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Hardrich, ungewohnt redselig, erzählte in allen Einzelheiten weiter von diesem ereignisreichen Vormittag. Und sie beide waren zutiefst froh und erleichtert über die glückliche Wendung, die dieser Tag gebracht hatte.
„Wird er genesen, bis ihr aufbrecht?", fragte sie.
„Wahrscheinlich nicht vollkommen. Albertinus konnte das nicht sicher sagen. Aber er kann nachkommen. Es wird sich noch ein ganzer Trupp Nachzügler zwei, drei Wochen später von hier aus auf den Weg machen und uns hoffentlich bis Regensburg einholen. Dem kann er sich anschließen. Dies erste Wegstück sollte ja auch keine Schwierigkeiten bereit halten. Zudem werden wir einen ganzen Zug Heiler mit uns nehmen. Allen voran Bruder Gernot. Die können unterwegs auch noch ein Auge auf ihn haben. Aber Albertinus bleibt hier. In der Stadt und in Deiner Nähe. Das beruhigt mich zu wissen. Ihm kannst Du Dich mit allem anvertrauen. Er fühlt sich zu alt für den Feldzug. Und, na ja, das ist er wohl auch. Merkwürdig war nur diese Frau... Erst redet sie wirres Zeug von wegen es wäre Latein. Und als ich dann gehen wollte, wirft sie sich vor mir zu Boden, stammelt Entschuldigungen und irgendetwas von einem weißen Engel. Wie irre. Was wollte sie denn eigentlich von Dir?"
Gertraud sah zu Boden und antwortete:
„Sie bat um meine Hilfe. Ich sollte versuchen, ihren Mann zu wecken. Und als ich endlich dahinterkam, wie sie das meinte, war mir klar, dass ich dafür nicht die Richtige sein würde. Und dass es viel eher Dein Befehl sein müsste, dem ihr Mann folgen würde. Mir schien sie auch ein wenig verwirrt. Vielleicht war es ihr großer Kummer, der sie so durcheinander gebracht hat."
Hardrich sah sie durchdringend an und Gertraud hatte das bestimmte Gefühl, als sähe er ihr nur allzu deutlich an, dass sie ihm nicht die Wahrheit sagte. Zumindest nicht die ganze. Sie war keine gute Lügnerin und hoffte inständig, dass die Hitze, die ihr ins Gesicht stieg, sie nicht verriet. Aber Hardrich war viel zu erfüllt vom Erlebten heute, um weiter darauf einzugehen.
„Na, wie auch immer", sagte er gedehnt und ließ es auf sich beruhen.

Ein paar Tage später war er abends früher zurück als sonst. Er war sogar kurz noch im Kloster gewesen, um sich nach seinem Hauptmann zu erkundigen und kam mit guten Neuigkeiten von dort zurück. Er fand den Verletzten aufrecht im Bett sitzend mit einem Teller Suppe vor sich. Zuversichtlich und fieberfrei. 

Auch Gertraud ging es gut, eine Blutung war nicht wieder aufgetreten und so hatte die Hebamme am Vortag die strenge Bettruhe aufgehoben. Hardrich war derart gut gelaunt, dass er vorschlug, nach dem Abendessen noch einmal zusammen hinunter in die Stadt zu gehen.
Seit immer größere Truppenteile im Lager zusammenkamen, war die Stadt abends voll von Männern, die vor ihrem Abmarsch ins Ungewisse noch einmal ausgelassen feiern wollten. Den Männern saß das Geld locker in den Taschen, denn auch ihnen war klar, dass sie längst nicht alle die Heimat je wiedersahen. Als Folge dessen war neben den örtlichen Schenken und Hurenhäusern ein buntes Durcheinander aller erdenklichen Zerstreuungen in der Stadtmitte entstanden. Ein Jahrmarkt voller Gaukler, Garküchen, Bierzelten und Dirnen, Glücksspiel und Musik. Und manchem Bauernsohn, der bereits jetzt heimwehkrank und verloren zwischen all den Fremden hockte, wurde hier der letzte Groschen aus der Tasche gezogen. Hardrich hatte erfahren, dass erst vorgestern eine neue Attraktion aufgebaut worden war, die allgemein für Aufsehen sorgte. Eine Tierbude.
Sören war schon dort gewesen, weil es hieß, die Schausteller hätten neben allerlei anderem, fremdländischem Getier einen echten Löwen vorzuführen. Wer es sich leisten konnte, zahlte einen Obolus und durfte in die mit großen Zeltbahnen streng, abgeschirmte Arena treten und die Tiere von Nahem bestaunen.
Das wollte der Ritter sich ansehen. Gertraud freute sich. Endlich wieder einmal heraus aus den düsteren Zimmern und zusammen mit ihrem Mann hinaus in die frische Herbstluft.
„Sören war ziemlich beeindruckt von dem Löwen. Er meinte, er hätte schon einige solche Schauen gesehen, aber noch nie ein solch gewaltiges Tier", erzählte Hardrich, während sie in der Abenddämmerung den Spaziergang zum Stadtrand unternahmen, begleitet von einer kleinen Schutztruppe.
Vor dem großen, kuppelartigen Zeltaufbau stand bereits eine lange Schlange Wartender. Davor war alles mit Feuerkörben und Fackeln großzügig erleuchtet, sodass man schon von weitem aufmerksam wurde.
Ungerührt ging der Markgraf mit seiner Gemahlin am Arm an den wartenden Männern und Frauen vorbei, warf dem buntgekleideten Kassierer am Eingang ein paar Münzen zu und marschierte hinein. Hier und da brauste ganz kurz erbostes Gemurmel auf, erstarb aber sofort wieder. Jeder hier kannte den Herrn der Mark schließlich und alles machte ihnen Platz. Gertraud spürte die neugierigen Blicke, die auf ihr ruhten. Und sie fragte sich voller Unbehagen, wer von den Leute um sie herum sie im Stillen auch für eine Zauberin halten mochte und was gerade jetzt hinter vorgehaltener Hand getuschelt wurde. Doch sie sagte sich zum wiederholten Male, dass sie sich nichts vorzuwerfen hatte und drängte das mulmige Gefühl zurück.
Sie passierten einen ersten Ring von aufgespannten Abschirmbahnen und gingen ein paar Schritte auf den verhängten Eingang des Hauptzeltes zu. Fremdartige Laute waren zu hören und der durchdringende Geruch nach Stall lag in der Luft.
Gertraud war jetzt derart begierig darauf, die Tiere zu sehen, dass sie immer schneller ausschritt und schließlich unwillkürlich an Hardrichs Arm zerrte. Da blieb er plötzlich abrupt stehen und sie, vom eigenen Elan weitergerissen, verlor fast das Gleichgewicht.
„Wer glaubst Du, führt hier wen?", polterte er ungehalten.
Sie hätte sich einfach zurücknehmen, einen Schritt zurücktreten und die Lage mit einem Scherz überspielen können. Wie sonst. Aber es verdross sie mit einem Mal, dass er sich über ihr gänzlich argloses Tun derart aufregte und sie hier vor allen Leuten tadelte. So entfuhr ihr ein reichlich gereiztes Ächzen und sie rollte missmutig die Augen.
Nur einen Lidschlag später sah sie zuerst an den erschrockenen Gesichtern der Umstehenden, dass das ein Fehler gewesen war. Hardrich war aus dem Nichts heraus außer sich. Er brüllte sie an, was ihr für Dreistigkeiten einfielen und orderte dann einen der Wachmänner an, seine Frau auf der Stelle zurück in die Burg zu bringen. Es war eine vollkommen überzogene Maßregelung.
Wütend und enttäuscht darüber, die Tierschau so kurz vor ihrem Eintritt nun doch nicht sehen zu können, gab sie auch jetzt nicht klein bei, sondern knickste übertrieben und sagte mit süßlicher Höflichkeit:
„Ich wünsche Euch noch einen schönen Abend. Allein."
Damit drehte sie sich auf dem Absatz um und rauschte hinaus, so dass der Wachmann, der sie begleiten sollte, Mühe hatte, ihr zu folgen. 

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt