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Hardrich traf etwa zwei Stunden vor der Gesellschaft von Beverns in Drelen ein.
Der Dorfvogt, ein beleibter Mann mit einem struppigen, grauen Schnurrbart, begrüßte den Ritter untertänig und lud ihn in seine einfache Hütte ein. Dort rief der Markgraf seine Jagdführer zusammen und befahl, die Leute, die Vieh verloren oder den Bären gesehen hatten, zu sich. Sie ließen sich von allen berichten, was, wie und wann geschehen war.
Dann wurde das weitere Vorgehen beraten. Es hatte wenig Sinn, den Bären bei Nacht aufspüren zu wollen. Man würde ihn entweder gut gewappnet im Dorf erwarten oder morgen in aller Frühe das Licht des kurzen Tages nutzen, um ihn mit den Hunden zu hetzen.

Holz wurde geschlagen und rund um das Dorf zu Stößen aufgeschichtet. Dahinter wurden in einigem Abstand die Hunde angepflockt. Hinter dieser Verteidigungslinie baute man die Zelte der Männer auf.
Adelhard von Bevern traf ein und mit ihm Sören de Allinge, samt rund zwanzig seiner besten Fährtenleser, Jäger und Hundeführer. Seine prachtvolle Meute, zehn riesige, schwarz-glänzende Hunde mit vorstehenden Unterkiefern und stachelbewehrten Halsbändern, wurde auf die dem Wald zugewandte Seite des Dorfes gebracht und wie die anderen angepflockt.
Während von Bevern den Ritter unsicher begrüßte und sich sichtlich fehl am Platze vorkam, strahlte de Allinge ihn begeistert an und bedankte sich überschwänglich für die Einladung. Man aß gemeinsam unter freiem Himmel und je mehr Bärengeschichten und Jagderlebnisse am Feuer erzählt wurden, desto mehr erwachte das Jagdfieber der Männer.
Wieder und wieder mussten die Dörfler den Bären, seine Größe und sein Gebaren schildern, bis alle sich für ausreichend unterrichtet hielten, um den Kampf aufnehmen zu können. Jeder suchte die anderen mit Sachkenntnis und Jagdverstand zu überbieten und endlich ließ sich auch Hardrich von der allgemeinen Begeisterung anstecken. So aß, trank und redete man, bis die Dunkelheit hereinbrach.
Es war kurz vor Neumond, klar und kalt und der Himmel mit Sternen übersät. Die Holzstöße wurden entzündet und Wachen aufgestellt, doch rechnete niemand wirklich damit, dass sich die Bestie in dieser Nacht ins so umstellte Dorf getrauen würde.
Keiner der Männer war mehr nüchtern, als man sich schließlich zu den Zelten begab.

Es war lange vor Sonnenaufgang, als von Beverns Hunde an der Waldseite anschlugen.
Wie von Sinnen rissen sie an ihren Leinen und das heisere, warnende Gebell riss die Jäger und das Dorf aus tiefsten Schlaf.
Hardrich hatte sich der Kälte wegen in Stiefeln, Helm und voller Kleidung auf sein Lager geworfen und war einer der ersten, die hinausliefen. Seinen Speer und eine der Armbrüste samt Bolzen hatte er bereit gelegt und beim Verlassen des Zeltes gepackt. Noch immer gebärdeten sich die Hunde wie toll und wollten dem Wald zu, denn dort witterten sie den Feind, auf den sie seit ihrer Geburt abgerichtet waren. Er war dort draußen und die Schwärze der Nacht und des Waldes schützten ihn.
Niemand hätte sich in diesem Moment aus dem schützenden Kreis der Feuer in die Finsternis hinaus bewegen mögen.
Weiß stand den Männern der Atem vor dem Mund. Die Waffen im Anschlag, suchten alle Sinne die Dunkelheit zu durchdringen.Mit einem Mal riss einer von Hardrichs Hunden seinen Haltepflock aus der Erde und stürmte mit zornigem Bellen in die Nacht davon, ohne sich im Geringsten um den Gegenbefehl seines Führers zu kümmern.
So stark war der anerzogene Hass auf dieses andere Tier, das dort hungrig und ruhelos im Dunkeln lauerte.
Nur einen winzigen Augenblick, nachdem der Hund aus dem Lichtkreis der Flammen gerannt war, erstarb das heisere Gebell mit einem Mal und nur noch ein letztes klägliches Quieken war zu hören.
Den Männern sträubten sich die Nackenhaare. Der Bär war keine fünfzehn Schritt von ihnen entfernt! Die übrigen Hunde waren jetzt wie rasend. Sie rochen Blut und Tod und heulten und kläfften wie irrsinnig in alle Richtungen. Und noch immer starrten die Jäger mit gezückten Waffen dem Wald entgegen.
Endlich schoss einer der älteren Fährtenleser aus von Beverns Gefolge einen brennenden Pfeil in die Richtung, in welcher der Hund verschwunden war und er hatte gut geschätzt. Der Pfeil bohrte sich direkt neben dem Hundekadaver in die Erde. Jedoch vom Räuber keine Spur.
Der kleine, drahtige Mann blickte wie witternd in die Runde und eine Ahnung überkam den erfahrenen Jäger.
"Verdammt! Verteilt Euch! Rasch! Er kann jetzt überall sein!", schrie er plötzlich und wies auf die gegenüberliegende Seite des Dorfes, wo die Wachen ihre Posten verlassen hatten, um zu den anderen aufzuschließen.
Fast im gleichen Moment hörten sie das Bersten von Holz und gellende Schreie von den etwas abgelegenen Ställen. Die Männer erwachten aus ihrer Starre und rannten auf das entsetzliche Schreien zu. Dann war plötzlich nichts mehr zu hören außer dem Prasseln der Feuer und dem Gebell der Meuten.
"Fackeln! Wir brauchen Licht!", brüllte der Ritter, doch es dauerte eine Weile, bis Leute mit brennenden Fackeln und Laternen heran waren und man beginnen konnte, die Ställe zu untersuchen.
Grimmig durchsuchte man Winkel für Winkel, Buchte für Buchte.
"Herr ...", unterbrach sie der Dorfvogt und brachte eine weinende, verängstigte Frau zum Markgrafen.
"Was?", herrschte ihn der Ritter ungeduldig an.
Dem Vogt stand der Angstschweiß auf der Stirn.
"Diese Frau... Sie vermisst ihren Ehemann. Er wollte zu ihrer Kuh. Die hat vor kurzem gekalbt und er wollte sie beruhigen, wegen des Gebells. Aber er ist noch nicht zurück. Es... es ist der Schuppen dort", presste er hervor und wies mit zitternder Hand auf einen der düsteren Verschläge.
Sie kamen zu spät.
Als die Männer, Waffen im Anschlag, die Tür aufstießen, sahen sie, dass die gegenüberliegende hölzerne Wand des Stalles eingedrückt war wie ein dürres Blatt. Die magere Kuh lag mit gebrochenem Genick im Stroh. Das Kalb war fort. Dem Bauern aber, der offensichtlich mit einer Heugabel noch versucht hatte, sich zu verteidigen, hatte der Bär mit einem Prankenhieb die Eingeweide aus dem Leib gerissen.
Es war noch ein Rest Leben in dem Mann, welches nun als Rinnsal aus ihm heraus sickerte. Ein langsamer, qualvoller Tod erwartete ihn. Er lag auf dem Rücken, die blutgetränkten Hände auf den zerfetzten Bauch gepresst und starrte die Jäger mit weit aufgerissenen Augen an. Seine Frau stürzte wimmernd zu ihm. Von Bevern bekreuzigte sich und eilte hinaus und selbst der Nordländer war blass geworden. Hardrich wandte sich ab.
Er winkte den Jäger, welcher den Pfeil geschossen hatte, zu sich und fragte:
"Wie ist Dein Name?"
"Ich heiße Wolfger, Herr", antwortete er.
"Was wird er jetzt tun?", fragte der Ritter weiter und wies auf den grausigen Schauplatz hinter sich.
"Er hat das Kalb geholt, das er wollte. Er fürchtet uns nicht. Er wird fressen und schlafen", sagte der hagere, kleine Mann schlicht.
Schweigend kehrte man zu den Zelten zurück. Dies würde kein fröhlicher Jagdausflug, es würde eine Schlacht werden. Und heute Abend hatten sie die erste, bittere Niederlage erlitten.
Hardrich fluchte in Gedanken vor sich hin, während er sich schlaflos und wütend unter seiner Decke hin und her warf.
"Du holst Dir also, was Du willst? Verdammt! Meine Leute holst Du Dir nicht, Brüderchen! Und fürchten tust Du uns auch nicht? Das soll sich morgen ändern! Bei Gott!"

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt