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Der junge Hauptmann fand seinen Herrn im Zeltinnern auf dem grasbedeckten Boden liegend, die Hände vor das Gesicht gepresst. Wichard kniete sich neben ihn. Hardrich öffnete die Augen nur einen Spalt weit und schloss sie sofort wieder, als ob sogar das Tageslicht sein Leiden noch verschlimmerte.
"Du? Noch mehr Spott, hm?", ächzte er bitter.
Wichards Herz krampfte sich bei diesen Worten zusammen.
"Nein, Herr. Gott ist mein Zeuge, dass ich mir nichts mehr wünsche, als meine gestrigen Worte ungeschehen zu machen. Und wenn ich schon das nicht vermag, so will ich doch heute für Euch eintreten, wie es meine Pflicht ist", antwortete Wichard entschieden.
Und mit diesen Worten begann er, die Schnallen und Schnüre zu lösen, die den Panzer des Ritters hielten.Hardrich, der nahezu besinnungslos war, konnte nicht anders, als es mit sich geschehen zu lassen, doch als er sah, dass Wichard sich danach daran machte, die markgräfliche Rüstung selber anzulegen, bäumte er sich auf.
Seine Augen traten ihm fast aus den Höhlen und er fluchte:
"Nein! Verdammt, nein ..."
Er wollte Wichard packen und halten. Aber als er sich aufsetzte, überrollte ihn erneut eine Welle des Schmerzes. Er sank zurück und krallte seine Finger in den Boden. Wichard rüstete sich in aller Eile weiter und kniete dann neben ihm nieder.
Er fasste seinen Herrn an den Schultern und sagte:
"Herr, euer Kampf ist immer auch mein Kampf! Ich werde Euch mit all meiner Kraft vertreten, und nur Eure Dame wird es ahnen, da es ihr Vorschlag war".
"Sie?", ächzte der Ritter.
"Ja. Und nun bitte ich Euch, mir freiwillig Euren Helm zu geben, damit ich Euch nicht dazu zwingen muss. Ich lege Euch den anderen hier hin und werde mich umdrehen. Es eilt! Sie verlesen schon die Gegner. Wir bekommen es mit von Treptow zu tun, wenn ich richtig gehört habe und der unsrige wird wie jedes Jahr der erste Kampf sein", erwiderte Wichard drängend.
Als er sich wieder umwandte, hatte Hardrich den Helm gewechselt, sah ihn aber nicht an. Wichard war froh, dass der Markgraf so stillschweigend seine Zustimmung gegeben hatte. Er setzte rasch den Helm auf, schloss das Visier und schlug sich mit der behandschuhten Hand klirrend auf die eiserne Brust.
"Nun, was meint Ihr?", fragte er und man hörte deutlich, dass er bei diesen Worten unter dem Eisen grinste.
Hardrich schloss nur stöhnend die Augen, wandte sich ab und murmelte:
"Gott steh uns bei..."
Währenddessen war von Trettin zu Gertraud auf die Tribüne gestiegen und hatte neben ihr Platz genommen. Besorgt erkundigte er sich nach Hardrich.
"Wichard meinte, ein Schmerzanfall im Kopf wäre die Ursache für seine Schwäche. Er ist zu ihm gegangen, um zu sehen, wie es steht und ob er helfen kann. Daher müsst Ihr mir nun erklären, was weiter geschieht", antwortete sie.
"Jetzt werden die Gegner ausgelost. In der Schale dort befinden sich sechzehn hölzerne Röhrchen, mit einem Pergament darin auf dem je ein Name steht. Unter der Aufsicht der Turnierrichter und eines Geistlichen werden dann die Paarungen gezogen und verkündet", erläuterte er.
Mit diesen Worten zog er eine kleine Schiefertafel aus seinem Wams und notierte mit einem Stückchen Kreide die Kämpfer, die der Herold ausrief.
Als Hardrichs Gegner ermittelt wurde, wandte sich Gertraud fragend an den alten Mann neben ihr:
"Ist das gut oder schlecht?"
"Tja, von Treptow ist an sich ein harter Brocken. Er kann einstecken und ist, trotz seines dicken Wanstes, recht geschickt und alles andere als furchtsam. Aber er hat gestern Abend wie ein Loch getrunken und gegessen und war einer der letzten, die die Tafel verließen. Wenn Hardrich im Vollbesitz seiner Kräfte wäre, würde ich sagen: Sieben zu drei für ihn, aber wenn es ihm noch immer so schlecht gehen sollte, dass er sich kaum zu Pferde halten kann? Wer weiß? Vielleicht fünf zu fünf, vielleicht schlechter. Eines steht jedenfalls fest. Der gute Gottlieb wird den Markgrafen nicht schonen. Das beste wäre, Hardrich würde auf eine Teilnahme verzichten, aber ich denke nicht, dass Wichard ihn dazu überreden kann", erwiderte er nachdenklich.
"Wir werden sehen. Noch ist er nicht wieder herausgekommen", murmelte sie und sah angestrengt in Richtung der bannergeschmückten Zelte.
Wichard schlug die Zeltbahn zurück, die über den Eingang gehängt worden war und stapfte wankend hinaus.
Als erstes fuhr er die Burschen an:
"Ihr bleibt vom Zelt weg!"
Die Beinschienen schlackerten ihm um die Waden, der viel zu breite Brustpanzer drückte ihm fast unerträglich unter den Achseln, und er konnte nur mit Mühe überhaupt aufrecht gehen. Das Gewicht des übergroßen Panzers war um einiges höher, als er es von seiner eigenen Rüstung her gewohnt war. Er schleppte sich zu der hölzernen Treppe, die die Kämpfer nutzten, um auf ihr nicht minder gerüstetes Pferd zu steigen und er war unendlich froh, als er endlich im Sattel saß.
"Zumindest passt der Helm leidlich. Wenn ich nun auch nichts sehen könnte, würde ich wahrscheinlich nicht mehr ausrichten als der Ritter selber", dachte er.
Till, der mit ihm auf das Holzpodest gestiegen war, zog verdutzt die Stirn in Falten. Ihm fiel auf, wie schlecht der Harnisch saß, den er doch gerade vorhin dem Ritter so gewissenhaft festgezurrt hatte. Wichard beobachtete ihn und konnte fast sehen, wie es in dessen Hirn zu arbeiten begann. Plötzlich hob der Junge ganz langsam und misstrauisch den Blick. Ein unerhörter Gedanke drängte sich ihm auf.
Er schien durch das Eisen hindurchsehen zu wollen, sah zum Zelt zurück, betrachtete noch einmal die Schnüre, lief hochrot an und sagte dann eifrig:
"Ich werde zur Sicherheit noch einmal alles festzurren, Herr, wenn Ihr nichts dagegen habt."
"Na los, Junge", antwortete Wichard leise.
Eilig und mit einem wissenden Grinsen auf den Lippen zog und zerrte Till noch einmal alle Befestigungen nach, so gut er konnte. Auch er konnte das starre Eisen nicht zurechtbiegen, aber zumindest lief Wichard jetzt nicht mehr Gefahr, mitten auf dem Platz einen Fußling zu verlieren. Till setzte ihm noch die Füße richtig in den Steigbügeln fest, reichte ihm dann die stumpfe Lanze und legte sie ihm auf der Stützleiste am Brustpanzer ein.
Dabei flüsterte er ihm zu:
"Was man von Treptows Knappen so hört, hat ihr Herr wohl einen furchtbaren Kater. Er hat sich die ganze Nacht in der Nähe der Aborte um die Ohren geschlagen. Außerdem ist sein Pferd durch das zusätzliche Gewicht des Reiters, längst nicht so schnell im Antritt. Ihr werdet also erst nach der Hälfte der Bahn auf ihn treffen und sehr viel mehr Wucht haben. Wenn Ihr gut trefft, wird er dem nichts entgegensetzen können."
Der junge von Dühring nickte ihm zu und war zutiefst dankbar für diese Unterstützung. Dann wurde er auch schon zum Kampf gerufen.
Till setzte sich auf die Treppe, sah ihm hinterher und murmelte:
"Viel Glück."
Auf der Tribüne sagte von Trettin gerade zu Gertraud:
"Hast du gesehen, wie er schwankte, als er aus dem Zelt kam? Er scheint immer noch nicht wieder auf der Höhe zu sein. Wo bleibt denn Wichard? Er verpasst noch den Kampf seines Herrn."
Gertraud erwiderte nichts, sondern starrte gebannt auf den Platz und versuchte zu erkennen, ob Wichard ihrer Aufforderung gefolgt war und in der Rüstung steckte oder ob dieser jetzt mit eingeschlagenem Schädel im Zelt lag, zur Strafe für solch einen ungeheuerlichen Vorschlag. Doch sie vermochte es auf die Entfernung nicht zu sagen. Erschöpft lehnte sie sich zurück und faltete die Hände vor dem Mund.Die Reiter hatten Aufstellung genommen. Etwa hüfthohe Zäune teilten die einzelnen Bahnen ab.
Es war Sitte, den Gegner mit aufgestelltem Visier und senkrecht erhobener Lanze zu grüßen. Wichard hielt es nicht für klug, der Tradition zuwiderzuhandeln und vertraute darauf, dass die Entfernung von etwa hundertzwanzig Schritt genügen würde, auch mit offenem Visier nicht erkannt zu werden und dass jeder sehen würde, was er zu sehen erwartete.Er hielt also mit der linken Hand das Visier in die Höhe und fasste mit der Rechten die Lanze. Da verrutschte der eiserne Handschuh. Entsetzt suchte er nachzufassen, doch die schwere hölzerne Waffe glitt ihm aus den Fingern und fiel polternd zu Boden.
Er fühlte geradezu die hämischen Blicke der Männer und hörte das spöttische Wispern der Frauen auf den Rängen. Genauso gut hätte er mitten auf dem Platz die Beinkleider herunter lassen können! Er spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg, und fluchend verwünschte er sein Ungeschick. Dann war wie der Blitz Till bei ihm. Er nahm die Lanze vom Boden auf und reichte sie ihm wieder an.
Wichard, immer noch zutiefst beschämt über seinen Fehler, vergaß, das Visier zu schließen, so dass Till, der sich so in seiner Vermutung bestätigt sah, ihm noch verschwörerisch zunickte und raunte:
"Vergesst nicht das Visier, Herr."
Aufstöhnend schloss Wichard den Helm, und bemühte sich, das Geschehene beiseite zu schieben und sich doch noch auf den Kampf zu konzentrieren. Ein Fanfarenstoß erklang. Beide Kämpfer ritten an.
Doch nur widerwillig beugte sich Hardrichs Schlachtross dem Willen seines fremden Reiters. Wichard mühte sich verzweifelt, kam aber noch langsamer als von Treptow von der Startlinie los und vergab somit einen wichtigen Vorteil. Während er dann unendlich langsam, wie es ihm schien, an Geschwindigkeit gewann, überkam ihn plötzlich eine grimmige Entschlossenheit. Er dachte an Hardrich, der zusammengekrümmt dort im Zelt lag und umklammerte mit fester Hand die Waffe. Das Bild seines hilflosen Herrn vor Augen, sah er mit einem Mal klar.
Er vergaß die drückende Rüstung, die Schmach der verlorenen Waffe, alle Zuschauer um sich herum, ja selbst seine eigenen Zweifel. Völlig ruhig zielte er auf von Treptows rechte Schulter. Dieser hatte den Kopf des Gegners anvisiert und war sich seiner Sache schon sicher. Im allerletzten Moment erst wich Wichard aus, zog seine Waffe zur Seite und verpasste seinem Gegner einen gewaltigen Stoß genau auf das Brustbein. Wie eine reife Frucht vom Baum, fiel von Treptow vom Pferd.
Unter dem Jubel und Beifall der Menge wendete Wichard am Ende der Bahn den Wallach und ritt zurück zu seinem Zelt, während die Knappen des Unterlegenen herbeieilten und den Gestürzten aus der verbeulten Rüstung schälten.
Gertraud auf ihrem Platz atmete erleichtert auf und von Trettin drückte beruhigend ihren Arm: "Na, wer sagt es denn. Das war eine gute Vorstellung. Keine Sorge, er hat sich wieder gefangen. Aber das mit der verlorenen Lanze! Mein Gott, das wird ihm noch eine Weile anhängen."
Derweil hatten schon die nächsten Gegner ihre Plätze eingenommen und die allgemeine Aufmerksamkeit der Zuschauer richtete sich auf diese.
Till nahm Wichard die Waffe ab und hielt das Pferd, damit er sicher absteigen konnte. Dann übergab er den Wallach an die beiden anderen Burschen. Als Wichard ins Zelt wanken wollte, hielt Till ihn zurück und übergab ihm einen kleinen wassergefüllten Bottich und ein Tuch.
"Manchmal lindert es ein wenig. Macht das Tuch recht nass und legt es ihm auf die Augen. Ihr habt Euch hervorragend geschlagen, Herr", sagte er anerkennend.
"Danke", erwiderte der Mann in der Rüstung.
Im Zelt fand er Hardrich reglos auf dem Rücken liegen, einen Arm quer über das Gesicht gelegt. Wichard erschrak und sank neben ihm zu Boden. Er warf den Helm und die Handschuhe von sich und fasste Hardrichs Arm.
Dessen Finger bewegten sich. Froh über dieses Lebenszeichen, tauchte Wichard rasch das Tuch ins Wasser, wrang es nur wenig aus und zog behutsam Hardrichs Arm zur Seite. Dann legte er ihm das nasse Tuch über die Augen, wie Till gesagt hatte. Mit einem erstickten Laut der Erleichterung schien der Markgraf wie aus einer tiefen Betäubung zu erwachen.
"Till?", fragte er, ohne sich weiter zu rühren.
"Nein, Herr, ich bin es. Wichard. Die erste Runde liegt hinter uns. Ich habe von Treptow überwinden können. Ich werde wieder hinausgehen und sehen, wie sich die anderen schlagen. So wie Ihr es immer tut", sagte der junge Gefolgsmann sanft.
Er griff nach Hardrichs Schwert, besann sich dann aber eines anderen, legte es neben seinen Herrn auf den Boden und drückte dessen Hand auf das kalte Metall des Knaufes.
"Möge das Schwert Eurer Väter Euch Heilung und Kraft geben. Ich kehre nachher noch einmal zurück, wenn ich weiß, gegen wen ich ihm Schwertkampf antreten muss", sagte er und erhob sich.
Dann legte er Handschutz und Helm wieder an, nahm das stumpfe Turnierschwert an sich und ging nach draußen. Dort stellte er sich, nicht weit vom Zelteingang, breitbeinig auf, stach das fast brusthohe Schwert vor sich in den Boden und stützte sich darauf. Zwei Männer nahmen gerade zum dritten Kampf des Tages Aufstellung. Wichard erkannte Ulrich Ohnsorg und Simon von Echtern.
"Ohnsorg, der Kriecher! Was Jürgen von der Weile nur an ihm findet, dass er ihn ständig um sich duldet! Es wäre dem Jungen sehr zu wünschen, dass er ihn überwindet! Aber seine Chancen stehen nicht gut. Er hat sich zwar auf dem letzten Feldzug nicht dumm angestellt, aber da ging es auch gegen Vogelfreie und Bauern und nicht gegen einen Fuchs wie diesen", dachte Wichard bei sich.
Bevor das Signal erklang, wandte sich der junge von Echtern zum Zelt des Markgrafen um und als er sah, dass sein Landesherr ihn zu beobachten schien, richtete er sich auf und nahm dann Haltung an.
"Er ist, wie ich damals war. Er kämpft, um den Markgrafen zu ehren!", wurde Wichard plötzlich klar und er wünschte ihm von ganzem Herzen Glück.
Die Kämpfer ritten an. Ohnsorg, wie immer dicht an den Hals des Pferdes gedrückt. Simon hoch aufgerichtet, wie es sich ziemte. Von Echtern trug einen leichten Harnisch, der Arme und Beine nur durch dickes Leder schützte und daher leicht und beweglich blieb. Er war schnell und überwand seine Furcht. Seine Lanze traf Ohnsorg an der rechten Schulter, während dieser ihn verfehlte. Doch der Stoß war nicht heftig genug, Ohnsorg hielt sich gerade noch im Sattel, wenn er auch seine Lanze loslassen musste. Es würde also einen zweiten Durchgang geben. Wieder sah Simon von Echtern zu dem Mann in der markgräflichen Rüstung hinüber und Wichard, der mit ihm fieberte, nickte ihm leicht zu.
Den zweiten Durchgang überstand Ohnsorg nicht.
Der Jubel des Publikums zeigte, wie sehr auch die Zuschauer mit dem jungen Mann gehofft hatten und Wichard war froh, dass das geschlossene Visier sein breites Grinsen verbarg.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt