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Auf den Feldern war man mit den Vorbereitungen der nächsten Aussaat beschäftigt und Gertraud saß in eine Decke gehüllt in der Nachmittagssonne auf der steinernen Bank des Eckturmes. Die hohe Brüstung bot genügend Windschatten und die blasse Märzsonne wärmte bereits recht kräftig. Ihre Blutung war gerade vorüber und diesmal war sie fast ein wenig erleichtert.
Morgen war Karfreitag und am Sonntag darauf würde die Zeit des Fastens und der Einkehr endlich ein Ende haben. Mit geschlossenen Augen genoss sie die Wärme auf ihrer Haut und lächelte versonnen. Sie freute sich auf die Osterfeierlichkeiten und beim Gedanken an ein Stück gesottenes Lamm lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Und sie dachte an Bettina. In zwei Wochen würde sie sich mit Sören de Allinge vermählen. Wie furchtbar beängstigend es sein musste, nicht im mindesten zu wissen, was auf sie zukam. Da hörte sie, wie jemand die Treppe hinauf gestiegen kam und gleich darauf zwängte sich Hardrich durch das schmale Türchen am Turm. Er hielt einen geöffnetes Schreiben in der Hand und setzte sich zu ihr.
„Wir bekommen Besuch", sagte er knapp und reichte ihr das Pergament.
Sie überflog die Zeilen und war im ersten Moment enttäuscht, als sie erkannte, dass die Schrift nicht die ihres Ziehvaters war.
Kuno de Kempervennen schrieb, dass er auf der Verfolgung eines Raubritters bis auf das Gebiet der Ostmark vorgedrungen sei und kündigte in dem Schreiben sein Kommen für den heutigen Abend an. Er bat um ein Nachtlager für sich und seine fünfzehn Leute, da er und ein weiterer Mann seines Gefolges verletzt seien.
„Er wird wohl neugierig auf Dich sein", brummte Hardrich.
Gertraud lächelte und betrachtete das aufgebrochene Siegel, welches einen Eber mit gesträubtem Borstenfell und riesigen Hauern zeigte.
„Wie ist er so?", fragte sie ihren Mann, ohne aufzusehen.
„Kuno? Tja... . Hervorragender Schütze. Und bevor er den Mund aufmacht und redet, denkt er nach, was man bei Gott nicht von allen Rittern sagen kann. Der König hält große Stücke auf ihn. Und ich auch. Ein guter Mann. Auch wenn er vielleicht nicht der Ansehnlichste ist. Du wirst besonders höflich zu ihm sein, hörst Du?", befahl er.
„Natürlich", versicherte sie, „Er ist Ritter des Königs. Ich werde gar nicht wagen, ihn überhaupt anzusprechen."
„Sowenig wie mich damals im Wald, was? Ich bin auch Ritter des Königs! Hast Du das vergessen?", fragte er spöttisch.
Sie schmunzelte.
„Als ich Dich das erste Mal ansah, damals im Wald, fühlte ich mich so tief verbunden... Ich denke, dass das sicher nicht viele Menschen in ihrem Leben erfahren. Und ich danke Gott dafür. Jeden einzelnen Tag", flüsterte sie ernst und küsste ihn zart auf den Mundwinkel.
Er erstarrte und einen Moment lang lag sein prüfender Blick auf ihr.
Schließlich umarmte er sie und drückte schweigend seine Stirn an die ihre.Eine ganze Weile saßen sie so beieinander, bis Hardrich endlich seufzend aufstand und sie ihm hinunter folgte. Sie kannte die Treppe inzwischen gut genug, um auch im Dunkeln nicht mehr zu stolpern, aber als er unter ihr den kleinen Raum vor der Zimmertür erreicht hatte, konnte sie nicht anders, als mit einem gespieltem Aufschrei nach seiner Schulter zu fassen.
„Oh, ich falle!", lachte sie.
Und als ob er genau dies erwartet hätte, fing Hardrich sie auf und sie fielen sich in die Arme. Im Dunkel des steinernen Treppenhauses küssten sie sich hitzig.
„Großer Gott! Noch nie habe ich das Ende der Fastenzeit so sehr herbeigesehnt wie dieses Jahr...", stöhnte er.
Sie nickte seufzend und genoss seine Nähe und Wärme und den Duft des bequemen abgetragenen Lederharnischs, den ihr Mann zuhause so gerne trug. Fast war sie versucht, ihre Hand unter sein Hemd zu schieben.
Statt dessen fragte sie: „Was isst er denn gerne?"
„Hmm?", erwiderte der Ritter abwesend und konnte sich kaum von ihrem Anblick lösen.
„Na, der Herr de Kempervennen! Was würde er wohl gerne essen?", beharrte sie.
„Was weiß ich!", entfuhr es Hardrich ungehalten.
Doch dann schwieg er einen Moment und brummte:
„Pilze, glaube ich. Bei Hofe hat er immer jeden Schweinerücken für eine Pfanne Pfifferlinge mit Speck stehenlassen. Genau wie Wichard..."

Beide sahen einander an und dachten an den jungen Hauptmann. Vor einigen Tagen gerade hatte Wichards Vetter ihnen berichtet, dass der alte Herr von Dühring Nachricht aus der Schweiz von seinem Sohn erhalten hätte. Auf Wunsch des Ritters hatte der Alte ihnen das Bündel eng beschriebener Pergamentseiten übergeben und Hardrich hatte im Kloster eine Kopie anfertigen lassen, die er und seine Frau abends zusammen lasen.Wann immer Wichard Gelegenheit und Muße entlang des Weges fand, hatte er die Erlebnisse und Beobachtungen der Pilgerfahrt aufgeschrieben. In seiner klaren, fließenden Schrift erzählte er von Städten und Dörfern, durch die er gekommen war, von wunden Füßen, dem Schicksal von Weggefährten und von schlechtem Wetter. Von Mänteln, die nie richtig trocken waren, fremder Kost und Sonnenaufgängen unter fremdem Himmel. Er schien keine Eile zu haben, denn den Brief hatte er im Februar einem Händler mit auf den Weg in die Ostmark gegeben. Und da war er noch nicht weiter als bis an den Bodensee gekommen, wo er den Winter über Aufnahme gefunden hatte. In Konstanz hatte er im November mit einem schweren Fieber gut fünf Wochen krank gelegen, war beraubt worden und danach durch eine glückliche Fügung beim Gebet in der Stephanskirche dem Grafen von Klingen begegnet, der den mutlosen jungen Adligen mit zu sich nahm. Der Graf ließ ihn nicht nur gesund pflegen, sondern beherbergte ihn auch die kalten, schneereichen Monate über fürsorglich im Kreis seiner Familie. Zusammen mit zwei weiteren Pilgern von Adel, die aufgenommen worden waren. Wichard lobte überschwänglich die fromme Gesinnung und Gastfreundschaft dort im Hause und aus jedem seiner Worte sprach Dankbarkeit. Die Familie hatte zwei erwachsene Söhne und eine Tochter in heiratsfähigem Alter und Wichard schien sich dort mehr als wohl zu fühlen. Erst im März würden die Pässe wieder frei sein und solange würde er auf dem großen Gut des Grafen zu Gast sein und sich dort, wo er konnte, nützlich machen. Das Schreiben endete mit den besten Wünschen an die Daheimgebliebenen und schloss:
„Ich kann bereits jetzt sagen, dass der Jakobusweg die Menschen verändert und keiner als derselbe nach Hause zurückkehrt. Doch bis hierher vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Euch denke und keine Nacht, in der mich meine Schuld nicht bis in den Traum hinein verfolgt. Mein Herz findet noch immer keine Ruhe."
Gertraud, die diesen letzten Teil laut vorgelesen hatte, waren die Tränen gekommen. Ihr war, als hätte Wichard diese Worte direkt an sie gerichtet.
Und auch Hardrich hatte tief geseufzt und leise gesagt:
„Ich wünschte, ich könnte ihm sagen, dass ich ihm längst verziehen habe. Wenn er je wiederkommen sollte, wird er seinen Platz hier zurückerhalten."
Hardrich zog seine Frau noch einmal zu sich heran und umarmte sie.
Dann traten beide ins Zimmer und Gertraud überlegte laut:
„Pilze also. Wenn noch getrocknete vom letzten Sommer übrig sind, könnte man eine schöne kräftige Suppe machen. Mit Sahne und Eigelb. Das wird ihm guttun. Gerade wo er verletzt ist. Da muss er es mit dem Fasten ja auch nicht so streng nehmen."
Hardrich nickte ihr zu, überlegte kurz und meinte:
„Kümmere Dich darum."
„Ich?", fragte seine Frau verblüfft.
„Sicher", meinte er ungerührt, „Meinst Du, ich will mich ewig auch noch um solchen Weiberkram kümmern?"
„Aber ich habe bislang immer nur für die Familie gekocht. Das genügt doch für eine herrschaftliche Tafel gar nicht...", wollte sie einwenden, aber er unterbrach sie unwirsch.
„Kochen sollst Du doch gar nicht! Wehe Dir, ich finde Dich da unten beim Zwiebeln schälen! Anweisen sollst Du die Weiber in der Küche", fuhr er sie an.
„Aber wie kann ich sie anweisen, wenn ich selber nicht...", erwiderte sie, aber er packte ungehalten ihre Hand und hielt ihr ihren Siegelring vor die Augen und fuhr sie an:
„Du bist die Herrin über dieses Land und über dieses Haus! Du kannst und wirst! Schluss jetzt mit dem ewigen 'Aber'! Tu was ich Dir sage."

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt