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Noch in der gleichen Woche wurde begonnen, mit dem Heer die Meerenge zu queren.
Um nicht die Straßen und Hafenanlagen der Innenstadt zu verstopfen, leitete man die riesige Menschenmenge nördlich der Stadt vorbei und setzte Männer, Pferde und Wagen dort mit Booten über.
Alles was schwimmen konnte, hatte der Kaiser für diese Aufgabe requiriert und ihnen zur Verfügung gestellt. Und so fuhren Segler und kleine Ruderboote, Galeeren, Lastkähne und Flöße geschäftig hin und her. Sogar nachts bei Laternenschein wurde gearbeitet.
Manuel tat alles, damit die Lateiner so schnell wie möglich weiterzogen.

Während also einige der Grafen und Herzöge, unter ihnen auch Hardrich, den nicht enden wollenden Strom der Männer ordnete und lenkte und das Verschiffen überwachte, hatten diejenigen, die des Griechischen mächtig waren, eine andere Aufgabe erhalten.
Sie sollten sich mehr oder weniger unauffällig in den Tavernen und auf den Märkten nach Neuigkeiten aus der Levante umhören, denn es musste eine Entscheidung über das weitere Vorgehen getroffen werden.
Leider geizte Kaiser Manuel entgegen ihrer Hoffnung und Erwartung nicht nur mit dinglicher Hilfe, sondern auch mit Rat und Auskunft.
Deshalb wollten sie hier, wo so viele Menschen aus der ganzen Region zusammenkamen, soviel wie möglich über die derzeitige Lage in den Kreuzfahrergebieten herausfinden. Gotthilf selber feilschte währenddessen noch immer um Proviant und unterhielt die Verbindung zum Kaiserhof.
Abends kam man dann im Quartier zusammen, tauschte sich aus und beratschlagte. Obwohl es klare Unterschiede in Rang und Ansehen der Männer gab und der Ritter auch nicht mit jedem der Herren gleich gut auskam, war es ein beinahe kameradschaftliches Miteinander.
Hardrich fühlte sich ausgesprochen wohl. Respektiert unter Gleichgesinnten.

Er fragte sich oft, ob das genauso wäre, wenn er damals im Wald nicht diese junge Frau getroffen hätte. Wenn er dem übermächtigen Wunsch, sie bei sich zu haben, nicht nachgegeben hätte. Oder wenn sie ihn abgewiesen hätte...
Ohne Gertraud würde er noch immer den verfluchten Helm tragen und er hätte sich, wo nur irgend möglich, von allen anderen fern gehalten.
Er erinnerte sich noch gut daran, wie es früher gewesen war. An den Argwohn. Die Zweifel. Und seine ständige Wut. Wenn irgendwo in seiner Nähe jemand lachte, ganz gleich weshalb, hatte er sich sofort als Zielscheibe des Spottes gefühlt. Und außer mit Kuno hatte er nie freiwillig ein Wort mit jemandem gewechselt.
Nein. Ohne seine Frau wäre jetzt alles anders.
Wahrscheinlich hätte er Gotthilf auf dem Weg hierher erschlagen, statt das Gespräch mit ihm zu suchen.

Eines Abends saßen die Männer an einer langen Tafel im Hof beim Abendessen. Man hatte eine Mahlzeit und Getränke aus einem nahen Gasthof kommen lassen. Mayirim, die Frau mit dem Kind, bediente und schenke Bier und Wein aus den gelieferten Fässern dazu aus. In jeder Hand eine Kanne ging sie umher und füllte die Becher.
„Cervisia", brummte Hardrich und Mayirim schenkte ihm Bier ein.
Das Wort kannte sie inzwischen. Ganz kurz traf sich ihr Blick, aber er wandte sich sofort ab. Sie wurde einfach nicht schlau aus diesem Kerl.
Carolus kam von der Straße herein und warf sich erbost auf einen freien Stuhl. Er griff sich einen Becher, rief nach Mayirim und stürzte den Wein hinunter, kaum dass sie eingeschenkt hatte.
„Dieser miese, kleine Dreckskerl!", fluchte er vernehmlich.
Raimund grinste und fragte:
„Der Zuhälter Deiner Drallen?"
Die Männer lachten.
Carolus war derjenige, der sich, wohin auch immer sie kamen, zuerst nach dem örtlichen Hurenhaus erkundigte. Er hatte eine besondere Schwäche für mollige Frauen mit möglichst großer Oberweite, wie alle ganz genau wussten, denn Raimund zog ihn ständig damit auf.
„Nein, zum Henker! Ich meine den Kaiser!", entfuhr es Carolus missmutig
„Na, na! Achtet auf Eure Worte", ermahnte ihn von Trebur, allerdings eher amüsiert als tadelnd.
Dann fragte er mit gerunzelter Stirn:
„Was gibt es denn?"
Carolus atmete einmal tief durch, um sich zu beruhigen und sagte dann in die jetzt gespannte Stille hinein:
„Er hat einen Pakt mit Masud geschlossen! Im November schon."
Ein Sturm der Entrüstung brach los.
„Was? Mit dem Sultan?"
„Sultan Masud?"
„Mit dem seldschukischen Ketzer? Was fällt ihm ein!"
„Ein Bündnis mit unserem Feind?"
„Das ist Verrat!"
Alles redete durcheinander, bis Gotthilf um Ruhe bat, damit Carolus weiter berichten konnte.
„Ich hab im Badehaus einen warägischen Söldner freigehalten. Bis der ins Reden kam. Er hat mir erzählt, dass Manuel unseretwegen schon lange schlaflose Nächte hat. Er fürchtet uns. Falls es tatsächlich zu einer Auseinandersetzung mit uns gekommen wäre, hätte an zwei Fronten kämpfen müssen. Also hat er mit den Seldschuken einen befristeten Waffenstillstand geschlossen und so zumindest seine Ostgrenze gesichert. Befristet bis zu der Zeit, da wir Tarsus passiert haben werden."
Einen Moment lang herrschte Schweigen, als alle versuchten, diese ungeheuerliche Neuigkeit zu verdauen und einzuordnen.
„Da schau her... Er sieht in uns keine Verbündeten, wie dereinst sein Großvater. Sondern eine Bedrohung. Na, das erklärt so einiges", sagte Herzog Alban schließlich nachdenklich.
Er war einer der beiden älteren Herzöge, die mit an der Audienz teilgenommen hatten und ein guter Freund Gotthilfs.
Von Trebur nickte und sagte an Carolus gewandt:
„Das sind wichtige Neuigkeiten. Ich danke Euch. Wir sollten die Richtigkeit der Auskunft in den nächsten Tagen noch einmal überprüfen, soweit wir können. Obwohl ich fast annehme, dass Euer Waräger die Wahrheit sprach. Es passt einfach zu gut ins Bild."
Er seufzte und sah zu Hardrich hinüber.
„Was haltet Ihr davon?"
Alle Augen richteten sich jetzt auf den Ritter.
Von Aven räusperte sich:
„Wenn das wahr ist, macht es den Weitermarsch für uns noch gefährlicher, als er ohnehin ist. Wenn sich die Seldschuken nicht mehr vor den kaiserlichen Truppen fürchten müssen, werden sie sich umso eher auf uns stürzen. Vielleicht sogar schon auf byzantinischer Seite. Und wir werden lange auf ihrem Gebiet unterwegs sein. Besonders, wenn wir wirklich den Umweg über Edessa..."
„Wir dürfen Edessa nicht aufgeben! Die christliche Bevölkerung hofft auf uns!", unterbrach ihn Raimund vehement.
„Edessa ist gefallen! Die christliche Bevölkerung ist verloren. Das hören wir überall! Die Männer wurden abgeschlachtet, die Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft, alle Kirchen sind niedergebrannt. Zangi hat die Befestigungsanlagen verstärkt und seine Kräfte in der Stadt zusammengezogen. Es würde Monate dauern, dort etwas auszurichten. Und wofür? Für die Syrer und Byzantiner, die er am Leben gelassen hat?", antwortete Hardrich grimmig.
Bevor sich die Männer weiter in die Haare bekommen konnten, hob Gotthilf die Hand und verschob eine Entscheidung darüber auf später.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt