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Auf dem Dühringschen Hof erfuhr man noch am gleichen Abend von den Gräueltaten in der Stadt.

Von den eigenen Pächtern und dem Gesinde war niemand zu Schaden gekommen, aber mehrere Männer und Frauen hatten die Verstümmlungen mit angesehen. Wie ein Lauffeuer sprach es sich weiter herum und am Abend kamen fast vierzig Menschen auf dem Hof zusammen, die ihrem Herrn berichteten.

Wichard war bestürzt.

Zwar hatte er Vergeltungsmaßnahmen befürchtet, aber es traf ihn zutiefst, dass wehrlose Bürger das Ziel gewesen waren und nicht ihre Truppe von Aufständischen.

Die anfängliche Verunsicherung und Angst der Menge schlug bald um in lautstarke Empörung und Wut.

Alles schrie und redete durcheinander und die Gemüter erhitzten sich immer weiter. Drei junge Männer schwangen Heugabeln. Einer wog eine Axt in Händen.

Es war das erste Mal, dass Wichard eine solche Krise auf dem Gut ohne die Hilfe seines Vaters zu bewältigen hatte.

Rupert zog ihn beiseite und raunte ihm eindringlich zu:

„In unsicheren Zeiten wie diesen brauchen die Menschen einen starken Anführer. Einen, dem sie vertrauen und der die Dinge besonnen überschaut. Der ihnen den Weg weist!"

Der junge von Dühring sah ihn zweifelnd und unglücklich an, doch Rupert ließ ihn gar nicht zu Wort kommen, sondern fuhr streng fort:

„Ihr müsst jetzt dieser Anführer sein! Ich kann Euch das nicht abnehmen!"

Sein Herr schluckte.

Ruperts Ton und Bevormundung kratzten ein wenig an seinem Selbstwert, aber tief in seinem Innern war Wichard klar, dass sein Verwalter vollkommen recht hatte.

Er sammelte sich kurz, trat dann vor die Menschen hin und hob die Hände.

„Ruhe! Die Axt runter da! Ruhe! Ruhe jetzt! Wir wollen beten!", rief er laut.

Und mit diesen Worten sank er auf ein Knie herab.

Der Lärm erstarb.

Geschrei und Aufregung verebbten, als die Leute seinem Beispiel folgten und einer nach dem anderen niederkniete.

Mit fester Stimme sprach der Sohn des alten Gutsherrn ein Gebet.

Er dankte Gott, dass sie alle unversehrt geblieben waren und bat um Kraft und um Genesung der Opfer. Ein gemeinsames Vaterunser beschloss die Fürbitte. Rupert nickte ihm kaum merklich zu und lächelte in sich hinein.

Wichard selber hatte nicht den Eindruck, besonders abgeklärt und besonnen gewirkt zu haben, doch als er sich immer noch recht nervös erhob, war es still geworden. Er räusperte sich.

Dann sprach er weiter an die Menge gewandt:

„Die Dänen haben Vergeltung geübt. Für den Tod ihrer Männer. Und eine deutliche Warnung wurde ausgesprochen. Wahrscheinlich wird es in allernächster Zukunft nicht wieder zu einer solchen Tat kommen, aber wir sollten sehen, dass wir die Stadt meiden, soweit möglich."

Ein Murren hob an und Einwände wurden geäußert.

Doch von Dühring hob die Stimme und rief:

„Ich werde niemandem verbieten in die Stadt zu gehen! Aber wenn ihr geht, geht nicht allein. Seid wachsam! Niemand kann in den Kopf dieses Wahnsinnigen sehen."

„Aber Herr, wir müssen..."

Wichard aber schüttelte vehement den Kopf, hob die Rechte und erwiderte scharf:

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt