Noch nie vorher war Gertraud weiter als eine Tagesreise von zuhause entfernt gewesen. Und jetzt wollten sie also quer durch das ganze Land an den Hof des Königs reisen.
Sie war so aufgeregt, dass sie tagelang vorher kaum eine Nacht richtig schlief. Und als es endlich losging und sie neben Hardrich aus dem Tor ritt, im schönsten Frühlingssonnenschein, war sie ausgelassen wie ein kleines Kind.
Der Däne und seine jungvermählte Frau, die erst seit zwei Tagen mit in der Burg wohnten und dieser während ihrer Abwesenheit vorstehen würden, hatten sie im Hof verabschiedet und Gertraud hatte sich lachend zu Bettina umgedreht und gewinkt.
Sie hatte die junge Frau die beiden Tage kaum gesehen, geschweige denn gesprochen, denn Bettina war beim gemeinsamen Essen sehr schüchtern gewesen, was wohl an Hardrichs Gegenwart lag und auch sonst war sie scheu und zurückhaltend. Gertraud hatte sie nicht bedrängt, obwohl sie darauf brannte, endlich jemanden zum Reden zu haben. Sie hoffte, dass sich die junge Frau des Dänen während ihrer Abwesenheit etwas einlebte und danach offener sein würde. Außerdem hatte sie an diesen letzten Tagen vor ihrer Abreise den Kopf voll mit Vorbereitungen.
Bevor sie die Ostmark Richtung Südwesten verließen, übernachteten sie noch dreimal auf Landesgebiet. Einmal davon in Dalmin auf dem Herrensitz von Rudolf von Walow.
Von Walows Lehen lag direkt auf ihrem Weg und es wurde natürlich erwartet, dass der Landesherr dort für die Nacht Quartier nehmen würde. Hardrich und auch Gertraud hätten diese Begegnung gerne vermieden, aber genau diesen Eindruck wollte der Ritter auf gar keinen Fall aufkommen lassen.
Sie hatten sich angekündigt und ritten also am frühen Abend des dritten Reisetages in Dalmin ein und durch die Straßen der kleinen Stadt, die im Nu von Schaulustigen gesäumt waren. Bis hoch zum Burghügel, auf dem das Haus der von Walows lag. Es war ein großes und sehr gepflegtes Anwesen und irgendwie hatte Gertraud auch genau dies erwartet.
Ein weiß getünchtes, dreigeschossiges Haupthaus mit imposantem Treppengiebel und einem zierlichen Eckturm, der, wie Hardrich ihr vorhin erzählt hatte, erst vor zwei Jahren fertiggestellt worden war. Nachträglich angebaut. Und nicht aus Notwendigkeit, sondern nur weil von Walow so etwas nett anzusehen fand, hatte der Ritter kopfschüttelnd geknurrt.
Rudolf von Walow bewohnte das Anwesen zusammen mit der Familie seiner Schwester und seiner greisen Mutter. Schwester und Schwager verwalteten Küche und Hof und arbeiteten hart, hatte Hardrich ihr erzählt. So hielt sich sein Lehensmann viele unliebsame Aufgaben vom Halse und hatte mehr Zeit für seine kleinen, privaten Vergnügungen.
Gertraud dachte an von Walows Dreistigkeit während des Turniers im letzten Jahr zurück und sie hoffte inständig, die Stunden hier in Dalmin würden bald und ohne Streitigkeiten vorübergehen. Auch Hardrich war angespannt, als sie den Hof erreichten. Gertraud sah es ihm nur zu deutlich an. Sein Gesicht war wie versteinert und seine Kiefer mahlten.
Rudolf von Walow erwartete sie bereits und kam ihnen die Eingangstreppe herunter entgegen. Hardrich runzelte die Stirn.
Der Mann sah verändert aus. Er war schmal geworden. Fast mager. Und die schlichte Hose und schmucklose Tunika, die er trug, wollten so gar nicht recht in das erwartete Bild passen.
Hardrich stieg ab und machte einen raschen Schritt zur Stute seiner Frau hinüber, da von Walow sich anschickte, ihr beim Absteigen zu helfen.
Entschuldigend hob ihr Gastgeber die Hände und trat respektvoll zurück, um seinem Herrn den Vortritt zu lassen. Hardrich warf ihm einen warnenden Blick zu, griff mit fester Hand das Zaumzeug und den Sattelknauf der Stute, um das Tier ruhig und an der Stelle zu halten, während Gertraud abstieg.
Sie dankte ihm lächelnd und strich ihre Röcke glatt. Hardrich nahm ihre Hand und dann wandten sich beide dem Hausherrn zu.
Von Walow verbeugte sich tief und hieß sie höflich willkommen. Er stellte Gertraud seine Schwester und seinen Schwager vor, die ebenfalls hinaus gekommen waren, um den hohen Besuch zu begrüßen.
Von Walow war zuvorkommend und zurückhaltend. Völlig anders, als die Markgräfin ihn vom Turniertag her in Erinnerung hatte. Vor dem Abendessen sprach ihr Gastgeber das Tischgebet so voller Inbrunst, dass sie ihrem Mann in einem unbeobachteten Moment eine fragenden Blick zuwarf. Der sah misstrauisch zu seinem Lehensmann hinüber und zuckte nur unmerklich die Schultern.
So entwickelte sich der Abend angenehmer, als Gertraud befürchtet hatte. Zwischen ihr und von Walows Schwester Ludiwika entwickelte sich rasch eine entspannte Plauderei bei Tisch und auf von Walows Frage nach dem Mord im Apothekerhaus in der Hauptstadt waren bald auch die Herren in ein Gespräch vertieft. Das Essen war hervorragend und auch das Bier gut und als sich das markgräfliche Paar später zur Ruhe begeben wollte, wurden sie in die persönlichen Gemächern des Hausherrn geführt.
Als sie kurz darauf allein waren, brummte Hardrich kopfschüttelnd:
„All die letzten Male hat er mich in irgendeiner Besenkammer schlafen lassen. Und jetzt das hier! Er lässt uns tatsächlich in seinem eigenen Bett schlafen! Was will er uns weismachen, der Narr?"
„Wenn ich daran denke, was Albertinus erzählt hat... Er wäre fast gestorben an der Verletzung vom Turnier. Vielleicht hat ihn das tatsächlich geläutert und er ist ein anderer heute", antwortete Gertraud nachdenklich und betrachtete das schön geschnitzte Kruzifix, das an der Wand hing.
Hardrich gab ein verächtliches Schnaufen von sich und warf sich auf das Bett.
„Wer's glaubt... Na ja, was soll's. Wir werden ja sehen, wie lange die wundersame Wandlung des Herrn von Walow anhält", meinte er und streckte sich.
„Komm", sagte er dann.
Sie sah überrascht auf, denn der begehrliche Unterton in seiner Stimme, war nicht zu überhören.
„Hardrich! Wir können doch nicht... Nicht in seinem Bett", widersprach Gertraud und errötete heftig.
„Oh, doch! Wir können. Und wir werden!", antwortete er grinsend.
![](https://img.wattpad.com/cover/171960962-288-k831242.jpg)
DU LIEST GERADE
Die Tochter des Brauers
Romance"Ihr glaubt wirklich, Eure Küche hätte Zugang zum Baum der Erkenntnis?" "Gut pariert, Frau!", lachte er. Sie bewarf ihn mit dem Apfel, er fing ihn auf, zögerte noch einen Moment und biss hinein. Ein mittelalterlicher Roman. Um? Nun ja. Die Tochte...