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Gertraud hatte sich in den langen, düsteren Stunde ihrer Gefangenschaft immer wieder vorgestellt, wie ihr Wiedersehen mit dem verhassten Dänen wohl abliefe. Wie sie ihm ihre ganze Verachtung entgegenschleudern würde.
Und nun, da er vor ihr stand, war sie derart bestürzt und voller Mitgefühl mit dem Mädchen, dass alles ganz anders kam.
Hildegards vormals so hübsches, argloses Kindergesicht war schwer gezeichnet von erlittener Gewalt, ihre Oberlippe aufgeplatzt und angeschwollen. Blutergüsse prangten auf Stirn und Wangen und der Hals war übersät mit dunklen Flecken und Bissspuren. Verstört irrte der Blick ihrer großen, dunklen Augen umher. Wie der eines gehetzten Tieres, das verzweifelt ein Schlupfloch sucht, um sich zu verbergen.
Der kumanische Wachmann war aufgesprungen, sichtlich verunsichert, doch der Däne beachtete ihn überhaupt nicht. Er setzte sich breitbeinig auf einen der Schemel und zerrte die junge Frau auf seinen Schoß.
Wimmernd krümmte Hildegard sich in seinem Griff zusammen. Doch er packte grob ihr Kinn und hob es an, sodass sie flehentlich zur Markgräfin aufsah, die sich schwankend erhoben hatte und an ihren Stuhl gestützt dastand.
„Ihr erinnert Euch doch an Hildegard, nicht wahr? Ist sie nicht ein kleiner Schatz? He, weißt Du nicht, was sich gehört? Nun begrüße die hohe Dame artig, Hilla!", fuhr de Allinge sie barsch an, schüttelte sie und feixte, als das Mädchen zu verängstigt war, um auch nur einen Ton von sich zu geben.
Gertraud verschlug es vor Entsetzen die Sprache. De Allinge auf der anderen Seite genoss seinen Auftritt ganz offenkundig und war allerbester Laune. Ohne einen Funken Mitgefühl für die Qualen, die die junge Frau durchlitt.
Er ließ sie auf seinen Knien reiten und jede einzelne Erschütterung schien ihr Schmerzen im Schritt zu bereiten. Gertraud war nur zu klar, worauf das schließen ließ.
Heißer Zorn begann in ihr zu kochen, während Hildegard unterdrückt zu weinen anfing. Gertraud war drauf und dran, den Mann anzuschreien, er solle gefälligst seine Finger von dem Kind lassen. Doch sie fürchtete, was sie auch sagte, es würde dem Mädchen mehr schaden, als nützen. Womöglich ließ de Allinge seinen Ärger dann an ihr aus. Mühsam schluckte Gertraud also ihre Abscheu herunter und schwieg.
Aber der Nordländer vermochte Stimmungen und Gedanken seines Gegenübers ebenso gut zu erkennen, wie sie selber. Er sah genau, wie aufgebracht die Markgräfin war und auch das schien ihm ein boshaftes Vergnügen zu bereiten.
Eine Weile sah er sie mit funkelnden Augen an, schlang seine Arme um die junge Frau auf seinen Knien und vergrub mit einem Grunzen sein Gesicht in ihrem dichten, braunen Haar.
Dann sagte er gefährlich leise an die Markgräfin gerichtet:
„Ihr... Ihr wolltet sie mir abspenstig machen. Und das war nicht das erste Mal, dass Ihr fast meine Pläne durchkreuzt habt. Angeschwärzt habt Ihr mich bei Eurem Mann. Plötzlich war er misstrauisch. Obwohl vorher alles so gut lief. Er hat sogar meine Stube durchsucht. Dachte wohl, ich merk das nicht. Fast hättet Ihr alles verdorben. Und das nur wegen ein paar blauer Flecke und Gejammer meiner törichten, kleinen Tina."
„Und da habt Ihr sie zum Schweigen gebracht?", fragte Gertraud aufbrausend.
Er schnaufte verächtlich und spielte mit einer Haarsträhne des Mädchens.
„Als ich hörte, dass sie Euch den Namen ihres verdammten Gauls genannt hatte, hätte ich sie fast erschlagen. Was, wenn Ihr herausgefunden hättet, dass das ein kumanischer Name ist? Und wenn sie vielleicht noch erzählt hätte, dass ich mich mit Männern traf, die nicht gerade aussahen, wie Landsleute? Es stand viel zu viel auf dem Spiel, als dass ich ihr einen Besuch bei Euch hätte erlauben können."
Gertraud ächzte und sah mit Sorge auf Hildegard, die aber so verwirrt wirkte, als dringe gar nicht durch zu ihr, was um sie herum gesprochen wurde.
„Dann war ihr Tod kein Unfall", stellte Gertraud erschüttert fest.
Sie sah ihn herablassend grinsen.
„Ihr habt es geahnt. Das sah man Euch an. Ja, Bettina war eine Närrin, aber Ihr seid ganz offensichtlich keine. Und bevor Euer Mann sich am Ende doch noch gegen mich gewendet hätte, musste sie verschwinden. Und am besten gleich zusammen mit diesem verfluchten Klepper. Also habe ich mir den Abend noch ihren Sattelgurt vorgenommen. Und Hinrik hat sie anderntags mit der Meute auf dem Feld abgepasst. Dann hat er die Hunde auf sie gehetzt. War ein hübsches Springen, hat er mir erzählt. Bis sich der Gaul nach ein paar Meilen endlich zwei Beine brach und Bettina sich ihren Hals. Ach, wisst Ihr... Es tat mir fast ein wenig leid um sie. Ich hatte mich schon so daran gewöhnt, abends nach Hause zu kommen und zu wissen, dass sie dort voll banger Demut auf mich wartet. Ah, ich hatte wahrlich schon immer eine Schwäche für die reizenden Töchter des Hauses von Bevern. Dieses Haar! Aber mir blieb ja noch die kleine Schwester. Und bei ihrer Alten habt Ihr mich auch schlecht geredet. Und dann noch von Walow mit ihr verkuppelt. Und das konnte ich nur knapp verhindern."
Bei der Erwähnung ihrer Mutter hatte Hildegard begonnen, heftigst zu schluchzen und die Markgräfin fiel auf ihren Stuhl herab, betroffen von dem, was sie soeben gehört hatte.
„Was habt Ihr getan?", fragte sie kaum vernehmbar.
Der dänische Hauptmann schien auf diese Frage gewartet zu haben.
Endlich ließ er von Hildegard ab und diese floh sich auf eine Bank in der Ecke, wo sie begann, unablässig ihren Oberkörper vor und zurück zu schaukeln. Vor und zurück, vor und zurück. Wie von Sinnen.
Sören de Allinge betrachtete sie gleichgültig und wandte seinen kalten Blick dann wieder Gertraud zu:
„Melissa hat ihre Tochter versteckt vor mir. Als wir ankamen, trat sie mir hoch erhobenen Hauptes entgegen und sagte, sie würde eher sterben, als mir zu sagen, wo Hildegard sei. Und sie ließ es wahrlich darauf ankommen! Dabei war mir sofort klar, wo die Kleine steckte. Adelhard ist so ein treuherziger Schafskopf... Er hat mir den geheimen Raum hinter seinem Studierzimmer bereits bei meinem zweiten Aufenthalt dort gezeigt. Ihr hättet Melissas Gesicht sehen sollen! Und das, nachdem alle meine Männer über sie drüber sind!"
Wieder lachte er dieses entsetzliche Lachen und Gertraud konnte ihre Wut nicht länger in Zaum halten.
Zornbebend fauchte sie ihn an:
„Frauen und Kinder schänden! Das gefällt Dir, was? Du mieses Schwein! Fahr zur Hölle!"
„Seht Euch vor...", erwiderte er drohend und sein Gesicht verfinsterte sich.
Doch Gertraud geriet nun immer mehr in Rage.
Er war schuld. An allem, was sie, was Hildegard und all die Menschen um sie her erlitten hatten. Wenn sie in diesem Moment die Möglichkeit gehabt hätte, hätte sie selber ihm ohne zu zögern das Messer in die Brust gestoßen.
Und es brach aus ihr heraus, mit all der Kraft, die sie noch aufbringen konnte:
„Du verfluchter Verräter! Unser Vertrauen hast Du Dir erschlichen! Voll Hinterlist! Das Blut meiner Landsleute hast Du vergossen! Du Mörder! Mörder! Ich verfluchte Dich! Mein Vater ist tot! Und mein Sohn! Mein Kind ist tot... durch Deine Heimtücke! Das macht Dich geil? Das Leid anderer? Du... Du hinterfotziges Stück Dreck! Der Strick ist noch zu schade für Dich!"
Und da, sie hatte es in ihren Alpträumen immer wieder vor sich gesehen, verzog sich seine Miene zu der furchteinflößenden Fratze, die sie schon einmal kurz gesehen hatte und das Herz schlug ihr bis zum Halse.
Er erhob sich drohend und trat auf sie zu, doch Gertraud war jetzt so voller Zorn, dass sie wünschte, sie könne wirklich Hand an ihn legen. Auf ihn einschlagen, ihm Schmerzen bereiten und ihn vernichten.
Und sie schrie ihn weiter an:
„Da ist nicht das kleinste bisschen Anstand in Dir und ich werde ab jetzt ganz sicher nicht mehr so tun, als hätte ich einen Edelmann vor mir, Du räudiger Bastard!"

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt