Hardrich hatte in der Kirche von einem der Priester bestätigt bekommen, was auch Kuno schon gehört hatte. Der Kreuzzug würde kommen.
Gertraud jedoch erfuhr erst am nächsten Abend von Hardrich die volle Wahrheit, als er von der Zusammenkunft aller Lehensmänner, Ritter, Kleriker und Adligen zurückkehrte und er es selber noch einmal aus dem Munde des König vernommen hatte. Neben der niederschmetternden Tatsache, dass die Gerüchte sich letztendlich als wahr erwiesen hatten, war der Tag für ihn ein einziges Spießrutenlaufen gewesen.
Sein spätes Erscheinen zum Turnier, im Laufschritt wie ihm heute nicht nur einmal unter die Nase gerieben wurde, und sein miserables Abschneiden dort, hatten ihm allenthalben hämische Blicke und Spott eingebracht. Sogar der König hatte gescherzt, die Ehe bekomme ihm anscheinend doch nicht so recht, wenn er nun besser im Laufen als im Lanzenreiten wäre. Alles hatte gelacht. Sogar Kuno hatte sich ein Grinsen nicht verkneifen können.
Es hatte wahrscheinlich auch wirklich komisch ausgesehen, aber Hardrich vermochte nicht mitzulachen. Er verging vor schmachvoller, schmerzlicher Scham. Noch nie war er öffentlich derart erniedrigt worden.
Er wunderte sich, wieso seine Wut ausblieb. Aber alles was er fühlte, war Niedergeschlagenheit. Jetzt ließ er sich ächzend auf sein Bett sinken. Dort lag er mit geschlossenen Augen und versuchte, dem Durcheinander in seinem Kopf Herr zu werden. Ein Ziehen in der rechten Schläfe kündigte Schmerzen in seinem Schädel an. Genau das fehlte ihm jetzt noch, dachte er zerschlagen.
Er öffnete die Augen und sah Gertraud wie verloren am Bettende stehen. Der Schrecken der schlechten Nachricht stand ihr noch immer ins Gesicht geschrieben.
„Die Königin hat vorhin nach Dir gefragt. Sie hat Dich vermisst heute beim Empfang der Damen. Maria war hier, um Dich abzuholen, aber Du warst nicht da, sagte sie mir. Wo zum Teufel hast Du gesteckt?", fragte er stirnrunzelnd und in vorwurfsvollem Ton.
„Ich? Ich war in der Kirche. Zur Messe und... und zur Beichte", murmelte sie, „Es tut mir leid! Ich wusste nicht, dass etwas anderes von mir erwartet wurde."
Er stöhnte entnervt.
„Morgen wirst Du Deine Pflicht tun und das Damentreffen besuchen. Ist das klar, Frau?", wies er sie streng an.
„Ja. Natürlich", antwortete sie leise.
Zu gerne hätte sie Trost in seiner Nähe, in seinem Arm, gesucht und auch ihm Trost gespendet, aber sie wagte nicht, ihm näher zu kommen.
„Möchtest Du etwas essen? Ich habe...", begann sie stattdessen, um wenigstens das Gespräch nicht abreißen zu lassen.
„Sehe ich aus, als hätte ich Hunger, Frau?", unterbrach er sie kalt, öffnete mit schwerer Hand den Riemen seiner Kappe und nahm sie ab.
Er ließ sie auf den Boden fallen und presste die Handballen auf seine Schläfen.
„Der Kopf?", fragte Gertraud mitleidig.
Er nickte nur und schloss wieder die Augen. Gertraud war froh, etwas tun zu können. Sie dunkelte rasch das Zimmer ab und holte die Wasserschüssel und einige Tücher. Sie legte ihm einen feuchten, kühlen Lappen auf die Stirn und er ließ es wortlos über sich ergehen. Danach schickte sie nach einem Krug frischen Trinkwassers vom Brunnen und stellte den Becher in Reichweite für ihn. Gerne hätte sie ihm irgendwie noch mehr Linderung verschafft, aber schon dies schien ihm zu viel zu werden.
„Lass mich einfach schlafen", murmelte er gequält.
„Ruf mich, wenn Du etwas brauchst. Ich bin nebenan", erwiderte sie bedrückt und verließ leise das Schlafgemach.Nach dem Gewitter am Vortag schlug das Wetter um und es wurde nass-kalt und windig draußen. Die nächsten Tage sahen sie sich kaum und sprachen nur wenig miteinander. Hardrich war von früh bis spät in Besprechungen, die die Einzelheiten des Feldzuges betrafen und Gertraud besuchte die Veranstaltungen, die die Königin derweil für die Damen vorbereitet hatte. Darbietungen populärer Sänger, Lesungen in Poesie, alberne Spiele und derlei mehr. Dazwischen viel geselliges Beisammensein. Ein geplantes Picknick musste wegen des schlechten Wetters leider ausfallen, dafür wurde eine griechische Tragödie gegeben, in der bald alle Darsteller innerhalb kürzester Zeit ermordet am Boden lagen. Gertraud, die des Griechischen nicht mächtig war, verstand kein Wort. Sie hatte den Eindruck, dass es den meisten anderen Damen bis auf wenige Ausnahmen, ebenso ging, allerdings lobten alle das Stück hinterher in den höchsten Tönen.
Die junge Markgräfin begann schon nach kurzer Zeit all das aus tiefstem Herzen zu hassen. Es waren fast siebzig Frauen, die sich morgens zu einer Andacht mit anschließendem Tee und Süßigkeiten in einem der großen Säle trafen und Gertraud war, genau wir ihr Mann, das Ziel von Häme und Sticheleien. Hanna war meist ins Gespräch mit ihren alten Freundinnen vertieft und wollte oder konnte ihr keine Hilfe sein. Und Senhora Nunes, auf deren Anwesenheit Gertraud so gehofft hatte, nahm nicht an den Treffen teil. Sie hatten sich nur einmal kurz von weitem gesehen und gewinkt, aber keine Gelegenheit zu einem Gespräch gehabt.
Der Ritter und seine Frau waren beide erschöpft, wenn sie abends zurück in ihre Unterkunft kamen. Hardrich davon, immer wieder um Strategien, Truppenstärke und Landesgelder feilschen zu müssen und Gertraud davon, den ganzen Tag über gute Miene zum undurchschaubaren Spiel der Damen zu machen.
Die Königin selber war zu jeder Zeit belagert von dutzenden anderer Frauen, hatte nicht ein einiges Wort mit ihr gewechselt und Gertraud dachte anfangs, sie hätte sie überhaupt nicht bemerkt. Fast spielte sie mit dem Gedanken, den Treffen einfach fernzubleiben. Doch je länger sie dabei war, ihre eigenen Beobachtungen anstellte und sich Namen und Verbindungen einprägte, umso häufiger bemerkte sie den kurzen prüfenden Blick der Königin, der hin und wieder auch in ihre Richtung glitt. Die Königin wusste ganz genau wer hier war, wer mit wem wie sprach und was um sie herum geschah. Gertraud passte einen solchen Blick einmal ab und verneigte sich leicht. Und sie sah König Isabella, die sich sofort wieder dem Gespräch zugewandt hatte, in das sie eigentlich vertieft war, ganz kurz schmunzeln.
Gertraud besuchte also weiterhin die Treffen und hielt ihre Augen und Ohren offen. Sie würde diese Spielchen nicht sobald beherrschen, aber sie gab sich alle Mühe, zumindest die Grundlagen zu verstehen.
„Ich kann Dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich auf zuhause freue", seufzte Gertraud eines Abends beim Zubettgehen und sah das erste Mal seit Tagen ein mattes Lächeln auch auf Hardrichs Gesicht.
Und sie war sehr froh darüber.
Hardrichs Niedergeschlagenheit bereitete ihr Sorgen. Fast sehnte sie seine Wutausbrüche herbei, denn die Schwermut, die seit dem Turniertag auf ihm zu lasten schien, war ihr ganz und gar nicht geheuer.
Endlich rückte der Tag der Heimreise näher. Morgen würden sie alle Vorbereitungen treffen und ihren Abschied bei König und Königin nehmen und übermorgen in aller Frühe wollten sie aufbrechen. Das Wetter wurde immer schlechter und Hardrichs Kopfschmerzen, obwohl glücklicherweise nicht zu voller Intensität aufgelaufen, wollten und wollten nicht weichen. Sie hatten nicht allzu viel Gepäck im Vergleich mit vielen der anderen Gäste und auch die Vorräte für die Rückreise waren rasch verstaut, dann allerdings verging der Tag wieder hauptsächlich mit Warten bis sie an der Reihe waren, vor König und Königin zu treten und sich zu verabschieden. Dies dauerte noch länger als bei der Begrüßung, denn jetzt wurden jedes Mal noch einige Worte gewechselt. Es war schon später Nachmittag, als sie endlich an der Reihe waren, vor das Regentenpaar zu treten. Hardrich plagten sein Kopf und seine Schulter und er war froh, dass der König es bei ein paar Floskeln beließ und nur hinzufügte, er erwarte Hardrichs Nachricht mit den genauen Zahlen.
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Die Tochter des Brauers
Romance"Ihr glaubt wirklich, Eure Küche hätte Zugang zum Baum der Erkenntnis?" "Gut pariert, Frau!", lachte er. Sie bewarf ihn mit dem Apfel, er fing ihn auf, zögerte noch einen Moment und biss hinein. Ein mittelalterlicher Roman. Um? Nun ja. Die Tochte...