II - Bär und Lilie
Das Feuerwerk war verweht und das markgräfliche Paar begab sich hinüber zum Jahrmarktstreiben. Fackeln, Laternen und Feuerkörbe erhellten die Wege. Wohin sie kamen traten die Menschen zurück und verneigten sich respektvoll vor ihrem Landesherrn und seiner jungvermählten Frau. Hardrich und Gertraud von Aven schlenderten an den Auslagen der Händler und Schausteller entlang.
Farbenfrohe Stoffe und Tand, süßes Backwerk und Hausrat, Wundertinkturen und Wahrsagerdienste wurden feilgeboten. Jongleure mit brennenden Fackeln, Schwertschlucker und Akrobaten waren zu sehen, während ein bunt gekleideter Kleinwüchsiger mit einem Hut herumsprang und für die Darbietungen sammelte. Mit leuchtenden Augen betrachtete die junge Frau die Artisten und Hardrich warf dem kleinen Mann ein paar Münzen zu.
Sie kamen an eine johlende Menschentraube.
Der Ritter, der über die Schaulustigen hinwegsehen konnte, sagte:
"Von Beverns dänischer Gast misst sich mit einem der Jahrmarktskerle im Armdrücken. Das will ich mir ansehen. Komm. He! Platz da!"
Erschrocken stoben die Leute auseinander vor dem riesenhaften Mann mit dem düsteren Helm auf dem Kopf. Der Markgraf schob Gertraud nach vorne durch die sich bildende Gasse und blieb hinter ihr stehen, die Hände auf ihren Schultern. Am Ende einer langen Tischreihe saßen sich die beiden Kontrahenten gegenüber. Rundherum wurden Wetten abgeschlossen.
Gertraud sah Familie von Bevern ein Stück entfernt am gleichen Tisch sitzen. Lachend verfolgten sie den Eifer ihres Gastes und Gertraud bemerkte den schwärmerischen Blick, mit dem eine der Töchter von Beverns den Rothaarigen betrachtete. Ihr Vater erkannte gerade seinen Lehnsherrn in der Menge und sprang ehrerbietig auf, aber Hardrich winkte stirnrunzelnd ab und wendete sich wieder dem Kräftemessen zu.
Unter den Anfeuerungen der Zuschauer suchten beide Männer die Oberhand zu gewinnen. De Allinge, der Nordländer, wie immer mit einem Lächeln auf den Lippen, der andere Mann schwitzend und mit hochrotem Kopf. Verzweifelt versuchte er gegenzuhalten, aber der Däne war stärker. Krachend schlug der Handrücken des Unterlegenden auf die Tischplatte. Unter Gelächter und Pfiffen verließ der Verlierer den Kreis.
Sören de Allinge lachte, zwinkerte der Tochter seines Gastgebers zu und rief fröhlich in die Menge:
"Nächsten!"
Da trat der Ritter vor.
De Allinge riss zunächst erschrocken die Augen auf, stand dann aber rasch auf, verbeugte sich, wies auf die Bank und sagte vergnügt:
"Oh, große Ehre, Herr! Bitte!"
Hardrich nahm Platz. Die Zuschauer klatschten begeistert und rückten näher heran. Immer mehr Neugierige strömten hinzu. Beide Männer maßen sich mit Blicken und Hardrich krempelte langsam seinen Ärmel auf.Adelhard von Bevern führte derweil Gertraud aus der drängelnden Menge an seinen Tisch, wo sie sich neben seine Frau setzte.
Etwas verlegen lächelte Gertraud die mütterliche Dame an, die sie freundlich begrüßte und sich vorstellte:
"Guten Abend, Frau von Aven. Ich bin Melissa von Bevern und dieses sind meine Töchter Bettina und die kleine Hildegard."
Dann winkte sie einer Magd, um der Markgräfin einen Becher Bier bringen zu lassen.
Gertraud nickte den Mädchen zu und erwiderte:
"Guten Abend, Frau von Bevern. Es freut mich, Euch kennenzulernen."
Dann wandte sie sich an die ältere der beiden Töchter:
"Und nun wollen wir einmal sehen, wie sich Dein Favorit schlägt."
Bettina von Bevern wurde rot und schlug den Blick nieder. Ihre Mutter lächelte die Frau des Ritters nachdenklich an.
Dann beugte sie sich zu ihr hinüber und sagte:
"Hohe Frau, Ihr habt..."
In dem Moment unterbrach ihr Mann sie mit einem lauten Räuspern und wies besorgt zum Ritter hinüber, der offensichtlich darauf wartete, dass Gertraud ihm ihre Aufmerksamkeit schenkte.
"Melissa, halt die Dame nicht mit Deinem Geschwätz auf!", raunte er warnend.
Frau von Bevern verstummte erschrocken. Ein kalter Blick aus den Augen ihres Lehnsherrn traf sie und sie wurde blass.
Gertraud legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm und flüsterte rasch:
"Behaltet Eure Worte im Sinn. Wir kommen darauf zurück."
Dann wandte sie sich Hardrich zu. Dieser sah sie missmutig an und richtete dann sein Augenmerk auf Sören de Allinge. Beide Männer setzten ihre Ellenbogen auf den Tisch und packten sich an den Händen.
"Fertig?", fragte der rotblonde, bärtige Däne.
Hardrich nickte.Unter dem Geschrei und Gejohle der Umstehenden begannen die Männer ihre Kräfte zu messen. Zunächst schien keiner der beiden sich durchsetzen zu können, denn die gefassten Hände schlugen weder zur einen noch zur anderen Seite aus.
"Na, drückt Ihr schon?", fragte der Ritter spöttisch.
Der Däne grinste, schnaufte vor Anstrengung und verdoppelte mit zusammengebissenen Zähnen sein Bemühen. Langsam, ganz langsam drückte er Hardrichs Rechte nieder. Seine angespannten Muskeln bebten. Immer weiter näherte sich Hardrichs Handrücken dem Holz der Tischplatte, bis nur noch etwa zwei Finger breit Platz blieben. Ächzend versuchte der Däne, den Sieg so nahe vor Augen, den Ritter endgültig niederzuringen.Hardrich sah zu Gertraud hinüber. Und ohne den Blick von ihr zu wenden, drängte er mit einem Mal die Hand seines Gegners zurück. Scheinbar mühelos warf er den Arm des Nordländers herum und dessen Rechte auf den Tisch nieder.Gertraud applaudierte lächelnd. Die Leute um sie herum lachten und klatschten und auch de Allinge gratulierte dem Sieger keuchend.
Während der Däne dann noch einige höfliche Worte mit dem Herrn der Mark wechselte und seinen Diener nach Bier ausschickte, wandte sich die junge Frau des Ritters wieder der Dame neben sich zu.
"Nun, Frau von Bevern, was wolltet Ihr mir sagen?", fragte sie freundlich.
Vorsichtig spähte diese zum Ritter hinüber, rückte näher an Gertraud heran und flüsterte:
"Mir scheint, Ihr habt ein gutes Auge für die Dinge des Herzens, die um Euch herum geschehen. Ihr habt gleich bemerkt, wie es um Bettina und unseren Gast steht, nicht wahr?"
Gertraud nickte.
Frau von Beverns seufzte. Sie warf einen besorgten Blick auf ihre Älteste und fuhr leise fort:
"Er hat schon im Frühjahr angedeutet, bei diesem Besuch um ihre Hand anhalten zu wollen. Und ihr Vater und ich selber waren mehr als glücklich darüber. Er ist ein so guter Christ und ein Mann mit einem großen Herzen. Aber als Adelhard den Ritter einmal ganz behutsam darauf ansprach, zerfielen all unsere Hoffnungen zu Staub. Ob wir hier im Lande nicht genug stattliche Männer hätten, hat er gefragt. Oh, hohe Frau! Es wird nicht nur Bettina das Herz brechen, wenn wir ihn abweisen müssten! Könntet nicht Ihr noch einmal ein gutes Wort für uns einlegen?"
"Mich ehrt Euer Vertrauen, aber ich fürchte, Ihr überschätzt das Gewicht meiner Worte, Frau von Bevern. Doch will ich, wenn sich die Gelegenheit ergibt, gerne tun was ich vermag", versprach Gertraud.
Frau von Bevern lächelte und drückte dankbar ihren Arm.
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Die Tochter des Brauers
Romance"Ihr glaubt wirklich, Eure Küche hätte Zugang zum Baum der Erkenntnis?" "Gut pariert, Frau!", lachte er. Sie bewarf ihn mit dem Apfel, er fing ihn auf, zögerte noch einen Moment und biss hinein. Ein mittelalterlicher Roman. Um? Nun ja. Die Tochte...