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Am Morgen des dritten Tages hielt Gertraud endgültig nichts mehr im Bett. Nach dem Frühstück bat sie Marianne inständig, ihr doch ihr Kleid wiederzubringen. Es war in den Fiebernächten nassgeschwitzt und Marianne hatte es zum Waschen mitgenommen.
Die junge Magd lächelte sie jedoch geheimnisvoll an und sagte:
"Komm. Es wartet eine Überraschung auf dich."
Dann führte sie sie im Unterkleid über den Flur, öffnete eine Tür und ließ Gertraud vorangehen. Staunend betrat sie eine zweite, noch schönere Badestube. Über den glänzenden, marmornen Wänden war die Decke überreich mit Bildern geschmückt. Delphine, wogende Wellen, Fischweiber und der Gott der Meere selber mit einem dreizackigen Zepter blickten auf sie herab. Feine Seife, Bürsten und Kämme aus fein poliertem dunklen Holz lagen bereit und ein Mädchen goss gerade noch einen Eimer Wasser in die große hölzerne Wanne. Sie wagte kaum aufzusehen und verneigte sich.
"Das Bad ist fertig", sagte sie schüchtern.
"Na los! Das ist dein Bad!", lachte Marianne und zog Gertraud das Unterkleid über den Kopf.
Mit hochrotem Kopf stieg Gertraud in die Wanne.
"Ist es so recht oder soll ich noch etwas kaltes Wasser holen?", fragte das Mädchen unsicher.
"Nein, nein. Es ist ... wunderbar", sagte Gertraud und entspannte sich langsam.
"Und jetzt werde ich dich richtig abschrubben", grinste Marianne.
Lachend und schwatzend seifte die Magd sie dann ein, spülte ihr Haar, half ihr aus der Wanne und wickelte sie in ein großes Tuch. Während Gertraud dann ihre nassen Haare bürstete, holte Marianne ein frisches Unterkleid herein. Das Leinen war fein gewebt und wunderbar leicht.
Gertraud genoss den sauberen Stoff auf ihrer Haut und fragte dann: "Hast du denn auch mein Kleid waschen können?"
Marianne sah verlegen zu Boden und kam endlich mit der Sprache heraus:
"Es tut mir so leid, Gertraud. Aber dein Kleid ist verbrannt. Ich hatte es schon fertig gewaschen und getrocknet, als der Herr kam, es von der Leine riss und eigenhändig ins Küchenfeuer warf. Aber sei nicht traurig. Warte, bis du deine neuen Kleider siehst!"
Gertraud versetzte es einen Stich, als sie das hörte. Sie ließ sich dann aber von ihr durch ein herrschaftliches Schlafzimmer ins angrenzende Ankleidezimmer ziehen. Mit offenem Mund blickte sie sich staunend um und stolperte hinter der Magd her. Marianne ließ sie Platz nehmen und öffnete einen der Schränke. Zwei prächtige Kleider hingen dort. Eines nachtblau und eines in einem schönen hellblau. Daneben lagen noch zwei feine Hemden und ein Schultertuch.
Marianne nahm das Hellblaue heraus und fragte:
"Wie wäre es damit? Rasch! Nebenan warten die Schneider und der Schuhmacher. Sie wollen noch einmal sehen, ob nicht noch Änderungen nötig sind."
Wie betäubt ließ Gertraud sich das Kleid anziehen und während sie sich ungläubig in dem großen Spiegel betrachtete, zog Marianne ihr bereits die Schuhe an. Der Stoff des Gewandes war in der hochsitzenden Taille in vier breite Falten gelegt, die beim Gehen hell aufbrachen. Auch der Halsausschnitt und die eng anliegenden Ärmel waren in Weiß abgesetzt und verziert. Gertraud konnte all das gar nicht fassen, doch Marianne schob sie bereits weiter ins Nebenzimmer. Dort erhoben sich die drei Männer, die sie vom Maßnehmen her schon kannte. Sie begrüßte sie matt.
Der Schuhmacher kniete sich wortlos vor sie und besah und befühlte den Sitz der Schuhe."Drücken sie irgendwo?", fragte er.
"Nein. Ich glaube nicht... Ich... Um die Wahrheit zu sagen, habe ich noch nie solche Schuhe an den Füßen gehabt. Aber das Leder ist so weich und anschmiegsam. Es fühlt sich ganz wunderbar an, Meister. Ich glaube nicht, dass es überhaupt noch angenehmer möglich wäre", antwortete sie verlegen.
Der schweigsame Mann sah sie verdutzt an, nickte dann und murmelte etwas von den Stiefeln, die er morgen bringen würde. Dann verabschiedete er sich rasch und ging.Danach begutachteten die Schneider ihr Werk.
Der Meister sagte abschätzend:
"Na ja, für die Kürze der Zeit ganz ordentlich geworden. Die Farbe steht Euch aber in der Tat ganz ausgezeichnet. Ihr habt ein klein wenig Gewicht verloren, die letzten Tage, richtig? Oder sollte ich mich derart vermessen haben?"
"Ich war krank", erklärte sie müde lächelnd, "Und es ist wirklich sehr viel besser als nur ganz ordentlich, Meister. Es ist mit Abstand das schönste Gewand, das ich je gesehen habe."
Doch der Schneider winkte ab.
Besorgt wechselte er dann noch einen Blick mit seinem Gesellen und sagte entschuldigend:„Gerne hätten wir Euch heute schon mehr dargeboten. Zu einer vollständigen Garderobe fehlt ja wahrlich noch allerhand. Aber leider war in drei Tagen nicht mehr zu schaffen. Alles weitere werden wir nachliefern, sobald es fertig ist."
Gertraud schwindelte, als sie das hörte. Sie ließ sich auf einen Sessel fallen und fasste sich an die Stirn. Der Schneider schien diese Geste jedoch misszuverstehen.
Er erschrak, warf sich vor Gertraud auf die Knie und flehte:
„Vergebung, hohe Frau! Ich schwöre bei allem was mir heilig ist, wir haben wirklich getan, was wir konnten! Ich bitte Euch, beschwört nicht des Zorn des Herrn von Aven über uns herauf!"
„Nein, nein. Natürlich nicht. Keine Sorge, ich werde nur lobende Worte für Euch haben", beeilte sich Gertraud zu versichern.
Doch die beiden Männer waren nun völlig außer sich. Sie entschuldigten und verbeugten sich noch viele Male, fast den Tränen nahe, bevor sie sich endlich verabschiedeten. Als sie gegangen waren, sah Gertraud erschöpft zu Boden.
Marianne flüsterte ihr zu:
"Sonderbar die beiden. Man munkelt, dass die beiden keine Frauen mögen, sondern sich gegenseitig sehr zugetan sind. Seltsam, nicht wahr? Aber sie sind die besten Schneider der Stadt und die hohen Damen würden alles tun, nur um an solch ein Kleid zu kommen. Dies sind übrigens von heute an deine Gemächer, wie du dir wohl schon gedacht haben wirst."
Gertraud schien aber gar nicht zugehört zu haben. Stumm saß sie da und ließ, immer noch wie benommen, ihren Blick schweifen. Sie sah das helle Feuer im Kamin, die Obstschale, die Blumen und die brandneuen, leeren Regale. Als sie gar nicht antwortete, hockte sich Marianne zu ihren Füßen auf den Teppich und fasste ihre Hand.
"Alle haben Tag und Nacht gearbeitet, damit alles so schnell wie möglich fertig würde. Gefällt es dir denn gar nicht?", fragte sie besorgt.
"Doch, doch... Es ist wunderschön. Wie in einem Traum. Nur das ich nicht mehr aufwachen werde. Dies scheint so endgültig zu sein. Und es macht mir Angst", erwiderte Gertraud tonlos. Marianne sah sie mitleidig an, ließ ihr aber keine Zeit zum Grübeln. Sie schob sie auf den Sessel am Feuer und bürstete ihr Haar, bis es ganz trocken war. Dann flocht sie einen Stirnkranz und ließ das Haar sonst locker über ihre Schultern fallen.
Dabei erzählte sie beiläufig noch mehr Gerüchte über die Schneider und schloss leise:
"So, fertig. Ich soll dich zu ihm bringen, wenn du soweit bist."
"Zu wem?", fragte Gertraud abwesend.
"Na, zu wem wohl. Du stellst Fragen. Er wartet gegenüber", sagte Marianne gequält und wich ihrem Blick aus.
Gertraud schritt noch einmal langsam durch alle Räume und stand schließlich wie träumend vor dem Spiegel und betrachtete sich. Sie drehte sich und streckte die Füße mit den spitzen Schuhen.
Marianne, die im Hintergrund stand, flüsterte hingerissen:
"Wie eine Prinzessin."
Etwas später standen beide auf dem Gang.
"Wir sehen uns dann...", sagte das Mädchen leise, umarmte Gertraud noch einmal und lief rasch den Gang hinunter auf die Treppe zu, an der immer noch eine Wache stand.
Gertraud ging auf Hardrichs Zimmertür zu und blieb eine kurze Weile davor stehen. Sie beschwor das Bild ihrer ersten Begegnung im Halbdunkel des Waldes herauf. Nie würde sie den allerersten Blick in seine Augen vergessen, der sie, wenn auch nur für einen winzigen Moment, in seine Seele hatte schauen lassen. Dann atmete sie tief durch und klopfte sachte.
"Komm herein", rief er.
Gertraud trat mit klopfendem Herzen ins Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.
"Guten Morgen", sagte sie ernst und blieb dann schweigend an der Tür stehen.
Hardrich erhob sich von dem Stuhl am Schreibtisch, auf dem er gesessen hatte und betrachtete sie hingerissen.
"Oh, Gott! Wie schön sie ist", fuhr es ihm durch den Kopf.
Er hatte voller Ungeduld auf sie gewartet und sich auf ihr Lächeln gefreut. Insgeheim hatte er gehofft, dass sie ihm strahlend und dankbar entgegenlaufen würde, aber sie stand nur da.
Ärgerlich und enttäuscht dachte er:
"Was hat sie denn? Versteh einer die Weiber."
"Nun, geht es dir wieder besser?", fragte er schließlich steif.
"Danke, es geht mir gut", antwortete sie leise und schlug die Augen nieder.
Unangenehmes Schweigen breitete sich aus.
"Komm her", befahl er endlich barsch.
Sie stellte sich vor ihn, den Blick gesenkt. Er fasste ihre Schulter und drehte sie so, dass sie mit dem Rücken zu ihm stand. Sie warf ihm einen bangen, erschrockenen Blick zu, der ihn schmerzte. Dann zog er eine doppelreihige Perlenkette aus seiner Tasche und legte sie ihr langsam um den Hals. Er strich ihr mit einer Hand ganz behutsam die Haare aus dem Nacken und mühte sich, mit seinen großen Händen die zierliche Silberschließe zu verriegeln.Plötzlich fuhr sie herum, riss sich die Kette vom Leibe und schleuderte sie zu Boden.
Dann begann sie mit den Fäusten gegen seine Brust zu hämmern und schrie ihn an:
"Hört auf! Hört sofort auf damit! Für was bezahlt Ihr mich? Ich ertrage dieses Spiel nicht länger! Was wollt Ihr denn von mir? Wenn Ihr mich zu eurer Metze machen wollt, dann tut es doch und verspottet mich nicht länger!"
Alle Anspannung der letzten Tage entlud sich nun in diesem Ausbruch.
Wie versteinert ließ Hardrich sie toben, bis sich ihre Wut schließlich in Verzweiflung wandelte und sie in Tränen ausbrach. Da fasste er ihre Hand und zog sie hinter sich her zur Tür, ging über den Flur, öffnete ihre Zimmertür und schubste sie hinein. Er sagte nichts und sah sie auch nicht an, sondern drehte sich einfach um und ließ sie allein. Sie hörte ihn mit raschen Schritten den Gang entlanggehen. Weinend warf sie sich in einen der Sessel am Feuer.
Hardrich ging zu den Ställen. Unwirsch schickte er Till und die anderen Knechte hinaus. Dann trat er zu seinem Pferd, legte stöhnend den Kopf an den Hals des Tieres und schloss die Augen. Trotz des Helmes spürte er die Wärme des großen Pferdes. Fast wünschte er sich seinen Zorn herbei, denn was er jetzt fühlte, verwirrte ihn zutiefst. Endlich begann der Wallach unruhig zu schnauben und mit den Hufen zu scharren.
"Nur ruhig, alter Freund. Es geht ja los", sagte er sanft und strich ihm über die weichen Nüstern. Dann legte er selbst ihm den schweren Sattel auf, zurrte ihn fest und führte den Wallach ins Freie.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt