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Schach und Fingerübungen halfen ihm über zwei lange, drückend heiße Augusttage hinweg und hielten seine dunklen Grübeleien in Zaum. Der Medicus erschien noch einmal, um abschließend nach Hassans Genesung zu schauen und Hardrich verlor noch einmal zwei Partien. Jedoch nicht mehr ganz so schnell, was auch dem Gelehrten auffiel.

„Ihr habt geübt!", meinte er erfreut, „Na, dann komme ich vielleicht doch noch einmal wieder."

„Das ... würde mich freuen", murmelte Hardrich und war selber erstaunt, dass ihm dies tatsächlich über die Lippen kam.

Er wollte noch etwas Erklärendes hinzufügen, doch mit einem Male fehlten ihm die Worte und er verstummte beschämt. Der Medicus aber schien zu verstehen, was in ihm vorging. Er nickte.

Der Ritter sah ihm nach und tief in seinem Innern geriet einmal mehr sein Bild der Welt ins Wanken. All das, was ihm von Kindesbeinen an gelehrt worden war, wurde hier gerade Lügen gestraft. Der Mann, der dort auf der Straße verschwand, war ein Muslim. Ein gottloser Ketzer. Ein Feind, wie er sie dutzendfach auf dem Schlachtfeld niedergemacht hatte. Und er, Hardrich von Aven, war gerade froh und dankbar über dessen Zusage gewesen, ihn weiterhin treffen zu wollen.

Wenn ihm das jemand vor zwei Jahren prophezeit hätte, hätte es Schläge gesetzt. Und doch war es heute so.

Wie auch immer er es betrachtete, er vermochte diesen klugen Mann nicht zu verachten, geschweige denn zu hassen. Genauso wenig wie die Hirten, die ihm mit seiner verletzten Hand geholfen hatten. Oder die junge Mutter am Brunnen, die ihm zu essen gegeben hatte.

Dies war alles in höchstem Maße verwirrend.

Und während er noch grübelte, ob er nicht doch einen Fehler machte und geradewegs genauso getäuscht wurde, wie von de Allinge, trat Nubia auf den Hof.

Auch sie war dem Ritter ein vollkommenes Rätsel. Musste eine Sklavin nicht jeden freien Mann hassen? Wieso nur kümmerte sie sich um ihn?

Grimmig blickte er ihr entgegen, doch sie stellte gleichmütig mehrere kleine Schälchen vor ihn hin. Dazu eine Schüssel voll trockener Kichererbsen.

Der Ritter ächzte unwillkürlich.

Da lachte sie, satt und volltönend, und es klang eine beachtliche Portion Selbstbewusstsein mit darin. Hardrich fühlte Zorn in sich aufwallen, als sie sich so unverhohlen auf seine Kosten amüsierte. Niemals hätte das in der Mark irgendjemand gewagt.

Zähneknirschend starrte er sie an und war drauf und dran aus der Haut zu fahren, doch sie ignorierte seine finstere Miene und bückte sich, um den Kater zu streicheln, der um ihre Beine strich. Sie griff das Tier unter den Bauch, hob es auf den Arm und vergrub ihr Gesicht in seinem weichen Fell.

Aufgebracht wie er war, entfuhr dem Markgrafen ein verächtliches Schnauben, als sie das Tier derart herzte. Einen Moment lang sahen sich beide an, dann blitzte Schalk in ihren dunklen Augen auf und ehe er sich versah, war sie zu ihm getreten und ließ den Kater auf seinen ausgestreckten Beine herab.

Hardrich holte tief Luft, um sie anzubrüllen, das Tier mit der Linken von sich zu fegen und endlich seinem wachsenden Unmut Luft zu machen, doch er hielt jählings inne.

Sein lahmes Bein. Er fühlte es! Die Schwere des Tieres. Und auch dessen Wärme. Täuschte er sich? Mit angehaltenem Atem spürte er der Empfindung nach. Doch. Er konnte es tatsächlich fühlen.

Der Kater rekelte und streckte sich derweil auf seinen Oberschenkeln und machte es sich genüsslich dort bequem.

Nubia hatte ihren fremden Gast wie so oft beobachtet und schien aus seiner Reaktion heraus zu lesen, was in ihm vorging. Sie kniete sich neben ihn und sagte etwas, das er nicht verstand. Dann griff sie sein rechtes Handgelenk und hob seinen Unterarm an. Verwirrt zog Hardrich die Brauen zusammen, wehrte sich aber nicht, denn er war noch immer wie vor den Kopf geschlagen, ob der Erkenntnis, dass seine Gliedmaßen nicht vollkommen tot zu sein schienen.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt