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Siege und Niederlagen

Nach ihrer Aussprache hatten sich die beiden Männer erstaunlich gut verstanden. Niemals hätte Hardrich das für möglich gehalten.
Von Trebur hatte seinen Vater tatsächlich recht gut gekannt und so erfuhr der Ritter einiges über seine Eltern, dass er bislang nicht wusste. Gotthilfs Worte hatten in Hardrichs Vorstellung ein zum Teil ganz anderes Bild seines Vaters entstehen lassen, als es zum Beispiel die Erzählungen Werner von Harrchows getan hatten, der Otto von Aven untertan und ihm sehr ergeben gewesen war. Besonders eine Sache gab es, die den jungen Markgrafen schon lange bewegte.
„War mein Vater eigentlich... auch... nun, ja... leicht reizbar?", hatte Hardrich gefragt, während sie eines Abends vor Gotthilfs Zelt zusammensaßen.
Unter ihnen breitete sich in der Dämmerung ein stilles Tal mit einem See aus, Grillen zirpten und im Hintergrund war das entfernte Lachen und Rufen ihrer Leute zu hören.
„So jähzornig, wie Ihr es seid, meint Ihr?", fragte Gotthilf zurück und grinste breit.
Hardrich fühlte sich ein wenig ertappt und trank verlegen einen Schluck Wein. Doch dann nickte er.
„Ihr wisst es wirklich nicht?", wunderte sich von Trebur ungläubig.
Der Markgraf runzelte leicht verärgert die Stirn und schüttelte den Kopf. Fast bereute er, gefragt zu haben, obwohl er sich diese Frage wieder und wieder stellte und darauf brannte, endlich eine Antwort zu erhalten.
„Aufbrausend war er schon. Ja. Allerdings war nicht eine solche Unversöhnlichkeit und Wut in ihm, wie ich sie in Euch gesehen habe. Otto war in einem Moment zornig und im nächsten war es auch schon wieder vorüber. Ich weiß noch... Da war ein Bankett und ein Knappe füllte seinen Kelch. Otto wandte sich unvermittelt um und der Junge bemerkte es zu spät... Jedenfalls ergoss sich die halbe Kanne Rotwein vor allen Leuten über seine Beinkleider und den Tisch."
„Ich hätte ihn umgebracht...", stöhnte Hardrich.
„Euer Vater war auch wütend. Er ohrfeigte den Burschen und brüllte ihn an. Dem Gastgeber war der Vorfall noch weitaus unangenehmer und er ordnete eine recht drakonische Strafe für den Übeltäter an. Fünf Stockhiebe und eine Nacht am Pranger, wenn ich mich recht entsinne. Da war Ottos Zorn aber bereits verraucht und die Sache aus der Welt. „Schade, um den guten Tropfen!" rief er noch und alles lachte. Er hatte sich gut im Griff, Euer Vater. Besser als so manch anderer."
„Besser als ich in jedem Fall", murmelte Hardrich niedergeschlagen und ließ den Blick grübelnd über das friedvolle Tal schweifen.
Nicht ohne Wohlwollen betrachtete Gotthilf den jungen Mann.
Dessen dunkle Augen lagen tief unter dichten, schwarzen, in der Mitte fast zusammengewachsenen Brauen, die zu den Seiten leicht anstiegen. Sie verliehen seiner Miene eine stete Strenge. Selbst bei bester Laune. Er war braungebrannt wie sie inzwischen alle und hatte in den Wochen, die sie jetzt unterwegs waren, Haar und Bart nur eher nachlässig zurecht gestutzt. Eine breite Nase, die aussah, als wäre sie mehr als einmal gebrochen und notdürftig gerichtet, milderte den Eindruck von Härte nicht gerade ab. Genau wie die auffällige, weißliche Narbe, die hell durch die schwarzen Barthaare an seinem kantigen Unterkiefer schimmerte und die ihm vom Kampf mit dem Bären geblieben war. Das einzig Weiche an ihm, waren seine vollen Lippen, die allerdings im Moment vom Bart fast ganz verdeckt waren.
An den Anblick der schwarzen Kappe, die von Aven ständig trug und die ihm wie eine zweite Haut eng am Kopfe anlag, hatte sich von Trebur inzwischen gewöhnt. Natürlich fragte auch er sich, was es damit auf sich hatte, doch er war klug genug, zu wissen, dass er den Ritter nicht direkt darauf ansprechen durfte.
Zumindest noch nicht. Vielleicht würde die gemeinsame Zeit, die sie noch vor sich hatten, eine Gelegenheit mit sich bringen, mehr darüber zu erfahren.
Von Trebur musste an Gunda denken, die jüngste und ihm liebste seiner drei Töchter. Im Gegensatz zu ihren Schwestern, hätte sie den Mann ausgesprochen attraktiv gefunden. Da war er sich sicher. Gunda hatte Männer von ausgeprägt männlichem Aussehen immer anziehend gefunden.
Und ausgerechnet sie hatte er mit diesem Alfons verheiratet, diesem schmächtigen Muttersöhnchen, das auch noch sechs Jahre jünger war als sie. Ihre Enttäuschung angesichts des wehleidigen Jüngelchen schmerzte ihn noch immer, wenn er daran dachte. Doch sie hatte sich gefügt, war inzwischen selber Mutter und führte Haus und Anwesen mit Umsicht und fester Hand. Und inzwischen war es Alfons, der sich stets fügte.
Aber dieser Mann hier, war aus anderem Holz geschnitzt. Jeder Vater wäre stolz, ihn zum Sohn zu haben, dachte er ein wenig wehmütig. Er trank einen Schluck Wein und seufzte.
Dann sagte er:
„Eure Mutter allerdings... Die konnte richtig wütend werden."
„Was?", entfuhr es Hardrich erstaunt.
„Eure Mutter war eine äußerst großgewachsene Frau. Wahrscheinlich habt Ihr Eure Statur dieser Seite Eurer Familie zu verdanken. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Euer Vater überhaupt größer war als sie. Wenn ja, höchstens eine Hand breit. Er sagte einmal, dass das Gesinde sich regelrecht vor ihr fürchte. Eine Woche nach der Hochzeit war sie so wütend auf eine der Zofen, die nicht schnell genug gehorchte, dass sie sie schlug. So heftig, dass dieser hinterher zwei Zähne fehlten."
Hardrich starrte ihn an und ein ungläubiges Lächeln huschte kurz über seine Züge.
„Ist das wahr?", fragte er.
„Glaubt Ihr, ich würde Euch anlügen?", lachte von Trebur mit gespieltem Vorwurf in der Stimme, „Fragt nur immer die Alten unter Euren Dienstboten!"
Hardrich hatte niemals derart Persönliches mit dem Gesinde besprochen und glaubte auch nicht, dass ihm jemand auf solch eine Frage eine ehrliche Antwort geben würde, wenn es nichts Schmeichelhaftes war, das sie über seine Mutter zu sagen hätten.
Gerade deshalb war er so erpicht darauf, zu erfahren, was Gotthilf ihm sagen konnte. Hier bekam er die Gelegenheit etwas über seine Eltern zu erfahren und zwar von jemandem, der sie persönlich gekannt hatte und der ihnen und ihm selber gleichgestellt war. Das war so wunderbar, dass er jedes Mal an Gotthilfs Lippen hing, wenn dieser begann, in seiner weitschweifigen Art zu erzählen. Er konnte einfach nicht anders.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt