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Eine Weile danach lief plötzlich ein erheitertes Geflüster durch den Raum und als Gertraud aufblickte, sah sie Rudolf von Walow, der mit einem breiten Lächeln im Gesicht in der offenen Tür stand.
„Ah, hier sind sie also tatsächlich alle beisammen. Die gesamte holde Weiblichkeit der Mark!", rief er und verbeugte sich galant.
Geziertes Lachen und Kichern war die Folge. Besonders aus dem Kreis der unverheirateten jungen Frauen und Mädchen. Von Walow zwinkerte in deren Richtung und kam herein.
Ludiwika rollte kopfschüttelnd die Augen und meinte leise zu Gertraud:
„Er kann es doch einfach nicht lassen. Ach, Bruder..."
Die Markgräfin lächelte und musste kurz an ihren Bruder Paul denken. Von Walow trat zu ihnen, grüßte höflich und blieb neben seiner Schwester stehen.
„Nun, Herr von Walow, sagt mir doch bitte, wer hat denn die Wettkämpfe heute gewonnen?", fragte Gertraud ihn freundlich.
Der Lehensmann verzog schmerzlich das Gesicht und antwortete:
„Die Mannen Eures Gatten waren es leider nicht, hohe Frau. Die haben sich den zweiten Platz erstritten. Deshalb fürchte ich fast, es hat sich heute wieder jemand den Zorn des Markgrafen zugezogen. Aber ich war es diesmal nicht."
Er hob ergeben die Hände in die Höhe und alles lachte. Außer der Markgräfin.
„Gewonnen haben die Rekruten Eures Gatten, Frau von Meez", fuhr er höflich fort und verneigte sich in Richtung der Schwangeren.
Sophia von Meez schien dem Gespräch jedoch gar nicht gefolgt zu sein. Verwirrt errötete sie heftig, als man sie jetzt ansprach und alles sie ansah.
Die Markgräfin ächzte innerlich. Ausgerechnet. Das würde Hardrich gar nicht gefallen. Aber er hatte die Regeln aufgestellt und würde sich nun auch selber wohl oder übel daran halten müssen. Sie wusste, dass die Wettkämpfe unterwegs in gewissen Abständen wiederholt werden würden, damit alle in Übung blieben und auch von der Weiles Verband Gelegenheit bekam, sich mit den anderen zu messen. Und sie hoffte einfach, dass ihn der zweite Platz und die Aussicht auf eine Revanche, etwas besänftigen würde.
Nur etwas später erschien dann der Ritter selber, gefolgt von einer Gruppe Herren. Auch ihr Ziehvater war darunter. Doch jetzt gab es kein Gekicher und Getuschel. Alles hielt im Gespräch inne und verstummte, verunsichert durch die bloße Gegenwart des Landesherrn.Hardrich hatte nicht erwartet, sich plötzlich einer solch großen Schar aufgeputzter Damen gegenüber zu sehen und stutzte. Suchend und stirnrunzelnd blickte er sich um. Gertraud erhob sich rasch, kam mit einem Lächeln auf ihn zu und sah, wie ihr Mann aufatmete, als er sie zwischen all den Leuten entdeckte.
„Willkommen!", begrüßte sie die Näherkommenden, wandte sich dann an die Mägde, klatschte in die Hände und befahl:
„Bringt Bier für alle. Rasch!"
Die Herren gesellten sich zu ihren Familien, man unterhielt sich und stieß zusammen an. Reno von Trettin nickte ihr kurz zum Gruß zu, gesellte sich dann aber zusammen mit Burkhard Lose, dem Verwalter, zur Familie von Bevern.
Hardrich war schweigsam und froh, dass Gertraud ihm den Großteil der Konversation abnahm. Hinlänglich erstaunt sah er sich um. Dies also hatte sie für die Frauen erdacht. Er betrachtete die Kinder, die inzwischen wieder in ihr gemeinsames Spiel vertieft waren und die Familien im Gespräch miteinander. Und diesen verdammten Ehrgeizling von Meez, der sich gerade zu seiner Frau hinunterbeugte. Er bemerkte jetzt deren fortgeschrittene Schwangerschaft. Am Begrüßungstag, als sie im weiten Mantel und mit bangem Blick halb hinter ihrem Mann versteckt, vor ihm gestanden hatte, war ihm das gar nicht aufgefallen.
Hardrich seufzte und blickte auf seine eigene Frau herab. Sie schob gerade ihren Arm unter den seinen und zog sich noch dichter an ihn. Als hätte sie sein Augenmerk auf sich gespürt, sah sie auf und ihm direkt in die Augen. Er legte seine Hand auf ihre und drückte sie. Dann warf er noch einen Blick in die Runde und nickte ihr anerkennend zu.
Sie lächelte und flüsterte:
„Ich glaube, alle haben sich recht wohl gefühlt."
„War das Dein Anliegen? Das alle sich wohlfühlen?", fragte er.
Sie nickte.Er schmunzelte.
„Du hättest die Weiber auch fein nach Deiner Pfeife tanzen lassen können. Verdient hätten es einige."
Sie schüttelte nachdenklich den Kopf.
„Nein, Hardrich. Das liegt mir nicht. Mir ist es gerade recht so wie es ist."
„Du hast ein viel zu weiches Herz", raunte er und presste seine Lippen auf ihre Schläfe, dort wo ihr Haar noch nicht von der Haube bedeckt war.
Über ihr Lächeln vergaß er fast, dass sie inmitten all seiner Lehnsleute standen und er erstarrte, als er aufsah und die vielen auf sie gerichteten Augenpaare bemerkte. Er ächzte.
„Lass uns gehen. Mir reicht es für heute mit Geselligkeit", brummte er ihr ins Ohr.
„Aber wir haben Gäste. Wir können doch nicht...", wandte sie ein.
„Ich kann. Und Du wirst auch. Dies ist der letzte Abend, den wir für uns allein haben und den will ich ganz sicher nicht hier verbringen, Frau."
Derart jäh an die Trennung erinnert zu werden, nahm ihr einmal mehr fast den Atem. Hardrich hörte sie keuchen, spürte, wie sie leicht wankte und sich ihre Hand fester um seinen Arm schloss. Da reckte er sich, sah gebieterisch in die Runde und hatte im Nu die Aufmerksamkeit aller auf sich gezogen.
Laut sprach er in den Saal hinein:
„Die Markgräfin und ich werden uns jetzt zurückziehen. Jeder fühle sich frei, hier im Saale weiter zu verweilen. Für das leibliche Wohl soll gesorgt werden. Einen guten Abend."
Und damit führte er Gertraud ungerührt an den Gästen vorbei und hinaus aus dem Saal. Alles verbeugte sich und erwiderte den Gruß, aber sie hatte trotzdem ein schlechtes Gewissen, den Damen gegenüber. Sie fürchtete ein wenig, die gerade erarbeitete erste Annäherung mit diesem doch leidlich abrupten Abgang wieder zu gefährden.
Doch auf der Treppe dachte sie, dass auch die anderen Damen diese Zeit sicherlich gerne in Familie verbringen würden und nicht unter dem strengen Auge des Landesherrn. Und plötzlich war sie ganz froh über Hardrichs unbotmäßiges Vorgehen. Die Tür seiner Gemächer schloss sich hinter ihnen und er lehnte sich aufatmend rückwärts dagegen. Ungelenk löste er dann als erstes die Schleife ihrer Haube und befreite ihr Haar aus Netz und Flechten. Gedankenversunken ließ er seine großen Finger durch ihre Locken gleiten, strich sie zurück und wieder vor, griff hinein und zog sie schließlich wortlos an sich.So furchtbar vieles machte ihm das Herz schwer, aber er war nicht in der Lage, es in Worte zu fassen. Sie hingegen hätte ihm gerne noch so viel gesagt, doch sie fürchtete, dass, wenn sie jetzt begänne, alles was sie sagte in einer Flut von Tränen enden würde. So schwiegen sie beide.
Arm in Arm. Lange standen sie einfach eng umschlungen da, bis ihm plötzlich etwas einfiel.
„Warte. Ich habe ja noch etwas für Dich", sagte er, griff in sein Wams und zog ein verziertes Beutelchen aus rotem Sammet hervor.
„Es ärgert mich sehr, dass ich nicht früher daran gedacht habe! Du solltest doch eigenes Geschmeide bekommen und jetzt habe ich nur diesen Tand für Dich. Aber denk dran. In dem geheimen Fach in Rettower Gutshaus liegt sämtlicher Schmuck meiner Mutter und meiner Schwestern. Auch der gute. Das ist alles Dein. Nur ein Stück habe ich noch hier in der Burg gelassen, damit Du morgen Abend gebührlich ausgestattet bist. Und für andere Anlässe, wenn ich fort bin. Für Weihnachten und so."
Sie wollte etwas einwenden, aber er unterbrach sie.
„Nein, sag nichts. Es steht Dir zu. Und nun sind die Kassen leer und ich kann es nicht mehr ändern. Ich bin solch ein Holzkopf!", brummte er ärgerlich.
Dann reichte er ihr den kleinen Beutel.
„Dein Geschenk an mich trage ich jetzt unter meinem Wams", sagte er dabei und fasste sich an die Brust, „Alle haben es immer angestarrt, als hätten sie im Leben noch keine Kette gesehen. Weiß der Teufel warum..."
Gertraud schluckte. Sie wusste recht genau, was dahinter steckte, behielt es aber geflissentlich für sich. Mit einem Lächeln nahm sie das Säckchen entgegen und sie setzten sich ans Feuer. Eine kleine rote Kordel verschnürte den dicken, weichen Stoff und als sie den Knoten öffnete und den Beutelinhalt vorsichtig in ihre Hand schüttelte, stieß sie einen hellen Freudenschrei aus. Es war der Bernstein, den sie am Strand gefunden hatte. Aber fein verarbeitet und poliert.
„Den hatte ich ja ganz vergessen!", rief sie und betrachtete das Kleinod entzückt im Licht des Kaminfeuers.
Meister Ulbrecht hatte den unscheinbaren Klumpen in einen Bären verwandelt. Ein aufrecht stehender, kleiner Bär mit ausgestreckten Tatzen. Wie er auf dem Landeswappen prangte. Eine feingliedrige Goldkette lief durch eine Öse zwischen den Ohren des Bären. Die Oberfläche war glatt poliert und hochglänzend und man konnte jetzt durch den Stein hindurchsehen wie durch dickes Glas. Nur einige wenige Einschlüsse waren zu sehen und das flackernde Feuer dahinter verlieh dem Stück eine warme Lebendigkeit. Zufrieden betrachtete der Ritter seine Frau, die das Kunstwerk verzaubert in Händen hielt, drehte und wendete und ihn endlich umarmte.
„Ich danke Dir. Das ist eine wunderschöne Erinnerung an unsere Tage dort am Meer und so vortrefflich gearbeitet!"
„Ja, ganz ordentlich geworden. Ulbrecht versteht sein Handwerk", meinte er zustimmend und hängte ihr die Kette um.
Sie nahm den Anhänger noch einmal in die Hand und meinte schmunzelnd:
„Ich werde ihn Bärdrich nennen und immer bei mir tragen. Und wenn ich einsam bin und verzage, wird er mir ins Ohr brummen: „Sei vernünftig, Frau!". Und er wird Deine Stimme haben."
Hardrich schnaubte belustigt.
Dann fasste er sie an den Schultern, sah ihr tief in die Augen und sagte leise:
„Versprich mir etwas."
„Und was?"
„Ich will, dass Du stark bist. Wie eine Bärin. Und nicht weinst dieser Tage."

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt