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Den ganzen folgenden Tag über setzte er mit gesenktem Kopf einen Fuß vor den anderen, sprach mit keiner Menschenseele und sah niemandem in die Augen. Ihm war, als müsse er Buße tun und er beschloss, zu fasten.

So trottete er vor sich hin, Gebete murmelnd und mit flauem Magen. Der Weg führte jetzt stetig bergauf, hinauf in die Berge Judäas.

Seine Hand quälte ihn.

Das Weibsbild hatte ihm den Finger fast abgebissen. Doch eben nur fast. Ihre Zähne hatte das Gelenk zwischen Finger und Mittelhandknochen durchtrennt. Es hatte ziemlich geblutet und nur einige Hautfetzen, Muskelstränge und Sehnen hielten den kleinen Finger noch am Platz.

Es würde nicht mehr heilen. Er musste den Finger ganz abnehmen, bevor er anfing zu faulen. Doch ohne Klinge wusste er nicht, wie er darangehen sollte und so hielt er fürs erste die verletzte Hand beim Gehen an seinen Bauch gepresst.

Sein Kopftuch hatte sich in der unförmigen Kapuze seiner Kutte verfangen und Hardrich war froh, dass es ihm trotz seiner wilden Flucht am Vorabend geblieben war. Das zumindest war Glück im Unglück gewesen.

Denn obwohl sein Haupthaar zunehmend länger wurde, wuchs es doch auf der vernarbten Stelle selber nur spärlich. Er würde seine Stirn weiterhin verbergen müssen und die klobige Kapuze taugte dazu nicht, denn sie rutschte ständig in den Nacken zurück.

Das Tuch verbarg nicht nur beide Kopfverletzungen, es schützte auch besser vor der Sonne und ließ ihn zudem ein wenig wie einen Einheimischen aussehen.

Er kam nur langsam voran. Die ansteigende Straße zu bewältigen, ohne etwas im Bauch zu haben, fiel ihm schwer. Ihm war leicht schwindelig. Doch er zwang sich weiter.

Gegen Abend sah er etwas abseits der Straße eine große Schafherde grasen und in der Nähe ein Feuer, an dem sich vier Männer niedergelassen hatten.

Er stand eine Weile unschlüssig da und grübelte, entschied sich dann, hinüber zu gehen und sich ein Messer zu borgen. Es war nicht klug, die notwendige Amputation hinauszuzögern. Die Hand war bereits jetzt angeschwollen und pochte unangenehm.

Die Hirten sahen ihn kommen und riefen ihre Hunde zurück, die den Fremden verbellten. Hardrich wandte sich an den Ältesten der vier, grüßte knapp, zeigte die Hand vor und versuchte, seinen Wunsch mit Gesten irgendwie verständlich zu machen.

Der alte Mann nickte bedächtig, hieß den Ritter, sich zu setzen, besprach sich kurz und zeigte auf einen der Jüngeren. Der zog sein Messer, suchte aus seinem Beutel einen Wetzstein und schärfte als erstes sorgfältig die Klinge, bevor er zu Hardrich trat. Der streckte die Rechte nach dem Messer aus, doch der Ältere wandte etwas ein, schüttelte den Kopf und deutete eindringlich auf den anderen. Es mochte wohl sein Sohn sein. Offensichtlich war er der Meinung, dem jungen Mann sei der nötige Eingriff eher zuzutrauen.

Hardrich zögerte, willigte dann aber ein.

Er war sich ziemlich sicher, es notfalls auch selber bewerkstelligen zu können, aber es ging ihm nicht wirklich gut. Es flimmerte vor seinen Augen und er schwitzte stark.

Der Hirte suchte noch ein paar Lederstreifen aus seinem Packen und befühlte dann gewissenhaft die Verletzung. Das tat weh und Hardrich biss die Zähne zusammen, doch der Mann schien tatsächlich zu wissen, was er tat. Dann legte er sich die verletzte Hand auf einem Stein zurecht.

Er suchte noch einmal fragend Hardrichs Blick und der nickte. Der Mann setzte das Messer an und fackelte nicht lange. Die Klinge war so scharf, dass der Ritter den Schnitt selber fast nicht spürte. Das Brennen danach schon.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt