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Hardrich gab noch eine Runde Kräuterbrannt aus und es wurden in dieser Nacht erstmals wieder Posten bestimmt, die zu zweit über die Schlafenden und die Pferde wachten.
Als Gertraud und ihr Mann später im Dunkeln eng beieinander in ihrer Ecke lagen, musste sie sich dann doch noch einige Vorwürfe anhören.
„Du darfst Dich nie wieder in solche Gefahr begeben, hörst Du? Wenn ich dieses verfluchte Versprechen nicht gegeben hätte, würde ich es Dir jetzt mit einer Tracht Prügel einbläuen, verdammt", brummte er leise.
„Du glaubst eine Tracht Prügel prägt sich besser ein, als die Todesangst, die ich dort ausgestanden habe?", fragte sie leicht gereizt zurück.
Er seufzte tief und presste seine Stirn an ihre. Sie schwiegen eine Weile.
„Was hättest Du getan, wenn Jörgen nicht gewesen wäre?", flüsterte sie dann.
„Bevor wir alle losgelaufen sind, hab ich Karl und seinen Bruder in den Wald geschickt, damit sie im Bogen von hinten an die Kerle gelangen. Und wir haben dann ordentlich Krach geschlagen, um sie abzulenken. Aber Karl und Martin wären erst sehr viel später dort gewesen, wo Jörgen, Gott sei Dank, zufällig gerade schon war. Die verdammten Bastarde hatten Angst. Und Angst macht einen Gegner unberechenbar und gefährlich und..."
Er wollte noch etwas sagen, aber Gertraud begann plötzlich heftig zu schluchzen und bedeckte sein Gesicht mit Küssen.
Die Anspannung der letzten Stunden fiel mit einem Mal ab von ihr und ein Gefühl von Geborgenheit, Dankbarkeit und Liebe übermannte sie. Er hatte voller Umsicht alles getan, um sie zu retten.
„He... Ist ja gut. Komm her", sagte er sanft und sie kroch in seine Umarmung und weinte leise an seiner Brust.
Er strich ihr tröstend über den Rücken und flüsterte:
„Als das damals mit Wernherr war... Als sie ihn als Geisel hatten, meine ich... Ich hab dagestanden, wie blöde. Und mein Zorn macht dann alles noch viel schlimmer. Ich fand einfach keinen Ausweg! Deshalb hat Wernherr einen herbeigeführt und ist gestorben. Für mich. Ich habe seither nächtelang gegrübelt, was ich hätte tun sollen. Was hätte ein wahrer Feldherr wie Alexander der Große getan? Ich habe inzwischen alles gelesen, was ich in Büchern dazu finden konnte und im Geiste dutzende Möglichkeiten durchgespielt. Trotzdem sehe ich es immer wieder vor mir. Und seit Du bei mir bist, sehe ich immer Dich da stehen! Großer Gott! Wenn Dir..."
Er brach ab und musste sich räuspern.
Da fuhr sie flüsternd und mit vom Weinen belegter Stimme fort:
„Heute wusstest Du einen Ausweg. Und der Herr von Harchow wäre jetzt sehr, sehr stolz auf Dich."
Sie fühlte, wie sich seine Arme im Dunkeln fest um sie schlossen. Und so schliefen sie zusammen ein, geborgen in der Nähe und der Wärme des anderen. Trotz des harten Untergrundes und der Feuchtigkeit in Hardrichs grober Reisedecke. Trotz des muffigen Geruchs des schimmeligen Strohs und des Gemurmels und Hustens der Männer, die nur ein paar Klafter entfernt schliefen.

Am nächsten Morgen ließ Hardrich endlich Gertrauds Stute satteln und sie konnte bis zum Mittag reiten. Dann zogen einige letzte schwere Schauer über das Land und für sie ging es zurück in den ungeliebten Wagen. Hardrich und gut die Hälfte ihrer Männer waren stark erkältet, was auch nicht wirklich verwunderlich war. So beschlossen sie, an diesem Tag schon früher zu rasten als gewöhnlich, zumal sie am Nachmittag eine kleinere Stadt erreichten. Dort quartierten sie sich in einem Gasthaus ein. Seine Erkältung verdarb Hardrich die Laune und er wollte nicht zur Messe und schon gar nicht ein wenig durch die Straßen spazieren. Er saß missmutig mit seinem Krug Bier im Schankraum und Gertraud hockte gelangweilt daneben. Sie überlegte kurz, ihn zu fragen, ob sie sich nicht alleine ein wenig die Beine vertreten könne. Hier in der Stadt wäre es ja sicherer, als im Wald. Aber als sie es nur vorsichtig andeutete, fuhr er sie zornig an, ob sie schon vergessen hätte, was das letzte Mal geschehen sei, als sie alleine unterwegs gewesen war.
Schließlich gingen sie früh zu Bett. Sie hatten eine Kammer mit zwei schmalen einzelnen Betten und heute war Gertraud ganz froh darum, denn er wälzte sich die halbe Nacht schlaflos im Bett herum, weil ihn Husten und Schnupfen nicht zur Ruhe kommen ließen.
Drei Tage später verzögerte sich die Rückreise noch weiter. Fast alle waren nun krank und vier der Männer bekamen hohes Fieber. Auch Hardrich fieberte und die Gruppe musste die Reise unterbrechen.
Ein Bauer nahm die Reisenden nur unfreiwillig auf, aber Hardrichs Auftreten duldete keinen Widerspruch. Jörgen, der ein wenig von Heilkunde verstand und die Markgräfin, die alle ihre Geschwister durch ähnliche Fiebernächte hindurch geholfen hatte, machten kühle Umschläge und Wadenwickel, wuschen verschwitzte Kleider und Schnupftücher, kochten Essen, brühten Tee auf und verteilten löffelweise Honig, den der Bauer ihnen teuer verkaufte. Ihr gefiel es sehr, wieder einmal selber tätig sein zu können und Hardrich war ihr dankbar, denn hier draußen war niemand, der ihnen sonst hätte helfen können. Hardrich hatte den Bauern zwingen wollen, seine Frau und die beiden Töchter als Hilfskräfte für sie arbeiten zu lassen, aber da hatte der einfache Mann sich derart vehement geweigert, dass ihn selbst die Angst vor ihren Schwertern nicht gefügig machte. Nur über seine Leiche würde eine der anständigen Frauen auf seinem Hof einem Haufen fremder Männer zu Willen sein, hatte er geschrien. Er hatte sie aufnehmen müssen, aber weiter würde sein Entgegenkommen ganz sicher nicht gehen.
Also hatte Gertraud mit zugefasst und sie hatte wie selbstverständlich die nötigen Entscheidungen getroffen, als es Hardrich so schlecht ging, dass er sich nur noch mit seiner Decke im Stroh verkriechen wollte. Sie kaufte vom Bauern drei Hühner und einiges an Gemüse und kochte einen Kessel Suppe, zu der Jörgen noch Kräuter, wilde Zwiebeln und Beeren aus dem Wald hinzu fügte.
In der Scheune, die der Bauer ihnen zugewiesen hatte, ließ sie Leinen spannen, um die Wäsche zu trocknen und Till, dem es noch recht gut ging, hielt das Feuer im Gange, ging Wasser holen und erledigte den Abwasch. Die drei waren bald ein eingespieltes Gespann. Als sie nach einer Woche endlich weiterziehen konnten, kannte die Markgräfin jeden in der Truppe mit Vornamen und war in der Achtung der Männer hoch gestiegen. Hardrich war stolz auf sie. Auch wenn er es nicht immer gerne gesehen hatte, dass sie derart niedere Dienste tat. Aber ihm war klar, dass sie ohne seine Frau noch nicht wieder unterwegs gewesen wären. Er bezahlte den Bauern, der froh war, sie los zu sein und sie setzten ihre Reise fort.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt