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Wichard, Melisande und Beat waren knapp drei Wochen vor ihrer geplanten Ankunft doch noch in schweres Winterwetter geraten und so hatte sich ihr Eintreffen verzögert.
Drei Tagesreisen von der Landesgrenze entfernt hatten sie in einem ärmlichen Weiler übernachtet und dort von den Dörflern vom Einmarsch der Kumanen erfahren.Die Reisenden konnten es zunächst kaum glauben und dachten an einen schlechten Scherz. Doch bald genug war klar, dass es die bittere Wahrheit war.
Die Ostmark befand sich in Feindeshand und Wichard war hin und hergerissen. Er wollte seine kleine Familie nicht in Gefahr bringen und dachte im ersten Moment daran, Melli und Beat in dem Dorf zurückzulassen und vorerst alleine weiterzureiten. Doch der schmierige Wirt, bei dem sie eingekehrt waren, warf immer wieder gierige Blicke auf seine Frau und ihre Geldbeutel. Dort wären die beiden nicht sicher ohne ihn und den Begleitschutz und zudem weigerte sich Melli vehement, alleine zurückzubleiben.
Eine Rückreise kam vor dem Frühjahr nicht in Frage und außerdem war Wichard sehr in Sorge um seine Eltern, seine Freunde und auch um die Markgräfin, über deren Schicksal nichts bis hierher gedrungen war.
Sie trennten sich also von ihrer Reisegesellschaft, die die Ostmark umgehen und östlich der Wote gen Norden reisen würde und fuhren selber auf Nebenstrecken und Waldwegen weiter Richtung Heimat. Niemand hielt sie auf. Scheinbar machten sich die neuen Herren nicht die Mühe, die kleinen Einfallstraßen im Auge zu behalten. Darauf hatte Wichard gehofft. Unbehelligt gelangten sie also mitten in der Nacht zum Gut der Familie von Dühring.
Dort angekommen fanden sie die Bewohner in tiefer Trauer vor, denn Wichards Mutter war zwei Nächte zuvor in ihrer geistigen Verwirrung nachts unbemerkt aus dem Haus gewandert. Man hatte sie anderntags im Weiher des Mühlbachs treibend gefunden. Ertrunken. Oder erfroren. Wichards Vater, der alte Gutsherr, Armin von Dühring, weinte stumm, als er seinen Sohn endlich in die Arme schloss. Er hatte fast nicht mehr zu hoffen gewagt, ihn wiederzusehen. Nach all dem Unglück, was in den letzten Monaten über die Familie und jetzt auch über das Land hereingebrochen war, hatte er fast damit gerechnet, dass all seine Gebete nicht erhört worden und auch Wichard und seine junge Frau auf der Reise ums Leben gekommen waren. Vermutlich kurz vor ihrem Ziel von den Kumanen niedergemacht.
Und jetzt, da er seinen Ältesten doch im Arm hielt, war dem alten Mann die gewaltige Erleichterung nur zu deutlich anzusehen.
Jetzt würde alles gut werden. Wichard war da. Immer noch mit Tränen in den Augen wandte sich der Alte dann seiner Schwiegertochter und ihrem Neffen zu und hieß beide frohen Herzens im Hause von Dühring willkommen.
Wichard hatte schlucken müssen, als er seinen Vater nach so langer Zeit wiedersah. Dieser war sehr alt und gebrechlich geworden. Seine Schritte waren greisenhaft unsicher und er war fast blind. Sein Sohn konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Winter auch der letzte seines Vaters sein würde.
Sie waren in aller Heimlichkeit gekommen und den wenigen altgedienten Mägden und Knechten des Hofes, wurde ein Eid auf die Bibel abgenommen, über Wichards Anwesenheit Stillschweigen zu bewahren, denn die Kumanen machten Jagd auf alle Bewaffneten und es sollte sich auf keinen Fall herumsprechen, dass der erste Hauptmann des Markgrafen zurückgekehrt war.
Jetzt im tiefsten Winter und mit den fremden Invasoren in der Burg blieben die meisten Städter und Nachbarn zudem lieber in ihren vier Wänden unter sich. Und man hoffte, Wichards Ankunft weiterhin so lange wie irgend möglich geheim halten zu können. Das Gesinde hatte die Ehefrau des jungen Herrn mit großen Augen bestaunt. Die Ähnlichkeit mit der Markgräfin, von der Josef ihnen nach seiner Rückkehr bereits hinter vorgehaltener Hand erzählt hatte, war wirklich verblüffend.
Aber der junge Herr von Dühring hatte einen warnenden Blick in die Runde geworfen und niemand ließ sich zu einer Bemerkung hinreißen.

Am nächsten Tag sprach sich die Neuigkeit vom toten Kind des Markgrafen im Schandkäfig am Burgtor bis zum Gut herum und Melli war vor Entsetzen vollkommen außer sich. Wichard, der sie dermaßen aufgelöst sah, blieb ihr zuliebe an diesem Tag bei ihr und verließ nicht das Haus. Obwohl er darauf brannte, endlich in Erfahrung zu bringen, was in der Burg vor sich ging und was mit seinen Kameraden und der Markgräfin geschehen war. Noch war er nicht sicher, wem er trauen durfte und er beobachtete von einem Versteck heraus das Burgtor viele Stunden lang in der Winterkälte, bis er endlich, nach Tagen, Lienhard zu packen bekam.
Da man den Jungen mit den Besorgungen in der Burg zurückerwartete, hatten sie bei ihrer ersten Begegnung nicht viel Zeit zum Reden gehabt, aber Lienhard schlug vor, nach seinem Dienst heute zum Gut hinauszukommen und man verabredete dort ein Treffen.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt