43

368 16 14
                                    


Am nächsten Morgen erwachte sie früh und war sehr froh über das Nachtgeschirr im Zimmer, denn so musste sie nicht hinaus in den kalten Verschlag huschen, um ihr Wasser zu lassen. Dann schlüpfte sie zurück ins Bett. Hardrich schlug die Augen auf. Gestern Abend hatte sie ihn gar nicht mehr kommen hören, sondern schlief bereits tief, als er sich zu ihr legte. Jetzt sah er sie versonnen an und seufzte.
Die gegenwärtige Enthaltsamkeit wurde ihm zunehmend unerträglich. Wenn er nur etwas zur Ruhe kam, überfielen ihn ständig die Bilder ihrer letzten gemeinsamen Reise. Ihre Nächte im Halbdunkel des Zeltes, in fremden Betten fernab von Verantwortung und Sorgen. So voll von selbstvergessener Hingabe. Einiges brauchte er sich nur im Ansatz ins Gedächtnis zurückrufen und das Blut schoss ihm ins Geschlecht. Meist war er es ja, der ein Liebesspiel begann. Der, die Führung übernahm. Und sie folgte, ließ sich mitreißen, kam ihm entgegen und nahm seinen Takt auf. Doch auch sie hatte einige Male den Anfang gemacht. Und es wunderte ihn immer noch, warum zum Teufel ausgerechnet das ihm dermaßen gefallen hatte. Er hatte im Zelt vor seinen Satteltaschen gekniet und etwas gesucht, als sie sich von hinten an ihn presste. Sie hatte ihm ins Ohr geflüstert, wie sehr es sie nach ihm verlangte und ganz langsam hatte sie dabei ihre Hand unter seinem Gürtel hindurch und hinein in seine Beinkleider geschoben. Solche Bilder hatte er nun immer wieder in seinen Tagträumen im Kopf. Ihre Hand an seinem Gemächt, ihr leicht gequälter Gesichtsausdruck, kurz bevor ihr Höhepunkt sie überrollte und ihre wippenden Brüste...
Dann lief er den halben Tag mit einer fast schmerzhaften Erektion am Leib herum und vermochte kaum seine Arbeit zu tun. Er hatte kurz erwogen, ein Hurenhaus in der Stadt aufzusuchen, verwarf den Gedanken aber wieder. Die unschönen Erfahrungen der Vergangenheit widerten ihn inzwischen an und für einen Tagesritt nach Salin fehlte ihm eindeutig die Zeit. Also hatte er in den letzten Wochen einige Male selber Hand angelegt. Er wusste natürlich, dass alle Lust, die nicht der Zeugung eines Kinder diente, von Übel und eine Sünde war, wenn auch eine lässliche, aber wenn er sich nicht selber hin und wieder Erleichterung verschafft hätte, wäre er inzwischen mit Sicherheit wahnsinnig, dachte er und verfluchte seine Willensschwäche. In der langen Fastenzeit vor Ostern, hatte er die Nähe seiner Frau gemieden, um nicht in Versuchung zu geraten und es letztendlich trotzdem nicht vollkommen enthaltsam über die Zeit geschafft.
Aber jetzt wollte er ihr nah sein, solange er noch hier war. Wer wusste schon, ob er sie je wiedersah. Dieses Kind...
Fast war er versucht, es zu verwünschen. Musste sie gerade jetzt schwanger sein, dachte er zähneknirschend. Er wollte die Gebote der Kirche halten, sie nicht bedrängen und auch das Kind nicht gefährden. Er wollte alles richtig machen, weil es das war, was er von sich erwartete. Und für sie. Denn er liebte sie jeden Tag mehr, den er sie kannte. Ihre Warmherzigkeit, ihre bodenständige Offenheit, ihre Klugheit und ihre besondere Empfindsamkeit, die tief in seine Seele sah.
Aber das unerfüllte, körperliche Verlangen nach ihr, brachte ihn derzeit fast um den Verstand. Jetzt sah er ihr Lächeln direkt neben sich auf dem Kissen. So nah. Ihr Atem streifte ihn und ihre Hand strich eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und hinter ihr Ohr. Ihre Hand... Er schloss stöhnend die Augen, wandte sich ab und legte seinen schweren Arm quer über seine Augen.
Sie ahnte nur zu gut, was in ihm vorging. Denn ihr ging es ganz genauso. Wenn er sich abends in ihrem Beisein entkleidete und, ganz in Gedanken, die muskelbepackten Arme und den Nacken reckte und seine Schultern rollte, vermochte sie nicht den Blick abzuwenden und konnte nur mit Mühe den Wunsch unterdrücken, ihn zu berühren. Von Anfang an hatte sie sich von seiner außergewöhnlichen Physis angezogen gefühlt. Von seiner hochgewachsenen, athletischen Statur, die jedermann um ihn herum überragte. Alles an ihm war groß, unnachgiebig und kraftvoll. Und es schien ein Feuer in ihm zu brennen. Tag und Nacht. Sein Körper strahlte eine Hitze aus, nach der sie sich gerade in letzter Zeit mehr und mehr verzehrte. Nur eines gab es, dass sie neben dieser Körperlichkeit noch mehr in seinen Bann zog. Und das war ein Blick in seine Augen. Abgründe schienen sich dahinter aufzutun. Doch sie hatte bei ihrer allerersten Begegnung unbefangen hineingesehen und sie fürchtete sich nicht. Im Gegenteil. Das Gefühl hinein gesogen zu werden und zu fallen, berauschte sie. Immer wieder aufs Neue.
Jetzt rückte sie an ihn heran bis sie an seinem nackten Körper lag, griff nach seiner Hand und zog seinen Arm von seinem Gesicht. Und im ersten Tageslicht, das durch die Ritzen der Fensterläden fiel, sah sie in das tiefe Dunkelblau seiner Augen und das schmerzhafte Sehnen, das darin lag, ging ihr einmal mehr durch Mark und Bein. Und sie entschied, dass es an der Zeit war, dass sie beide bekamen, wessen sie ganz offensichtlich beide bedurften.Sie küsste ihn. Er schloss die Augen und erwiderte ihre Küsse. Zögerlich nur. Er hielt sich zurück, das war nur allzu deutlich. Während sie ihn weiter innig küsste, schob sie ihre Hand unter die Decke und legte sie auf seinen Bauch. So weit unten, dass ihr kleiner Finger bereits sein Schamhaar streifte. Er keuchte laut auf und krümmte sich zusammen. Ganz kurz nur sah er sie fast verzweifelt an und warf sich mit geschlossenen Lidern wieder zurück in die Kissen. Ihre Hand liebkoste die warme Haut seiner Leiste, glitt langsam hinunter zwischen seine massigen Oberschenkel und spürte ihn beben. Jede Faser angespannt. Als sie dann endlich sein hartes Geschlecht umfasste und ihr Knie zwischen seine Beine schob, bog er aufstöhnend seinen Rücken durch.
„Frau", ächzte er.
„Soll ich aufhören?", fragte sie schmunzelnd.
„Wehe...", presste er hervor, warf ihr einen finsteren Blick zu und umfasste mit seiner großen Rechten fest ihre Hand an seinem Glied.
Mit der Linken umfing er sie, griff an ihr Gesäß und zog sie an sich. Und als sie ihn jetzt küsste, war seine Zurückhaltung verflogen. Seine Zunge stieß in ihren Mund und seine Hände pressten in raschem Rhythmus ihre Hand und ihren Leib an sich. Erhitzt von der zunehmenden Wärme unter dem alten Federbett, begann es nun auch in ihrem Schoß heftig zu pochen. Kurz dachte sie an das Kind in sich und hoffte, dass ihm dies nicht schaden würde. Aber die Hebamme hatte nur vom ehelichem Verkehr gesprochen und auf diese Weise würde es ja nicht zu einem Eindringen kommen. Außerdem wusste Gertraud von ihren Freundinnen damals in Rettow, dass einige es mit der Enthaltsamkeit während der Schwangerschaft auch nicht so genau genommen hatten. Besonders dann, wenn schon drei oder vier kleine Kinder an ihren Rockzipfeln hingen. Und geschadet hatte es den Ungeborenen nie. Nein, belasten würde dies nur ihr eigenes Seelenheil. Und um das zu büßen würden sie beide demnächst monatelang Zeit haben, dachte sie. Trotzdem hatte sie kein reines Gewissen, schob den Gedanken daran aber beiseite.Seine Erlösung ließ nicht lange auf sich warten. Als sich sein Atem danach etwas beruhigt hatte, schob sie sich auf ihn und begann ihre Mitte an ihm zu reiben, bis auch sie mit einem erstickten Keuchen Befriedigung fand. Mit halboffenem Mund sah er ihr dabei zu. Danach blieb sie seufzend auf ihn liegen. Sie liebte es, auf seinem Leib einzuschlafen. Mit seinen Armen um sie, sanft in den Schlaf gewiegt vom Heben und Senken seines Brustkorbes, ganz so, als spürte er ihr Gewicht rein gar nicht. So war es dann auch schon später Vormittag, als sie wieder erwachten. Draußen hörten sie die Männer ihres Begleittrupps lachen und rufen und die Sonne schien gleißend durch die Fensterritzen. Es würde ein schöner Tag werden. Glücklich sah Hardrich auf seine Frau, die immer noch auf ihm lag und drehte sich dann zur Seite, sodass sie herunterrutschte.
Er lachte, als sie bedauernd maulte.
„Auf jetzt! Wir wollen heute noch einiges an Strecke machen."
„Wohin wollen wir denn nun eigentlich?", fragte sie und setzte sich auf.
Er gähnte und streckte sich wohlig.
„Ans Meer", antwortete er und schwang sich aus dem engen Bettkasten.
Er wusch sich rasch Gesicht und Hände und war schon halb in seinen Kleidern, als er sich nach ihr umsah und bemerkte, dass sie sich nicht gerührt hatte und ihn sprachlos anstarrte.
„Was ist?", fragte er und grinste.
„Ans Meer? Wirklich?", fragte sie ungläubig zurück und ein strahlendes Lächeln brach sich auf ihrem Gesicht Bahn.
Sie konnte es nicht fassen. Sie hatte wirklich gedacht, er hätte in den nördlichen Lehen noch etwas erledigen und sie könne ihn dabei begleiten. Er trat zu ihr, strich ihr Haar zurück und küsste ihre Halsbeuge.
„Ich hatte es Dir versprochen, weißt Du nicht mehr? Und ich will nicht gehen, ohne das ich alle meine Versprechen erfüllt habe", antwortete er ernst.
Wieder sprach so deutlich Defätismus aus seinen Worten, dass ihre Freude in sich zusammenfiel wie ein Kartenhaus. Das glückliche Lächeln wich aus ihrem Gesicht.
„Aber Du kommst doch wieder! Ich weiß es sicher. Wir können jederzeit ans Meer fahren, wenn Du wieder da bist."
„Ja", sagte er leise, „Ja, natürlich."
Sie schlang ihre Arme um seinen Hals.
„Bitte... Hardrich", flehte sie.
Er seufzte.
„Du bist mir das Liebste... das Teuerste auf Gottes weiter Erde. Und ich werde zurückkommen, wenn das Gottes Wille ist. Und wenn ich dafür jeden verdammten Heiden im Heiligen Land erschlagen muss. Aber es ist mir auch wichtig, keine Verbindlichkeiten hier offen zurückzulassen, Frau. Kannst Du das nicht verstehen?"
„Ich versuche, es zu verstehen", flüsterte sie, „Aber es klingt so sehr nach Opfer. Ich will Dein Opfer nicht! Ich will dich."
So standen sie eng umschlungen beisammen, bis er schließlich versöhnlich brummte:
„Na, komm. Lass uns den Tag nutzen."
Sie holte tief Atem, nickte und antwortete entschlossen:
„Ja."
Rupert hatte das übriggebliebene Brot vom Vortag geröstet und es gab die kalten Bratenreste, Käse und Dünnbier zum Frühstück. Sie saßen zu dritt in der gemütlich warmen Küche, aßen und erzählten. Die Männer draußen hatten in Zelten übernachtet und mitgeführte Vorräte gegessen. Allerdings hatte der alte Gutsherr ein Fass von Kerners bestem Hellen ausgegeben, das nun heute früh endgültig geleert wurde. So waren alle satt und in ausgesprochen heiterer Stimmung als es wenig später dann endlich los ging.
Der Morgennebel hatte sich längst verzogen und die Sonne strahlte vom tiefblauen Himmel. Sie verließen Rettow in nordöstlicher Richtung und gelangten am späten Nachmittag an den großen Strom. Die Wote. Sie bildete die Ostgrenze der Mark und floss gen Norden, wo sie inmitten der freien Hansestadt Wotemünde in die Ostsee floss. Gertraud hatte den gewaltigen Fluss kaum jemals aus der Nähe gesehen und staunte. Das andere Ufer schien in der Abenddämmerung Meilen entfernt. Bis zum Dunkelwerden folgten sie der gut ausgebauten Straße entlang des Ufers bis zu einer kleinen Stadt, an dessen Rand sie ihr Lager für die Nacht errichteten. Die Männer losten, wer bei Pferden und Gepäck Wache halten musste, während der Rest mit dem Markgrafen und seiner Frau in das Städtchen ging und den Abend in einer der Schenken verbrachte. In den Gassen drängten sich die Menschen. Ein bunt gemischtes Völkchen, wie es schien. Hier, entlang des belebten Handelsweges, war ein nicht enden wollender Strom von Händlern und Reisenden unterwegs.Die Ländereien nördlich der Ostmark unterstanden direkt dem Königshaus. Nicht wegen der kleinen Fischerdörfer entlang der Küste oder der dichten, sumpfigen Wälder landeinwärts, sondern allein wegen der drei reichen Handelsstädte an der Ostsee. Ohne viel Aufwand füllten diese die königlichen Kassen. Man überließ Obrigkeit und Rechtsprechung großzügig der städtischen Selbstverwaltung und kassierte für den gewährten Schutz jedes Jahr eine stattliche Summe Abgaben. Schon Hardrichs Vater hatte sich zu Lebzeiten um die Hoheitsgewalt über zumindest eine dieser Städte bemüht, was für seinen Sohn immer Ansporn gewesen war, dieses Ziel weiter im Hinterkopf zu behalten. Heute Abend aber saßen sie hier in dem verräucherten Schankraum, aßen und tranken Bier. Gertraud besah sich mit leuchtenden Augen das Treiben um sich. Es fühlte sich gut an, mitten unter den Reisenden und Einheimischen in Hardrichs Arm da zu sitzen und den Alltagsgesprächen an den Nebentischen zu lauschen. Unerkannt. Nur eines von vielen wohlhabenden Paaren auf Durchreise. Der Ritter war schweigsam und tief in Gedanken versunken. Gertraud ergriff seinen Hand und verschränkte ihre Finger mit ihm. Er sah mit einem seltenen Lächeln auf sie herab und sie verlor sich erneut im Dunkel seiner Augen.
Nicht nur seine Glieder strahlen eine Wärme aus, wie von einem inneren Feuer erhitzt, dachte sie. Auch tief in seinem Geist schwelte es wie immerglühende Kohlen. Und ein einziger scharfer Windhauch genügte, um sie zum Auflodern zu bringen. Dann schlug er blindwütig um sich. Rasend und gnadenlos. Auch diese Seite von ihm kannte sie inzwischen. Die Hebamme hatte gemeint, Hardrich habe sich zu seinem Guten verändert seit sie da war, aber Gertraud glaubte das nicht. Misstrauen, Zweifel, Jähzorn... Alles, was das Glimmen in ihm in Gang hielt, war ja noch da. Aber vielleicht, dachte sie manchmal, vielleicht schirmte sie den Wind ein wenig ab. Mit ihrem Vertrauen in ihn.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt