106

164 13 17
                                    


Die Männer hatten keine Eile. Gemächlich zuckelte der Eselkarren durch die nachmittägliche Hitze der Stadt, ihrem täglichen Rundgang folgend. Einer von ihnen schlug beim Gehen im Takt auf einen zerbeultes Stück Blech, um ihr Kommen in den umliegenden Häusern anzukündigen.

Davon hörte Hardrich freilich nichts.

In seinem Inneren tobte es noch immer. Doch inzwischen lag er schwer atmend still und zwang sich, seine Kräfte nicht mehr länger sinnlos zu vergeuden.

Bruchstücke des Gehörten wirbelten durch sein schmerzendes, überhitztes Hirn und er versuchte krampfhaft, sich an das zu erinnern, was der Junge gesagt hatte, um irgendeine Ordnung hinein zu bringen.

Tote. Es hatte Tote in der Stadt gegeben. Sein geschätzter Schwiegervater und Statthalter, Reno von Trettin. Er war tot. Und was auch immer geschehen war, es hatte an Weihnacht stattgefunden.

Die Kumanen...

Hardrich heulte laut auf. Ein kumanischer Rachefeldzug? In seiner Abwesenheit? Das war das allergrößte nur vorstellbare Unheil, dass der Mark hatte widerfahren können!

Und an alledem war der Däne schuld? Er hatte sie herein gelassen? Das hatte der Junge gesagt.

Hardrich zweifelte nicht eine Sekunde daran, zu wissen, wen Odo damit gemeint hatte. Es konnte nur einer sein. Und zwar derjenige, gegen den sich bereits damals Gertrauds tiefes Misstrauen, ihr Unbehagen, ja, ihre Angst gerichtet hatte.

Sören de Allinge.

Erneut entfuhr dem hilflosen Mann auf dem Karren ein derart zorniger Aufschrei, dass die Männer, die den Wagen begleiteten, zusammenfuhren.

Wie beißende Säure fraß sich ohnmächtige Wut in Hardrichs Eingeweide.

Hier lag er. Fast vollständig unfähig sich zu rühren, während all das, was er liebte schutzlos seinem Erzfeind ausgeliefert war? Wenn er sich vorstellte, dass der Khan Hand an seine Frau legte...

„Nein!", brüllte er heraus und meinte, im nächsten Moment vor Zorn und Entsetzen den Verstand zu verlieren.

Er brüllte und brüllte, unfähig sich selber zu hören, bis er spürte, wie seine Stimmbänder, wund vom Schreien, zu brennen begannen.

Dann plötzlich war da ein beißender Schmerz an seiner linken Fußsohle. Er lugte seinen Körper hinab und sah, dass ihn einer der Männer mit einer Gerte schlug und ärgerlich gestikulierte, er solle gefälligst den Mund halten.

Hilflos, wehrlos und machtlos war er gezwungen, sich zu fügen.

Verzweifelt verstummte er und zwang seine Gedanken zur Ordnung:

„Ruhig! Sei ruhig, verdammt! Denk nach! Was war noch?"

Denn da war noch mehr gewesen. Ein totes Kind. In einem Käfig? Das hatte dieser Odo gesagt. Und im allerersten Moment hatte Hardrich, erfüllt von kaltem Entsetzen, an Conrad gedacht. Doch sein Sohn sollte ja erst im Februar zur Welt kommen. Das konnte also nicht sein, schlussfolgerte er einigermaßen beruhigt.

Was aber war mit seiner schwangeren Frau? Was war mit Gertraud geschehen? Fast wagte er nicht, in Gedanken überhaupt an dieser Frage zu rühren.

Doch Odo hatte ihm dazu etwas mitteilen wollen. Das hatte er deutlich gesehen, bevor er stürzte. Und Hardrich hoffte inbrünstig, dass das ein gutes Omen war. Hätte der Halbwüchsige ihm die Botschaft vom Tode seiner Frau überbringen müssen, wäre er doch sicherlich vor Angst schlotternd vor ihm auf die Knie gesunken und hätte kein Wort herausgebracht. Oder etwa nicht?

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt