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Als sie später in seinem Arm am Feuer lag, fragte sie:
„Was wirst Du ihm zur Geburt seines Sohnes senden?"
„Keine Ahnung. Lose wird schon etwas einfallen. Wieso?", brummte er.
Sie dachte an die zwölf goldenen Pokale, die den Glückwunsch vom Königshof anlässlich ihrer überraschenden Hochzeit begleitet hatten.
„Ach, nur so. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, was sich hier so schickt. Hier würde wohl keine gute Legehenne ausreichen, was?", antwortete sie und sah, dass er schmunzelte.
„Vielleicht ein schönes Kruzifix, das sie über die Wiege hängen können", schlug sie vor.
„Das würde ihn sicherlich gefallen, denke ich. Guter Gedanke", gähnte er und stand dann auf.
„Komm zu Bett", sagte er und zog sie auf die Füße.
Auf dem Gang zwischen ihren Zimmern folgte sie ihm wie selbstverständlich in sein Schlafgemach. Seit dem schrecklichen Tag im Kloster, hatte sie fast jede Nacht an seiner Seite verbracht. Zuerst noch von Alpträumen verfolgt, später dann mehr und mehr aus Gewohnheit. Sie hatte nicht genau herausfinden können, weshalb die Alte sie oder den Ritter derart gehasst hatte, dass sie es auf ihr Leben abgesehen hatte. Hardrich meinte, sich nicht erinnern zu können, die Frau jemals gesehen zu haben und Albertinus war ihren Fragen ausgewichen. Niemand wollte ihr auch nur den Namen der Toten nennen. Marianne druckste herum, deutete zuletzt aber dann doch an, dass Hardrich jemanden für irgendeine Nichtigkeit hatte auspeitschen lassen und das derjenige an diesen Verletzungen gestorben sei. Ob die Alte nun die Mutter, die Ehefrau oder sonst eine Verwandte gewesen war, wollte oder konnte ihr niemand sagen.
Von Wichard hätte sie vielleicht mehr erfahren, aber den vermutete sie inzwischen irgendwo im Süden. Sie fragte sich, ob er manchmal an sie dachte und musste sich wieder einmal eingestehen, wie sehr sie ihn vermisste, obwohl de Allinges Rückkehr die Lage etwas entspannte.
Hardrich hatte jetzt wieder mehr Zeit für sie und war auch besser gelaunt, als in den Wochen vorher. Hatte er auswärts zu tun, leistete ihr der Däne, wie vor ihm Wichard, Gesellschaft und begleitete sie zusammen mit einer Schar seiner eigenen Leute außerhalb der Burganlage. Gertraud lernte auch ihn bald schätzen. Zwar mochte sie mit ihm nicht so offen reden, wie mit dem jungen von Dühring, doch verfügte der Nordländer über die seltene Gabe, jeder noch so misslichen Lage etwas Gutes abzugewinnen und er hatte trotz seines raubeinigen Äußeren ein außerordentlich feines Gespür für die Stimmungen rund um sich her.
Genau wie Wichard, war er bald in der Lage, die Launen seines neuen Herrn zu erkennen, ja vorauszusehen, und ihnen zu entsprechen. Er bereinigte Unstimmigkeiten mit einem freundlichen Wort und einem Lächeln und spürte, wann er zu schweigen und wann zu sprechen hatte. Er ermunterte die einen, beschwichtigte die anderen, war aber in allem was er tat, Hardrich sehr ergeben. Der Ritter war äußerst zufrieden mit seinen Diensten und froh, diese Wahl getroffen zu haben.

Das Christfest kam heran und Gertraud wurde immer niedergeschlagener. Oft liefen ihr die Tränen einfach so die Wangen herab, ohne dass sie es hätte hindern können. War Hardrich bei ihr, versuchte sie, sich munter und fröhlich zu geben und erklärte ihre roten Augen mit der Erkältung, die sie zu alledem auch plagte. Sie wollte die wenigen, kostbaren Minuten mit ihm nicht vertun, indem sie wieder über ihr Heimweh klagte. Manchmal dachte sie daran, dass vielleicht ein Kind ihre Einsamkeit lindern würde. Aber Ende November hatte sie das letzte Mal pünktlich ihre Blutung bekommen und so hatte sich diese Hoffnung zerschlagen. Der Ritter war auch nicht erfreut gewesen, wohl aber aus einem anderen Grund. Der eheliche Verkehr war während der Monatsblutung von Seiten der Kirche nicht gestattet und so schlief während dieser Zeit jeder für sich. Am Vortag des Christfestes trat der Ritter plötzlich in ihre Gemächer und fand sie dort unglücklich und mit verweinten Augen vor. Sie hatte zu dieser Stunde überhaupt nicht mit ihm gerechnet und erwartete einen Tadel, wenn nicht einen Wutausbruch, ob ihrer Tränen.
Doch er fasste ihre Schultern, küsste sie und sagte sanft:
„Komm, wasch Dir das Gesicht. Was soll denn unser Gast denken."
Verwirrt sah sie ihn an und lief nach nebenan, um sich etwas herzurichten. Dabei überlegte sie, wer wohl angekommen sein konnte. Ausgerechnet heute. Vielleicht jemand aus dem Kloster? Oder vom Ältestenrat der Stadt? Es war das erste Mal, dass Hardrich sie bei einem offiziellen Empfang dabei haben wollte. Vor dem Spiegel straffte sie sich und versuchte ein geziemendes Lächeln. Sie würde ihr Bestes geben und versuchen, ihre Rolle gut zu spielen.
Als sie zu Hardrich zurückkehrte, nickte er lächelnd:
„Na, bitte. Komm!"
Eilig folgte sie ihm. Vor der Bibliothek hielt er einen Moment inne, öffnete die Tür und ließ sie vorangehen. Der alte Mann, der gerade in einem der Bücher blätterte, sah auf.
„Herr vo...! Vater!", entfuhr es ihr überglücklich.
Reno von Trettin klappte das Buch zu, legte es rasch beiseite und kam ihr mit offenen Armen entgegen. Sie umarmten sich herzlich.
„Kind! Wie sehr ich mich über diese Einladung gefreut habe!", sagte er fröhlich.
„Ich wusste gar nichts davon! Da musst Du Dich wohl bei meinem Gemahl bedanken. Und vielleicht sollte ich das auch tun", antwortete sie übermütig und strahlte den Ritter dankbar an.
Der nickte zufrieden und sagte:
„Ich lasse Euch jetzt allein. Ihr habt sicherlich noch allerhand zu erzählen."
„Ach bitte, geh nicht! Was gibt es denn heute noch Wichtiges zu tun? Und bis zur Messe dauert es doch auch nicht mehr lange! Willst Du nicht hierbleiben?", bat sie und hatte fast ein schlechte Gewissen, sich eben noch so überschwänglich gefreut zu haben.
Da sah er sie mit einer seltsamen Schwermut im Blick an und meinte:
„Nein. Es ist schon gut."
Dann fügte er rasch noch hinzu:
„Du wirst das schon wieder gutmachen."
Dann ging er und endlich konnte sie die vielen Fragen stellen, die ihr seid Wochen auf der Seele brannten.
Die Gegenwart des vertrauten Freundes rettete die junge Markgräfin über die gefürchteten Festtage hinweg. Der alte Mann hatte drei große Fässer mit Josef Kerners Weihnachtsbier mitgebracht und Gertraud kamen beim ersten Schluck dann doch die Tränen. Allerdings mehr aus Rührung als aus Traurigkeit. Von Sören de Allinge bekam sie einen halblangen Umhang aus wunderbar warmen, federleichten bläulich schimmernden Polarfuchsfellen.
Und als sie auch dies Geschenk von ihm fast nicht angenommen hätte, flüsterte er verschwörerisch:
„Bettina bekommt fast den gleichen! Nur ein klein wenig kürzer. Nehmt diesen! Ich bitte Euch! Sonst wird sie mir noch eitel."
Seinem neuen Herrn schenkte er ein Fass Aquavit.Auch Hardrich hatte Geschenke für den Dänen und seinen Gast vorbereiten lassen. Einen ziselierten Dolch aus spanischem Stahl für Sören und ein Fässchen gehaltvollen Südwein für den alten Mann.Mit diesen beiden Gästen saß das Paar anderntags abends nach dem Paradies- und Krippenspiel in der Stadtkirche noch lange zusammen. Die Hochzeit mit von Beverns Ältester würde nicht vor April stattfinden. Und bis dahin hatte der Däne in der Burg einige Zimmer für sich bekommen. Jetzt erzählte er gerade von den Erlebnissen der letzten Heimfahrt und Gertraud und ihr Vater lachten. Auch Reno von Trettin hatte das Dänenreich in seiner Jugend bereist und so wurde erzählt, gescherzt und gelacht. Nur der Markgraf saß die meiste Zeit über schweigend dabei und schien mit Zuhören allein zufrieden zu sein.Es war schon spät in der Nacht, als sich die Eheleute auf dem Gang zwischen ihren Zimmern eine gute Nacht wünschten. Da die Kirche auch an Feiertagen fleischliche Lust verbot, würden sie auch heute getrennt schlafen. Zudem hatte sie gerade an diesem Morgen ihre Blutung bekommen.
Gertraud umarmte den Ritter und murmelte selig und schläfrig:
„Was für ein schöner Tag."
Als sie wenig später beim Zubettgehen die Bettdecke zurückschlug, fand sie noch ein weiteres Geschenk auf ihrem Kissen liegen.
Dort lag ein Buch. Die Reisebeschreibung eines Pilgers, der den Jakobusweg genommen hatte. Sie entzündete eilig noch zwei Kerzen und schlug den kostbaren Band mit klopfendem Herzen ehrfürchtig auf. Auf dem Innenumschlag fand sie in Hardrichs großer, eckiger Handschrift eine Widmung.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt