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Nubia war erschöpft. Und verstört. Sie hatte kaum geschlafen und erst jetzt - hier am Kai - wurde ihr bewusst, auf was sie sich eingelassen hatte. Vor ihr lag das weite Meer. Unendlich, soweit sie sehen konnte. Und diese Männer - auch der, dem sie folgte - waren drauf und dran, das Schiff dort drüben zu besteigen, um fort zu segeln. In eine ungewisse, fremde Ferne. Kalte Angst drohte sie zu überwältigen.

Endlich erkannte der große Mann sie. Sie murmelte seinen Namen und hoffte, er würde aus dem Klang heraushören, wie hilflos sie sich fühlte. Fast hätte sie die Hand nach ihm ausgestreckt. Doch er stand nur reglos da und starrte sie mit offenem Mund an. Bis der, der ihn begleitete, ihn aus seiner Erstarrung riss.

„Die gehört zu Dir? Was soll das, Mann?", zischte Ubald und es klang in höchstem Maße empört.

Der Markgraf sah auf ihn herab und runzelte die Stirn, verärgert über den unverschämten Ton.

„Was geht's Dich an?", blaffte er barsch zurück.

„Du schmuggelst ein Weibsbild mit her? Und setzt unser beider Überfahrt auf's Spiel? Bist Du noch zu retten?"

Erst bei diesen Worten ging Hardrich auf, dass Ubald mit seiner Befürchtung womöglich richtig lag. Nubia war eine entlaufene Sklavin. Was, wenn sie ihm hier vor aller Augen eine Szene machte und der Kapitän sie daraufhin alle drei fortschickte oder - noch schlimmer - festnehmen und zurück nach Jerusalem schaffen ließ? Der Markgraf schluckte.

„Ich hatte keine Ahnung, dass sie hier ist! Sie muss mir gefolgt sein!"

„Aber Du kennst sie?", beharrte Ubald scharf, noch immer mit finsterer Miene.

„Ja", brummte Hardrich unwirsch.

„Und sie ist ja wohl kaum Deine eigene Leibeigene. Sonst würdest Du nicht mit uns Hungerleidern hier stehen! Also entlaufen?", schlussfolgerte sein Gegenüber und funkelte ihn vorwurfsvoll an.

Von Aven nickte knapp. Der Diakon fluchte unterdrückt auf Italienisch und gestikulierte aufgebracht gen Himmel.

„Du bringst uns in Teufels Küche! Eine entlaufene Sklavin! Che maledetta merda!"

Während die Warteschlange vor ihnen wieder ein Stück schrumpfte und die Frauen weiter gackernd lachend um die Nackten herum standen und ihre Kommentare abgaben, hatte Nubia stumm ihrem Gespräch gelauscht. Obwohl sie die Worte nicht verstand, erriet sie wohl, was gesprochen wurde und dass die beiden Männer wenig erpicht darauf waren, ihr irgendwie beizustehen. Dies schien allerdings ihren Widerstandsgeist neu zu entfachen. Trotzig zog sie Nase hoch, wischte sich entschlossen die Augen und zeigte herausfordernd ihr Siegel vor.

„Wie bist Du bloß daran gekommen?", brummte Hardrich mit zusammengezogenen Brauen.

„Das ist doch jetzt einerlei! Niemals dulden sie die an den Rudern! Und auf uns fällt es zurück, wenn sie an deinen Röcken hängt! Die Frage ist, was machen wir jetzt?", fuhr Ubald dazwischen.

Der Ritter zuckte ratlos die Schultern.

„Wer bist Du eigentlich?", wollte der Diakon dann an Nubia gerichtet wissen.

Doch die verstand ihn nicht und so war es Hardrich, der für sie antwortete.

„Hat bei dem Bader gedient, wo ich in Jerusalem untergekommen bin. Im Frauenbad dort."

„Aha."

Ubald sah ihn noch immer streng an und forderte ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung auf, Weiteres preiszugeben. Währenddessen machte sich der Mann, der vor Nubia anstand, daran, sich für die Inspektion zu entkleiden.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt