45

217 16 0
                                        


Als Gertraud morgens erwachte, war sie allein im Zelt. Sie nahm zunächst an, Hardrich sei nur kurz hinaus gegangen, um sein Wasser lassen, aber als er nach einer ganzen Weile nicht zurück war, stand sie auf, nahm ihren Mantel und verließ das Zelt. Einige ihrer Männer waren auch schon auf und grüßten respektvoll.
Es war leicht neblig zu dieser frühen Stunde und sie wandte ihre Schritte dem Wasser zu. Von den Dünen aus sah sie seine Kleider im Sand liegen und entdeckte dann seinen Kopf weit draußen im Wasser. Langsam ging sie hinunter und sah ihm beim Schwimmen zu. Sie bedauerte es mit einem Mal sehr, diese Kunst nicht zu beherrschen. Es sah so mühelos aus. So spielerisch. Und es bereitete ihm offensichtlich ungemein viel Freude.Endlich kam er zurück zum Ufer geschwommen und stieg aus dem Wasser.
Sie genoss den höchst erfreulichen Anblick, den er bot. Nackt und tropfnass. Das kalte Wasser hatte sein Geschlecht zusammenschrumpfen lassen und sie betrachtete es mit einem süffisanten Schmunzeln.
„Kein Wort!", knurrte er und grinste, „Du wirst das schon wieder richten, Frau."
„Na, da scheint mir aber Hopfen und Malz verloren", seufzte sie kopfschüttelnd.
„Na warte, Du!", rief er und griff nach ihr.
Sie wich mit einem spitzen Schrei zurück und lachte, doch er war mit zwei großen Schritten bei ihr, packte ihre Schultern und sah ihr in die Augen. Etwas Wildes schien in den dunkelblauen Tiefen zu lauern und sie ließ sich mit klopfendem Herzen hineinfallen, bis ihr das schwindelerregende Gefühl den Atem nahm. Er zog sie zu sich und küsste sie, beide nass-kalten Hände jetzt um ihr Gesicht gelegt. Doch der Morgen war empfindlich kalt.
Er brach den Kuss und rieb sich die klammen Hände:
„Ah! Ich muss mich anziehen. Das Wasser ist ja noch recht warm, aber hier friere ich mir alles ab. Und das wollen wir wohl beide nicht."
„Ja...", hauchte sie.
Sie ließ ihn los, noch ganz benommen von seinem Kuss, seiner Blöße und dem Geschmack von Meer auf seinen Lippen, und sah zu, wie er sich rasch seine Kleider überwarf.
Im Lager war das Frühstück fertig, als sie zurück kamen. Über dem Feuer hing ein Kessel mit Grütze und Till lief, um ihre Schüsseln zu holen, als er sie kommen sah. Die Männer hatten selbstverständlich mit dem Essen auf sie gewartet und standen mit ihren Schüsseln in der Hand bereit, sich eine Portion zu holen.
Hauptmann Jost erhob sich, als sie herankamen und Gertraud fiel auf, dass er leicht schwankte, als er auf die Füße kam. Er war blass und es tat ihr von Herzen leid, ihn so unwohl zu sehen. Doch er wich ihrem Blick aus, trat vor, wie es sich gehörte, und wünschte dem Ritter und seiner Frau stellvertretend für die Männer einen guten Morgen.
Eine betretene Stille folgte, bis der Ritter sich räusperte und fragte:
„Wirst Du reiten können?"
„Ja, Herr", antwortete der Hauptmann leise.
„Gut."
Weiter wurde kein Wort über die Angelegenheit von gestern Abend verloren. Sie aßen und packten zusammen. Bevor sie ritten, stiegen Gertraud und Hardrich noch einmal die Dünen hinauf und warfen einen allerletzten Blick hinunter aufs Meer.
Er sagte nichts, doch sprach aus seiner Miene so deutlich tiefe Wehmut, dass sie ihn umarmte und sagte:
„In ein paar Jahren stehen wir wieder hier. Zusammen mit Conrad. Ich sehe das schon vor mir, mein Herz."
„Das ist ein schöner Gedanke. Trag Sorge dafür, dass er zeitig schwimmen lernt, hörst Du? Ich würde mich freuen, wenn er das auch so lieben lernt wie ich", raunte er und küsste sie auf die Stirn.
Sie warf ihm einen bekümmerten Blick zu und antwortete:
„Aber das kannst Du doch selber tun! Du wirst lange zurück sein, bis er alt genug dafür ist."
„Ach, Frau... Selbst wenn ich dann hier bin, würde ich es ihm nicht selber beibringen. Dafür wird es Leute geben. Studierte Gelehrte für die Wissenschaften und einen erfahrenen Krieger für die Waffenkunst, jemanden fürs Reiten und Schwimmen, für die Jagd und so weiter. Glaubst Du etwa, mein Vater hat mir das Schwimmen beigebracht?"
„Du könntest es anders machen als Dein Vater. Du hast es bereits anders gemacht, als Du mich gefreit hast."
„Ja, das habe ich", antwortete er mit einem Nicken.
„Und meinst Du nicht, es würde Dir Freude bereiten, Deinem Sohn die Dinge zu zeigen, die Dir selber am Herzen liegen?"
„Vielleicht schon. Aber ich fürchte, ich bin kein allzu geduldiger Lehrmeister", brummte er gedankenvoll und legte eine Hand sanft auf ihren Leib.
Sie legte die ihre darüber und seufzte. Es lag ihr auf der Zunge, ihm zu sagen, dass er nicht Lehrmeister, sondern Vater sein würde, aber sie behielt ihre Worte dann doch für sich. Vielleicht war in einem adeligen Haus das Verhältnis von Kindern und Eltern tatsächlich ein ganz anderes, als sie es von zuhause her kannte. Und wenn es so war, wollte sie sich nicht schon wieder als unwissend und, ja, unwürdig erweisen. So schwieg sie und strich mit dem Daumen zärtlich über seine Hand.
Er sah noch einmal über die endlose See und wollte sie gerade zum Aufbruch auffordern, als sie ihm zuvorkam.
„Wir müssen los, Hardrich", sagte sie mit vorwurfsvollem Unterton.
Er lachte und fragte grinsend:
„So vernünftig heute?"
„Ich lerne jeden Tag dazu", antwortete sie verschmitzt.
Sie brachen auf. Ein paar Kinder aus den Dorf beobachteten sie aus sicherer Entfernung und rannten noch eine Weile hinter den Reitern her, bis sie schließlich zurückblieben.
Die Sonne kämpfte sich langsam durch die zähen Bodennebel und es wurde wärmer. Sie folgten einem Pfad nach Norden, der zunächst zwischen alten, windgebeugten Buchen hindurchführte, die krank und verkrüppelt aussahen.
„Was für ein eigentümlicher Forst", sagte Gertraud vernehmlich, aber mehr zu sich selber und betrachtete die unheimliche, fast unwirklich anmutende Landschaft.
Hauptmann Jost, der schräg vor ihr ritt, wandte sich um und sagte, ohne ihr in die Augen zu sehen und mit einer Verbeugung hin zu Hardrich:
„Dieser Landstrich hier wird der Gespensterwald genannt. Es gibt genauso viele gruselige Geschichten hierüber wie über den Schnatermann."
Plötzlich ertönte ein schauerliches Heulen und die Markgräfin schrak zusammen. Auch Till, der schräg vor ihr ritt, fiel vor Schreck fast von seinem zottigen Pferd. Doch gleich darauf lachten die Männer grölend und Jost wies den schuldigen Spaßvogel barsch zurecht.
Auch Hardrich lachte kopfschüttelnd. Und mit einem Mal schien alles um ihn herum befreit aufzuatmen. Gertraud spürte deutlich, wie die Stimmung in der Truppe sich augenblicklich hob und entspannte.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt