugte sich der junge Simon von Echtern, der auf Wunsch Hedwig von Harchows teilnahm, zu einem hübschen Mädchen hinunter und ließ sich ein hellgelbes Tuch um den Arm knoten. Er schien ungefähr sechzehn Jahre alt zu sein und dies was das allererste Mal, dass er auf einem solch wichtigen Turnier reiten würde. Sein Vater, Bernhard von Echtern, der noch vor ihm ritt und die Farben seiner Ehefrau trug, betrachtete ihn voller Stolz und Freude, genau wie seine Mutter. Gertraud sah überdeutlich die Aufregung im Gesicht des jungen Mannes und den verliebten Blick, mit dem er seine etwa gleichaltrige Favoritin anblickte.Und während Gertraud noch lächelnd die Szene zu ihrer Rechten verfolgte, war ihr plötzlich, als würde sie beobachtet. Mit einer unguten Vorahnung im Herzen wandte sie den Blick. Von Walow kam direkt auf sie zu!
Sie erschrak und hörte Wichard hinter sich flüstern:
"Das wird er doch nicht wagen..."
Doch im nächsten Moment hatte von Walow ihr bereits das Tuch aus den Händen gerissen. Er hielt es wie eine Trophäe in die Höhe und der glühende Blick, den er ihr aus seinen dunklen Augen zuwarf, ging ihr durch Mark und Bein. Im gleichem Atemzug hörte sie Hardrich vor Wut aufbrüllen. Alle Augen richteten sich auf den Markgrafen und seinen Herausforderer. Der Ritter trieb sein Pferd heran, während von Walow, ein Stück entfernt von der Tribüne, in Seelenruhe das Tuch um seinen Oberarm band.
Hardrichs Züge waren von rasender Wut verzerrt. Und doch war ihm, als ob er sich in einem seiner Alpträume befände. Träume, in denen seine Beine ihm den Dienst versagten, er weder laufen noch sich erheben konnte, in denen er in einem unsichtbaren Morast gefangen war, der alle Bewegungen lähmte. Die Zuschauer, die Zelte, die Tribünen, selbst von Walow, alles um ihn herum versank in einem verschwommenen Grau, alle Geräusche wurden von einem Dröhnen in seinem Schädel übertönt und dann setzte der Schmerz ein.
Er stöhnte auf, griff sich an den Kopf und riss unwillkürlich am Zügel. Sein Pferd schnaubte erschreckt und bockte. Allein das gewaltige Gewicht von Reiter, Rüstung und Rossharnisch behinderten den Wallach derart in seiner Beweglichkeit, dass Hardrich sich gerade noch oben halten konnte. Doch es fehlte nicht viel und der Ritter wäre vor allen Leuten zu Boden gestürzt. Ungläubig starrte das Volk seinen obersten Herrn an und ein erstauntes Murmeln lief durch die Reihen. Gertraud blieb fast das Herz stehen.
"Wichard, was ist mit ihm?", fragte sie entsetzt, während Hardrich wie betäubt im Sattel hing.
"Es sieht ganz so aus, als hätte ihn der Schmerz in seiner Gewalt. Der Schmerz in seinem Kopf, Herrin. Ich habe ihn im Felde bei keiner seiner Verletzungen auch nur mit der Wimper zucken sehen, aber wenn ihn dieses Leiden überfällt, quält er sich furchtbar. Verflucht sei von Walows Frechheit, die daran sicher nicht unschuldig ist!", sagte er zornig, aber sein Gesicht ließ in erster Linie Sorge um seinen Herrn erkennen.
Dieser hatte inzwischen seinen Wallach halbwegs wieder in der Gewalt. Unruhig tänzelte das Tier vor von Walows Apfelschimmel. Die beiden Konkurrenten starrten sich an, doch Hardrich war noch immer nicht er selbst.Von Walow, der zwar durch Hardrichs ungewohnte Schwäche erst verunsichert gestutzt hatte, sah ihn nun aber ungerührt an. Auch er hielt sein Tier kurz, so dass es fast scheute und zurückweichen wollte.
"Sie soll Turnierkönigin werden", presste der Ritter schließlich hervor.
"Genau das wird sie auch werden. Und zwar durch die Kraft meines Armes", erwiderte sein Gegenüber mit vollem Ernst und der Affront, der aus diesen Worten und seinem Blick sprach, war so unzweideutig, dass jeder der Anwesenden den Atem anhielt.
"Das werden wir ja sehen", war das einzige, was Hardrich erwidern konnte, bevor er sein Pferd herumriss und auf sein Zelt zuritt. Dort fiel er mehr, als dass er abstieg, in die Arme der wartenden Burschen.Beklommen folgten ihm bald auch die anderen Kämpfer.
"Geht zu ihm, Wichard! Er kann so nicht reiten", sagte Gertraud mit Bestimmtheit.
"Das wisst Ihr und das weiß ich. Aber er wird nichts davon wissen wollen. Erst recht nicht nach dieser Herausforderung, soviel ist sicher", erwiderte Wichard bestürzt.
"Ich bitte Euch trotzdem. Geht! Vielleicht bietet sich hier eine Gelegenheit, Eure Schuld zu begleichen", beschwor sie ihn.
Verwirrt und fragend sah Wichard sie an.
"Geht, sage ich! Bittet meinen Vater hierher zu mir. Er kann Euch solange an meiner Seite vertreten", fuhr sie fort und fügte dann leise hinzu, "Und Ihr... Bedenkt! Niemand kann sehen, wen eine solche Rüstung verbirgt."

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt