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Über das Erzählen hatten beide kaum bemerkt, wie die Zeit verflogen war.
Es dunkelte schon und Gertraud entzündete die Kerzen im Raum. Musik klang zu ihnen herauf. Sie warf einen Blick aus dem Fenster und sah, dass dort die Knappen der hohen Herren bereits die Zelte rund um den Turnierplatz für den morgigen Tag einrichteten. Rüstungen und Waffen, Schemel und Tischchen, klirrende Geschirre und derlei Dinge mehr wurden ausgepackt, geordnet und ein letztes Mal überprüft und poliert. Die Stimmung unter den Burschen und dem mitgereisten Gesinde war ausgelassen. Sie würden sich später im Hof vergnügen, sobald ihre Herrschaft im Saal mit dem Fest begonnen hatte und ihrer nicht mehr bedurfte.
Von Trettin erhob sich und ging, um sich für den Abend umzuziehen. Gertraud blieb allein zurück und ihre Nervosität wuchs.
Unschlüssig stand sie da und fingerte an dem schweren, goldenen Ring an ihrer Hand. Bisher hatte sie ihn noch gar nicht richtig angesehen. Alles war so plötzlich über sie hereingebrochen. Sie zog das kostbare Schmuckstück vom Finger und hielt ihn näher an das Kerzenlicht. Der eingefasste, blaue Stein trug das fein herausgearbeitete Wappen der Familie von Aven, Bär und Lilie. Das winzige, spiegelverkehrte Abbild war eine meisterliche Arbeit. Sie überlegte gerade, was es wohl für ein Stein sein konnte, als es knapp klopfte und Hardrich ins Zimmer trat. Er sah sie mit dem Ring am Licht stehen und trat zu ihr.
"Na? Prüfst Du, ob er echt ist? Glaubst du, ich würde Dir irgendeinen Tand schenken?", fragte er nicht ohne Vorwurf in der Stimme.
"An seiner Echtheit hege ich keinerlei Zweifel. Ich finde nur erst jetzt einen Augenblick Zeit, ihn überhaupt einmal anzusehen. Er ist wunderschön! Wie nennt man denn den schönen blauen Stein?", fragte sie lächelnd.
Er griff nach dem Kleinod und hielt ihn noch dichter ans Licht.
"Leuchtendes Blau mit feinen goldenen Adern, siehst du? Das ist ein Lapis. Der Goldschmied hat die letzten Nächte wohl durchgearbeitet, um ihn rechtzeitig fertig zu bekommen", antwortete er, nahm dann ihre Hand und steckte den Ring langsam zurück an ihren Finger.
Dabei sah er sie unverwandt an. Und als sie ihre Augen hob und seinen Blick erwiderte, waren alle Zweifel hinweggefegt und alle Anspannung von ihren Schultern abgefallen.
"Mein Gemahl", hauchte sie und schmiegte sich an das glänzende Metall seines Brustpanzers. Schweigend umfing er sie mit seinen Armen und drückte sein Gesicht in ihr Haar.
"Ich kann immer noch nicht glauben, dass Du das wirklich für mich getan hast, mein Herz. Du hast mir große Ehre erwiesen In meinen kühnsten Träumen hätte ich das nicht zu hoffen gewagt. Und glaub mir, sie waren schon ziemlich kühn meine Träume", flüsterte sie.
Er stieß den Atem aus und zog sie noch fester an sich, sagte aber nichts. Plötzlich fasste er mit seiner riesigen Rechten in ihr Haar, ballte die Hand zur Faust und sah sie mit wild funkelnden Augen an. Sie erschrak über seine Heftigkeit, bemühte sich jedoch, seinen Blick ruhig zu erwidern. Sie hob ihr Gesicht zu ihm auf und bot ihm ihren halboffenen Mund zum Kuss. Er ließ ihr Haar los und legte seine Hand an ihr Gesicht, strich mit dem Daumen über ihre Lippen. Sie schloss die Augen und spürte den wohligen Schauer, den die Berührung seiner rauen Haut ihr über den Körper schickte.
Sie küssten sich.
Da flog mit einem Mal die Tür auf und Marianne stürzte herein.
"Weißt Du, was man sich erzählt ...", rief sie aufgeregt, warf die Tür hinter sich ins Schloss und stand schon mitten im Zimmer, als sie den Markgrafen gewahr wurde.
Zu spät, um zurück auf den Flur zu fliehen. Entsetzt starrte sie in das wutverzerrte Gesicht des Ritters. Hardrich ließ Gertraud, die mit dem Rücken zur Tür gestanden hatte und, benommen von seinem Kuss, zu spät erfasste, was geschah, abrupt los. Mit einem Schritt war Hardrich bei der Magd, fasste sie grob am Nacken und schüttelte ihren schmächtigen Körper wie einen jungen Hund.
"Nun, was erzählt man sich denn? Ha?", brüllte er sie an, "Ich hoffe, es ist es wert, dafür das Genick gebrochen zu bekommen! Was fällt Dir ein, unaufgefordert einzutreten!"
Mariannes Beine versagten ihr den Dienst und sie sackte mit Tränen in den Augen in die Knie. Verächtlich ließ der Ritter sie los, holte aus und verpasste ihr eine solch derbe Ohrfeige, dass sie zur Seite flog.
Dann drehte er sich zu Gertraud um und knurrte diese an:
"Um Deinetwillen werde ich es heute hierbei belassen. Aber wenn ich sie noch einmal bei einer solchen Verfehlung erwische, dann Gnade ihr Gott! In einer Stunde lasse ich dich holen."
Dann stapfte er zornig aus der Tür.Gertraud kniete sich neben die Freundin und legte ihr die Hand auf die Schulter.
"Ach, Marianne! Wie konntest Du einfach so hereinplatzen? Du hast doch sonst immer geklopft und auf ein Wort von mir gewartet. Er hätte jederzeit hier sein können", sagte sie besorgt.
Marianne schluchzte:
"Ich war so aufgeregt, ich hatte es ganz vergessen. Und ich dachte, ich hätte den Herrn gerade noch unten bei den Gästen gesehen. In der Küche erzählen sie, der Markgraf würde sich heute verheiraten! Das wollte ich Dir doch sofort sagen!"
Ihre Lippe war aufgeplatzt und blutete. Gertraud lief, um einen nassen Lappen zu holen. Als sie zurückkam, hielt sich Marianne die schmerzende Wange, die vom Schlag rot glühte und stand unsicher auf. Die ausgestandene Angst steckte ihr noch in den Gliedern und Gertraud führte sie zu einem der Sessel. Dann presste sie das Tuch auf die Wunde, bis die Blutung etwas nachließ. "Alle rätseln, wen er nun wählen wird", fuhr die junge Magd endlich fort und verstummte, als sie Gertraud verstohlen grinsen sah.
"Ich weiß es bereits", sagte diese munter.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt