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Es war eine Weile her, dass Hardrich so tief und so sorglos geschlafen hatte. Kurz kam er beim Läuten einer Glocke halb zu sich, aber da der Raum noch im tiefen Dunkel lag, drehte er sich nur um und schlief weiter. Als Albertinus ihn schließlich weckte, fühlte er sich erholt und voller Tatendrang. Über dem Frühstück, das der alte Mönch ihm mitbrachte, kamen beide dann aufs Neue ins Gespräch. Der Markgraf ließ sich noch einmal vom Gegenschlag der Märkischen unter von Walow berichten und Albertinus schloss:

„Er selbst war schwer verletzt. Am Auge hieß es. Und trotz allem, hat er voller Umsicht geführt und gekämpft wie ein Löwe. Wen man reden hörte, war voll des Lobes! Aber am Ende... am Ende reichte es nicht. Den Kopf haben sie ihm abgeschlagen, die Ketzer."

„Den Kopf...", murmelte der Ritter dumpf und spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten.

Dann fragte er, was über die Truppenstärke der Dänen bekannt sei, und er erfuhr von der erst kürzlich eingetroffenes Verstärkung, die sich wie eine Horde Barbaren in der Stadt aufführte. Und da war noch etwas anderes, das Hardrich auf der Seele lag.

„Doch. Es sind auch bereits andere Männer zurück", beantwortete der Mönch seine Frage, „Ich hatte einige Verletzte bei mir und hin und wieder hört man auch von anderen. Aber man kann leider nicht von einer Flut von Rückkehrern sprechen. Es ist eher ein Tröpfeln."

„Ich verstehe", murmelte der Markgraf.

So wurde es später Vormittag, ehe er aufbrach.

Albertinus begleitete ihn zum Tor und leise fragte:

„Und? Was werdet Ihr jetzt tun?"

„Ich will zuerst zu Wichard."

„Gut, gut! Oh, ich hoffe und bete, dass Ihr Eure liebe Frau dort wohlbehalten antrefft!"

Ein Lächeln huschte über Hardrichs Gesicht. Doch dann zog er seine Mütze tiefer ins Gesicht, als zwei Novizen mit Körben im Arm an ihnen vorbei auf die Straße eilten. Aber die beiden Jungen waren in ihr eigenes Gespräch vertieft, grüßten Albertinus nur beiläufig und beachteten den Fremden nicht weiter.

Albertinus reichte ihm beide Hände, zog ihn noch einmal näher zu sich und flüsterte ihm ins Ohr:

„Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihr mich auf dem Laufenden haltet."

„Ich kann nichts versprechen", brummte Hardrich, „Aber ich will es versuchen."

„Gott segne Euch. Meine Gebete begleiten Euch."

„Ich danke. Für beides. Und Eure Hilfe", erwiderte Hardrich und neigte den Kopf.

Wenig später stand er allein auf dem Platz vor dem Klostertor und sah zum Himmel. Es begann gerade sachte zu schneien. Der erste Schnee, seit er das Gebirge hinter sich gelassen hatte. Lautlos taumelten große Flocken aus schweren, tiefhängenden Wolken herab.

Er sog die kalte Luft in seine Lungen und setzte sich in Bewegung. Erst jetzt bei Tageslicht konnte er sich wirklich umsehen und obwohl er gestern erfahren hatte, was geschehen war, wurde ihm erst nach einer Weile klar, was ihn gerade so befremdete. Die Silhouette der Stadtmitte hatte sich verändert. Turm und Langhaus der alten Stadtkirche fehlten im gewohnten Stadtbild.

Niedergebrannt hatten die Ketzer das Gotteshaus. Seine Kirche! Der Gedanke daran ließ seine Zähne knirschend aufeinander mahlen, bis seine Kiefermuskeln schmerzten. Mühsam rief er sich zur Vernunft und sah sich weiter um. Die Straßen seiner Heimatstadt schienen ihm leerer als sonst. Doch das mochte auch der kalten Witterung geschuldet sein. Eine Straße weiter traf er auf eine Gruppe Kinder, die lachend umherliefen und die tanzenden Schneeflocken mit offenen Mündern zu fangen versuchten. Wie überall auf der Welt freuten sich auch hier die Kinder über den ersten Schnee. Das Kinderlachen hob kurz seine Stimmung. Bis er näherkam und ihm auffiel, wie mager und blass die Mädchen und Jungen aussahen. Die Augen über den eingefallenen Wagen schienen zu groß für die schmalen Gesichter und magere Hände und Arme lugten unter den Umhängen hervor. Stirnrunzelnd und mit wachsendem Groll ging er weiter. Auch einer der Plätze, die er passierte, lag wie ausgestorben da. Ein Bauer nur stand neben einem Handkarren und feilschte mit einer Frau über ein paar schrumpelige Rüben. Albertinus hatte ihm vom allgegenwärtigen Mangel erzählt. Den Menschen fehlte es am Nötigsten und auch seine Mahlzeit im Kloster gestern Abend war alles andere als üppig gewesen. Und derweil platzen die Vorratskammern der Dänen wahrscheinlich aus allen Nähten, dachte Hardrich voller Groll.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt