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Wichard erwachte am nächsten Morgen von brennendem Durst. Sie hatten die Läden vor dem kleinen Fenster nicht geschlossen und die Morgensonne erhellte gleißend die weißgetünchten Wände. Er schien mit offenem Mund geschlafen zu haben, denn Lippen und Kehle waren wie ausgedörrt. Ihm war leicht übel und als er die Augen aufschlug, schien sich die Welt noch ein klein wenig um ihn zu drehen. Außerdem war ihm zunächst überhaupt nicht klar, wo er sich befand.
Zögerlich nur setzte sich die Erinnerung stückchenweise wieder zusammen. Das Turnier. Er hatte gewonnen. Eckhard Sowieso. Das Bankett am Abend...
Das hier musste das Gästezimmer sein, in das man sie nachts geführt hatte. Er drehte mühsam den Kopf. Jede einzelne Faser seines Körpers tat ihm weh. Melli schlief in das dünne Laken gewickelt, von ihm abgewandt. Nur ihr offenes Haar, ein Stück ihres nackten Rückens und eine bloße Schulter waren zu sehen.
Wieso war sie nackt, wunderte er sich.
Und plötzlich war die Erinnerung da. Sie hatte ihm ihre Liebe erklärt und er war über sie hergefallen.
Wie der Ritter.
Nein.
Wie ein Wahnsinniger.
Aufstöhnend vor Scham schlug er die Hände vors Gesicht. Er stützte sich auf seinen Ellenbogen und berührte ihre Schulter. Melisande zuckte zusammen und es schmerzte ihn, ihr ängstliches Gesicht zu sehen, als sie sich zu ihm umdrehte.
Tiefe Schatten lagen unter ihren Augen. Sie sah kraftlos und krank aus.
„Melli...", begann er reumütig.
Sie sah ihn verunsichert an, hustete und zog das Laken bis hoch über ihre Schultern.
„Großer Gott, Melli! Es tut mir so leid! Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist...", fuhr er fort und wollte nach ihr greifen, zog die Hand aber wieder zurück und raufte sich das Haar.

Er sah das zerrissene Unterkleid auf dem Boden liegen und ihm war schlecht vor Reue. Und den Nachwehen des Gelages gestern.
Wankend stand er auf seiner Seite des Bettes auf und humpelte herum zu ihr, kniete sich auf den harten Holzboden und sagte gesenkten Hauptes:
„Ich habe mich benommen wie ein Schwein. Es tut mir so furchtbar leid! Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen. Du bist so ein Engel. Wie konnte ich nur..."
Sie sah ihn aus großen Augen an und streckte endlich zögerlich die Hand nach ihm aus. Er senkte den Kopf, schloss die Augen und fühlte erleichtert ihre Finger über seine Wange streichen.
„Es hat mich erschreckt..., was Du getan hast. Aber... aber wenn es das ist, was Du willst... Ist es vielleicht das, was Du vermisst hast in den letzten Wochen? Dann will ich mich bemühen, Dir...", begann sie zaghaft.
„Nein, nein, nein! Oh, Gott, nein! Melli! Ich hätte das nicht tun dürfen! Der Wein... Die verdammte Trinkerei! Oh, Liebes, bitte verzeih mir."
Sie schien nicht überzeugt.
„Ich bitte Dich, Wichard, sei ehrlich. Wir wollten doch immer über alles reden", bat sie eindringlich, „Willst Du mir sagen, es hat Dir nicht gefallen gestern?"
Stöhnend wand er sich.
„Nein. Ich will das so nicht", presste er endlich hervor.
„Ich war nicht betrunken. Ich habe Dich angesehen dabei", beharrte sie, „Du hast es genossen. Ich sollte mich geschmeichelt fühlen, dass Du mich derart begehrst. Ich..."
„Hör auf!", fuhr er sie da hitzig an.
Viel heftiger, als er gewollt hatte.Sie verstummte. Verwirrt und ratlos.Er sank in sich zusammen und ächzte schuldbewusst.
„Verzeih mir bitte! Ich verspreche Dir, es wird nie wieder vorkommen", bat er heiser.
Sie sah ihn einen kurzen Moment lang durchdringend an, wie um zu ergründen, was er tief im Innersten wirklich dachte.
Dann sagte sie schlicht:
„Es ist verziehen."

Nach einer opulenter Morgenmahlzeit im Rittersaal der Burg nahmen sie ihren Abschied vom Fürsten. Wichard mochte nichts essen, aber er hatte seinen quälenden Durst gestillt und langsam kehrten seine Lebensgeister zurück.
Er war besonders aufmerksam und zuvorkommend im Umgang mit seiner Frau und fast schon überdreht fröhlich. Auf dem Weg zu den Ställen, war ihnen Eckhard von Gerdsberg über den Weg gelaufen. Auch er verabschiedete sich höflich und Wichard war ein wenig betrübt, den Gleichgesinnten zurückzulassen.
Sie hatten sich gut unterhalten gestern Abend auf dem Bankett, bei dem von Gerdsberg mit seiner Dame ihnen gegenüber gesessen hatte. Sie besaßen nun zwei Pferde und obwohl Melli keine geübte Reiterin war, beschlossen sie, zurückzureiten und nicht noch einen Wagen anzumieten. Der Tag war warm und windstill und sie hatten ja Zeit. Sollte Melisande müde werden, konnten sie jederzeit rasten. Und zur Not konnte er sie auch eine Weile mit zu sich aufs Pferd nehmen, denn das schöne, kräftige Tier, das er sich erstritten hatte, strotzte nur so vor Kraft und war die Last von Rossharnisch und gerüstetem Reiter gewohnt.
Es würde Mellis Gewicht kaum spüren. Wichard schlug vor, auf dem Markt noch etwas zu essen und einen Schlauch Wein zu kaufen, um unterwegs eine Rast mit Brotzeit halten zu können und Melisande freute sich wie ein Kind.
Auch dieser Tag würde also noch einmal ein ganz besonderer für sie werden. Eine Mahlzeit unter freiem Himmel! Und ein langer Heimritt im Sonnenschein. Tatsächlich liebte sie das Reiten, auch wenn es sie sehr anstrengte und sie sich bisher nur an kurze Strecken auf dem elterlichen Hof gewagt hatte.
Aber Wichard wollte, dass sie nach Hause ritt und traute es ihr ganz selbstverständlich zu. Also würde sie es schaffen. An seiner Seite.
„Oh, wie schön! Das habe ich mir schon immer einmal gewünscht!", sagte sie und klatschte in die Hände.
So führten sie die Pferde mit sich und suchten sich an den Ständen vier duftende Brotfladen und ein paar Leckereien aus. Wichard hatte zu seinem edlen Schimmel einen zwar gebrauchten, aber hochwertigen Sattel, samt Doppeltaschengurt bekommen und verstaute alles darin. Er war hochzufrieden. Wenn nur das mit Melli nicht gewesen wäre gestern Nacht, dachte er zerknirscht. Er hatte sich gestern, als er das Preisgeld in Empfang genommen hatte, etwas für sie ausgedacht. Eine Überraschung. Und die fiel nun deutlich üppiger aus, als er ursprünglich vorgehabt hatte.
Für fast ein Drittel seines Preisgeldes kaufte er ihr ein Schmuckstück. Und er entschied sich für einen schlanken Armreif aus Gold bei einem der besseren Goldschmiede der Stadt. Verziert mit drei fünfblättrigen, goldenen Blüten, die in der Mitte einen zartgelben Topas trugen. Die größte der Blüten war zudem mit fünf rosafarbene Knospen aus Rosenquarz zwischen den einzelnen Blütenblättern geschmückt. Ein Apfelblütenzweig aus Gold.
Melli war hingerissen und dankte ihm immer wieder, bis es ihn beinahe beschämte. Er hatte das dringende Bedürfnis sein Verhalten zu sühnen und ihr Lächeln ließ ihn hoffen, dass sie ihm seine Grobheiten von letzter Nacht würde nachsehen können.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt