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Am nächsten Wochenende wurde auf dem Herrensitz der Familie von Bevern die Ehe Bettinas mit dem Dänen geschlossen und groß gefeiert. Auch hier waren die Gerüchte um den bevorstehenden Kreuzzug in aller Munde. Hardrich schwieg zu alledem. Der Landesherr und seine junge Frau waren natürlich geladen, verließen das Fest aber noch am frühen Abend und begaben sich auf die Rückreise. Die Arbeiten an dem Gut, welches Sören de Allinge erhalten sollte, dauerten noch an und man war überein gekommen, dass er und seine Frau die ersten Wochen nach der Vermählung vorerst mit in der Burg wohnen sollten. Hardrich hatte gemeint, das sei endlich standesgemäßer Umgang für Gertraud, obwohl er am Gedanken an zusätzliche Gesellschaft auf der Burg wenig Gefallen fand.
Gertraud freute sich darauf und hoffte, dass Bettina eine Vertraute oder sogar eine Freundin werden würde.Gerne hätte sie die junge Braut vor ihrer Hochzeitsnacht noch einmal unter vier Augen gesprochen, aber es bot sich nicht die Gelegenheit. Hardrich wich ihr nicht von der Seite und sie konnte nicht einmal mit ihrem Ziehvater, den man auch geladen hatte, mehr als ein paar wenige Worte wechseln.
Trotzdem war Gertraud auch froh, als sie und Hardrich als eine der ersten Gäste mit ihrem Begleittross aufbrachen. Hämisch, abschätzig, zum Teil offen feindselig hatte man sie angestarrt, hatte getuschelt und mit Fingern auf sie gezeigt.
Während auf ihrer eigenen Hochzeitsfeier noch Überraschung und Wohlwollen überwogen hatten, ließ man sie hier spüren, dass sie nicht willkommen war in einigen Kreisen der hohen Gesellschaft. Und obwohl ihre Gastgeber, besonders Bettinas Mutter, sich alle Mühe gaben, sie mit der freundlichsten Zuvorkommenheit zu behandeln, hatte sie sich noch nie in ihrem Leben so ausgestoßen gefühlt.
Es war kurz vor Neumond. Sie ritten schweigend bis zum Dunkelwerden und stiegen in einem Gasthof für die Nacht ab. Hier war noch Tanz in der Wirtschaft. Hardrich, der Gertrauds Niedergeschlagenheit wohl bemerkt hatte, überlegte kurz. Dann setzte er sich mit ihr in eine der schummrigen Ecke der Schankstube und hielt seine Männer frei, so dass es binnen kurzem wieder unbefangen, laut und lustig zuging. Zufrieden sah er, dass auch seine Frau die Trübseligkeit bald abschüttelte und aus vollem Hals lachend die Späße und Zoten der Musikanten verfolgte.
Erst gegen Mitternacht, als sie gähnte und kaum mehr die Augen offen halten konnte, zog sich das Paar leise zurück und kletterte die Stiege zur Gästekammer hinauf. Ohne den augenfälligen Helm war der Herr der Mark im Halbdunkel nicht mehr sofort als dieser erkennbar und welcher der Bauern und einfachen Leute hatte die Gesichtszüge seines Landesherrn schon einmal von Nahem und ohne Helm gesehen? Der Markgraf trug bequeme, wenn auch vornehme, Reisekleidung mit weitem Mantel und Kapuze und hätte auch ein Hauptmann der Wache mit seinem Trupp sein können. Er genoss es inzwischen, bei solchen Gelegenheiten unerkannt zu bleiben und auch Gertraud war dies nur allzu recht.
Die Kammer über der Gaststube war düster, karg und kalt und das schmale, altersschwache Bett darin schien sogar für Gertraud allein viel zu klein und zerbrechlich zu sein. Im ersten Moment sahen sie sich ratlos an und mussten beide lachen.
Endlich zog Hardrich entschieden die Decke zur Seite und packte die beiden Strohsäcke aus dem wurmstichigen Bettkasten auf den Fußboden. Gertraud legte ihr festliches Übergewand behutsam auf einem Schemel ab, wickelte sich in ihren Umhang und legte sich fröstelnd und gähnend auf der modrig riechenden Unterlage zurecht. Fürsorglich deckte Hardrich sie mit der groben Wolldecke zu, legte sich dann selber in seinen Kleidern dicht hinter sie und zog seinen Wintermantel noch über sie beide. Dann löschte er die Kerze. Von unten drang noch immer Musik und Gelächter zu ihnen herauf. Er zog sie noch weiter an sich, bis sie die Wärme seines Körpers im Rücken spürte.
Sie streichelte seine Hand und flüsterte müde:
„Du machst mich so glücklich."
Statt einer Antwort presste er sie noch einmal eng an sich und küsste stumm ihren Nacken.

Als sie andern Tags die Tore erreichten, fanden sie die Stadt in heller Aufregung vor. Der alte Apotheker war des Nachts ermordet und sein Haus durchwühlt und ausgeraubt worden. Der Gehilfe des Meisters hatte den Witwer morgens bei seinem Dienstantritt ermordet aufgefunden. Der gelehrte Mann war ein allseits geachteter, stiller und gottesfürchtiger Mann gewesen und das Interesse an der Bluttat war allgemein groß. Man erwartete den Ritter bereits und Hardrich war gezwungen, sich umgehend der Sache anzunehmen. Ungehalten schickte er Gertraud mit fünf Mann der Wache zur Burg zurück, während er mit den Ratsmitgliedern und den Schaulustigen zum Apothekerhaus hinunter ritt. Zuhause in der Burg hörte Gertraud derweil von Marianne und den anderen Küchenfrauen alle kursierenden Gerüchte und war bereits bestens unterrichtet als ihr Mann nach Stunden endlich missmutig, müde und hungrig nach Hause kam.
Als er später in seinem Schreibzimmer eine Mahlzeit herunter schlang, bestürmte sie ihn mit Fragen, bis er mit der Hand auf den Tisch schlug und sie ungehalten anfuhr:
„Genug! Das hier ist keine Posse! Willst Du gerne das Todesurteil sprechen?"
Gertraud schwieg betreten. Daran hatte sie nicht gedacht. Sie ließ ihn in Ruhe zu Ende essen, trat dann zu ihm und nahm ihn wortlos in den Arm.
Er seufzte tief:
„Wie ist so etwas hasse! Wenn nur Wichard hier wäre."
„Was würde Wichard denn tun?", fragte sie.
„Ach, er hatte so eine dienliche Art, die Angelegenheit von allen Seiten zu betrachten. Er sagte immer: „Wenn Ihr erlaubt, Herr, werde ich meine Gedanken einmal fließen lassen und versuchen, Ordnung hinein zu bekommen." Und dann hat er jede nur erdenkliche Möglichkeit dargelegt und bewertet. Das war gut. Oft ist er zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen als ich vorher. Aber alles lag dann viel klarer vor mir", erzählte Hardrich und fügte nachdenklich hinzu, „Ich habe ihm nie gesagt, wie sehr ich das geschätzt habe."
„Ich denke, das wusste er ganz sicher und er war stolz und glücklich, dass Du seinen Rat suchtest", antwortete Gertraud bestimmt und fuhr dann vorsichtig fort, „Sollte ich das vielleicht auch einmal versuchen?"
„Ach was! Du kennst die Leute doch gar nicht! Wichard wusste immer, wer mit wem verbrüdert, verschwägert oder verfeindet war. Und wer wo Schulden oder Liebschaften hatte. Ihm erzählen die Leute doch ganz was anderes als mir! Ich will jetzt nichts mehr davon hören. Mir steht der Sinn nach ganz was anderem", brummte der Ritter, zog ihr die Haube vom Kopf und löste ihr Haar aus den Flechten.
Er ächzte leise und als ihr Blick sich traf, fuhr ihr das Verlangen, das in seinen Augen stand bis tief in ihr Innerstes. Wortlos ließ sie sich mitreißen und schlang die Arme um seinen Nacken. Hardrich schob sie an die große Truhe, die an der Wand stand. Dort hob er sie an, bis sie auf dem Rand des großen Möbels zu sitzen kam, raffte ihr Kleid in die Höhe, drängte ihre nackten Beine auseinander und stellte sich dazwischen. Er küsste sie, beide Hände in ihrem Haar vergraben. Hitzig und ungeduldig jetzt. Fiebrig riss er an seinen Beinkleidern, wollte dann noch seinen Schwertgurt ablegen und verlor das Gleichgewicht. Er verhedderte sich in den verrutschten Kleidern und fiel unsanft zu Boden. Fluchend wollte er sich wieder aufraffen, als sie von der Truhe heruntersprang und sich mit erhobenen Röcken rittlings auf ihn setzte. Doch mit einem unwilligen Brummen warf er sie herum und nahm sie hastig und ungestüm dort an Ort und Stelle. Keuchend lag er danach auf ihr. Leicht verlegen löste er sich endlich von ihr, erhob sich und zog sie fort vom harten, kalten Steinboden und mit sich ins Schlafzimmer.
Als der Markgraf wenig später wohlig erschöpft im Arm seiner Frau lag, meinte er in versöhnlichem Ton:
„Also gut. Ich erzähle es Dir. Der arme Anselm hat wohl spät noch gearbeitet, als er überfallen wurde. Er lag in seinem Blut vor seinem Schreibtisch. Alles war durchwühlt und es schien, als hätten die Mörder noch versucht, etwas aus ihm herauszupressen. Fingernägel haben sie ihm ausgerissen, die Schweine. Es müssen mehr als einer gewesen sein. Ein Mann allein hätte das schwerlich tun können. Schon gar nicht dieser Wicht von einem Apothekergehilfen! Vielleicht haben sie gedacht, er hätte noch irgendwo Reichtümer versteckt. In der Küche war ein Fenster aufgebrochen. Dort sind sie wohl herein. Und dieser Gehilfe, dieser Bertolf, ist wie vom Erdboden verschluckt. Hat sich Hals über Kopf davongemacht. Aber weit wird er nicht kommen. Er hat nicht mal das Nötigste mitgenommen aus seinem Zimmer."
„Merkwürdig", meinte Gertraud, „Ich habe gehört, der Apotheker hätte ihn wie einen Sohn geliebt. Er hätte alles bekommen, nach dem Tod seines Herrn. Aber so? Glaubst Du wirklich, dass er es getan hat?"
„Keine Ahnung. Aber wenn er nichts damit zu tun hat, warum ist er dann geflohen?", antwortete ihr Mann gähnend, „Es ergibt allerdings auch keinen Sinn, dass Bertolf erst voller Entsetzen Alarm schlägt, die Wachen ruft und dann das Weite sucht. Er hätte schon längst über alle Berge sein können mit seiner Beute. Aber ich fürchte, die Leute wollen ihn dafür aufs Rad geflochten sehen. Ach, verdammt. Lass uns schlafen, Frau."
Sie schliefen lange am nächsten Morgen und gingen gut gelaunt zusammen zum Frühstück hinunter. Der Däne und seine jungvermählte Frau würden erst in ein paar Tagen, nach Ende aller Feierlichkeiten auf den Landsitz der Schwiegereltern zu ihnen ziehen.
Hardrich war froh, heute mit seiner Frau noch alleine hier zu sein. Er sprach ein hastiges Tischgebet und langte hungrig zum frische Laib Brot auf dem Brett. Er brach sich ein Stück davon ab, stopfte es in den Mund und schnitt dann zwei dicke Scheiben, die er Gertraud reichte. Sie lächelte.Während sie noch aßen, erschien ein Mann der Wache und meldete, dass man bereits gestern Nacht den Gehilfen des Apothekers aufgegriffen hätte.
„Kein Wunder! Der hat sicher noch keine einzige Nacht in seinem Leben auf freiem Felde verbracht. Wie konnte er nur denken, er würde so davonkommen?", brummte der Markgraf kopfschüttelnd.
„Ja, das ist wirklich seltsam", meinte Gertraud nachdenklich und nahm einen Schluck Dünnbier, „Er schlägt Alarm und flieht. Wie reimt sich das zusammen?"
„Keine Ahnung. Komm doch mit und frag ihn. Vielleicht erzählt er es Dir ja", grummelte ihr Mann.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt