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Wichard schlief, bis es am nächsten Tag allerhöchste Zeit für den Kirchgang war und Gertraud sah ihn nur kurz während eines hastigen Frühstücks.

Beat, Rupert, Melli und sogar Irma, sie alle wetteiferten um die Aufmerksamkeit des Hausherrn. So viel war unter der Woche liegengeblieben, was nun besprochen und entschieden werden musste. Alle hatten sie Wichard so viel zu erzählen. Pachtangelegenheiten, Fischteiche, Onjuks Versorgung, Vorratshaltung, das Dach des Gesindehauses, ein lahmendes Reitpferd und immer wieder Anka...

Von Dühring bemühte sich einigermaßen geduldig, allen gerecht zu werden, doch als sich sein Blick einmal mit dem Gertrauds traf, rollte er die Augen.

Die Last der Verantwortung.

Wie sehr auch Hardrich das verabscheut hatte, dachte sie und lächelte mitfühlend.

Dann machte man sich gemeinsam gut gelaunt zum Gottesdienst auf und nur die Markgräfin blieb mit einigem Bedauern allein zurück.

Seufzend sah sie ihnen nach und rief dann Anka zu sich.

„Na, wenigstens Du bleibst bei mir."

Die Hündin fiepte zustimmend und blickte schwanzwedelnd zu ihr auf.

Eigentlich hatte Gertraud vorgehabt, vor dem Hausaltar im Kaminzimmer ihre Gebete zu sprechen. Doch dort wurde um dieses Jahreszeit noch nicht geheizt und der Raum war ausgekühlt und wenig gemütlich. Die Aussicht, dort alleine im Kalten zu knien, ließ sie noch eine Weile missmutig herumtrödeln, bis sie schließlich beschloss, in die Küche auszuweichen. Dort hatten die Mägde die morgendliche Grütze gekocht und der Herd war noch heiß und wärmte den niedrigen Raum.

Hier hing ja auch ein kleines Kreuz an der Wand und schließlich war sie schwanger, rechtfertigte sie sich ihrem eigenen, nicht ganz reinen Gewissen gegenüber.

Sie ließ sich auf die Küchenbank sinken und versuchte, sich auf ihre Psalmen zu konzentrieren. Anka legte die Schnauze auf ihr Knie und schien gleichermaßen froh, nicht allein zurückgeblieben zu sein. Sie schnaufte hörbar und es klang wie ein tiefer, erleichterter Stoßseufzer.

Schmunzelnd kraulte die Schwangere ihr den Nacken.

Mit Gertrauds Andächtigkeit war es heute allerdings nicht weit her. Ihre Gedanken schweiften immer wieder ab. Zu Hardrich.

Was, wenn er jetzt plötzlich in der Tür stünde? Und sie sähe. Hochschwanger wie sie war. Unwillkürlich ächzte sie.

Sie wünschte ihn sich zurück. Nichts sehnlicher als das. Aber nicht jetzt! Nicht bevor dieses verfluchte Etwas aus ihr heraus war.

Ein Ziehen lief durch ihren Leib und sie spürte, wie sich ihr Bauch kurz verhärtete. Dann verebbte es wieder. Das ging jetzt schon seit Tagen so. Was bedeutete das nur? War es denn nicht endlich soweit?

Anna und Melisande hatten noch keine Geburten miterlebt und konnten ihr nicht raten und Irmas Erfahrungen lagen bereits eine ganze Weile zurück. Im Grunde war sie selber die einzige im Haus, die sich ein wenig auskannte und das würde reichen müssen, denn sie würde auf keinen Fall weitere Mitwisser an ihrer Schande zulassen.

Gertraud war dieser Tage nah am Wasser gebaut und musste oft an ihre eigene Mutter denken. Gerade in dieser Lebenslage vermisste sie sie schmerzlich. Viel hätte sie dafür gegeben, sie jetzt bei sich zu haben. Mit ihrer Erfahrung und ihrem Trost. Wenn sie jetzt an sie dachte, war ihr erneut zum Weinen zumute.

Melli hatte sie nichts von ihren leichten Vorwehen erzählt, denn die fürchtete sich fast mehr vor der Entbindung, als die Schwangere selber. Und so lieb und teuer ihr ihre Freundin auch war, deren Angst und Unsicherheit war nichts, das sie jetzt ständig aufzufangen vermochte. Alles war so furchtbar ermüdend. Jedes Aufstehen, jeder Gang. Nicht einmal im Liegen vermochte sie Kraft zu schöpfen.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt