Ostmark, im Jahre des Herr 1125
Die breite, staubige Landstraße lag im blendenden Licht der tiefstehenden Spätsommersonne vor ihnen. Es war vollkommen windstill und die Hitze schien überhaupt nicht nachzulassen, obwohl Mittag längst vorbei war. Gertraud wünschte sich die schattigen Reihen der hohen Pappeln zurück, an denen vorbei sie am frühen Morgen in Richtung der Stadt aufgebrochen waren. Dieselben Gedanken schienen auch ihrem jüngeren Bruder Paul durch den Kopf zu gehen, der blinzelnd und verschwitzt neben ihr auf dem Bock des einfachen Karrens saß. Paul bemerkte ihren Blick und grinste sie träge an.
Beide hatten dunkelblondes, gelocktes Haar und graublaue Augen. Die Verwandtschaft war nicht zu übersehen. Paul war mit seinen vierzehn Jahren hochgewachsen und kräftig und mit der schweren Arbeit in der Brauerei und Schenke seines Vaters vertraut. Während also seine drei Jahre ältere Schwester das Handeln und Abrechnen übernahm, rollte er die schweren Fässer in die Keller der Wirtshäuser, meist unter dem Gelächter der Küchenmädchen und Mägde, die stets Zeit für einen Schwatz mit dem jungen Mann fanden.
Gertraud erwiderte Pauls Grinsen und griff mit einem Seufzen nach hinten zum Wasserkrug, der zwischen zwei Sparren festgeklemmt war. Sie nahm einen Schluck und bot Paul zu trinken an.
Sie war gerne mit ihrem Bruder unterwegs. Beide verstanden sich ohne viele Worte. Ihrem Vater wäre es lieber gewesen, wenn einer der älteren Gesellen die Lieferungen begleitet hätte, aber wie so manches Mal setzte sich Gertraud mit ihrem Willen durch. Einmal im Monat fuhren sie so zwei Wirtschaften vor der Stadtgrenze an. Die meisten der Schenken im Umkreis versorgte zwar die Klosterbrauerei mit dem begehrten flüssigen Brot, aber auch Meister Kerner, Gertrauds Vater, hatte sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht. Sein Großvater hatte noch mit Grut, einer stark riechenden Kräutermixtur, gebraut, die zum Würzen des Bieres verwendet wurde. Heute aber konnte er dank des neuentdeckten Hopfens ein besseres und vor allem besonders haltbares Bier brauen, das sehr gerne getrunken und gekauft wurde. Zwar wurde nach wie vor in vielen Haushalten für den Eigenbedarf gebraut, doch deckte das bei weitem nicht den riesigen Bedarf der Städte und Dörfer. Neben Getreidebrei und Brot war Bier ein wichtiges Grundnahrungsmittel und gerade in der Fastenzeit beliebt, da Flüssiges das Fasten nicht brach.
Der Handel war heute rascher als sonst vonstatten gegangen, denn es mehrten sich die Gerüchte um die baldige Rückkehr des Heeres. Vor zwei Monaten war der Landesherr mit einem Teil der Streitmacht aufgebrochen, nachdem wiederholt von Überfällen im östlichen Grenzgebiet berichtet worden war. Er hatte den Grenzfluss, die Wote, überquert, um die herumziehenden Banden aufzuspüren und zur Strecke zu bringen. Sollten sich die Gerüchte um ihren Rückmarsch bestätigen, würde jeder Wirt gerne noch ein paar Fässer zusätzlich im Keller haben.
Während Gertraud so ihren Gedanken nachhing, waren sie in ein Dorf gekommen. Ein kleiner Hund lief kläffend neben ihnen her. Paul ließ das stämmige Pferd im Schatten einer ausladenden Kastanie auf dem Dorfplatz halten. Die Geschwister stiegen vom Wagen, tränkten das Tier am Dorfbrunnen und füllten auch ihren Krug aufs neue. Es dauerte nicht lange, bis sie von einer Schar Neugieriger umringt waren. Ein buckliger alter Mann fragte sie nach dem Woher und Wohin und bald war man vertieft in den neuesten Klatsch. Eine Frau erzählte, dass ihr Vetter, der als Tagelöhner beim hiesigen Gutsherr in Arbeit sei, berichtet habe, dass sich das Heer bereits auf dem Rückmarsch befände.
"Der Neffe unseres Herrn ist nämlich schon vor drei Tagen verletzt von seinem Burschen zurückgebracht worden. Das räuberische Pack ist diesmal bis auf den letzten Mann aufgerieben, hat er gesagt. Keinen hat der Markgraf verschont. Und für die drei unserer Dörfer, die diese Teufel überfallen haben, sind zehn der ihren im Osten in Flammen aufgegangen. Man kann ja vom Herrn von Aven halten, was man will, aber vom Kriegführen versteht er was!", schloss sie bestimmt ihren Bericht.
DU LIEST GERADE
Die Tochter des Brauers
Historical Fiction"Ihr glaubt wirklich, Eure Küche hätte Zugang zum Baum der Erkenntnis?" "Gut pariert, Frau!", lachte er. Sie bewarf ihn mit dem Apfel, er fing ihn auf, zögerte noch einen Moment und biss hinein. Ein mittelalterlicher Roman. Um? Nun ja. Die Tochte...