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Die Ritter schlossen die Visiere und nahmen Aufstellung. Das Signal ertönte und unter dem anfeuernden Jubel der Zuschauer trieben die Reiter ihre Tiere an. Hardrich hatte einen recht guten Start. Er lag als zweiter vorne und gewann rasch an Schnelligkeit.
Da löste sich vom Pferd des Reiters schräg vor ihm ein Stück der bunten Schabracke und wurde direkt vor ihm auf die Bahn geschleudert. Sein Wallach war kampferprobt und beileibe kein schreckhaftes Tier. Er strauchelte nicht einmal, doch Hardrich selber schien sich erschrocken zu haben, denn er riss vollkommen unvermittelt heftig an den Zügeln. Jetzt erst scheute das Tier und stieg, verstört und verärgert durch dies widersinnige Kommando.
Gertraud erschrak furchtbar. Auch aus der Zuschauerschar um sie her hörte sie erstaunte Rufe.
„Gott! Was tut er denn?", rief einer der Handwerker vor ihr und schüttelte ungläubig den Kopf.
Hardrich war ein ausgezeichneter Reiter und sein Ross und er waren eine vertraute Einheit. Trotzdem schien er in diesem Moment nicht zu wissen, was zu tun war. Vielleicht behinderten ihn Rüstung und Lanze, vielleicht war er mit den Gedanken nicht bei der Sache.
Jedenfalls reagierte er zu spät auf das Steigen des Pferdes, lehnte sich nicht nach vorne, um im Sattel zu bleiben und riss immer noch weiter am Zügel.
Im nächsten Moment zog ihn die schwere Rüstung vom Pferd. Er fiel wie ein Stein zu Boden. Gertraud schrie auf, wie auch die Menge um sie herum, denn erst schien es, als stürze auch noch das massige Pferd auf ihn. Doch zum Glück fing sich das Tier wieder und trabte ein paar Schritte weiter, wo es stehenblieb. Hardrich richtete sich halb auf, kam jedoch in der schweren Rüstung nicht wieder auf die Beine und blieb schließlich liegen. Entsetzt sah Gertraud von ihrem Platz aus, Till zu ihm rennen. Der Junge stürzte neben dem Ritter zu Boden, schien kurz mit ihm zu sprechen und rannte dann hinüber zum Zelt der Heiler, winkend und gestikulierend.
Gertraud konnte kaum atmen.
Inzwischen waren die Kämpfe auf den Nachbarbahnen entschieden und Hardrichs Gegner kam herangeritten. Er hatte Helm und Lanze seinen Knappen gegeben, stieg rasch ab und kniete sich neben Hardrich. Till kehrte zurück und gemeinsam lösten sie zügig die Befestigungen von Hardrichs Rüstung. Zwei Heiler kamen hinzu und mit deren Hilfe konnte Hardrich sich schließlich aufsetzen. Sie banden seinem linken Arm fest an den Körper und dann kam der Ritter aus eigener Kraft wieder auf die Füße.
Ein dicker Mann in der Nähe schnaufte ärgerlich:
„Die Schulter also. Damit ist er raus, der Hornochse. Und ich habe zwei Schilling auf ihn gesetzt! Was schad't ihm denn? Jeder verdammter Grünschnabel wär im Sattel geblieben!"
Hämisches Lachen und zustimmendes Nicken und Gemurmel auf allen Seiten.
Gertraud schloss kurz die Augen und ächzte. Genau so etwas hatte sie befürchtet. Sie sah ihren Mann mit Till und den Heilern langsam zu deren Zelt gehen, während sein Gegner zurück zu seinem marschierte. Der winkte hinüber zur Tribüne, wo eine Dame die Hand hob. Deren Mann war jetzt kampflos eine Runde weiter und seine Dame sicherlich heilfroh, dass er ohne einen Kratzer das Kräftemessen mit dem Herrn der Ostmark überstanden hatte.
Innerlich schalt Gertraud sich ärgerlich eine dumme Gans. Sie hätte jetzt dort auf der Tribüne sitzen und ihrem Mann zuwinken können. Hätte sie vorhin nur ihre Finger von Hardrich gelassen!
Aber nun war es zu spät. Sie überlegte kurz, umrundete dann das Gelände und ging auf das Zelt der Heiler zu. An einer Absperrung wurde sie kurz aufgehalten, aber ihr vornehmes Kleid, der teure Schmuck und ihr Siegelring waren den Wachen Beweis genug dafür, dass sie war, für wen sie sich ausgab. Und sie ließen sie mit einer Verbeugung passieren. Gertraud eilte weiter. Das Zelt war nicht verhängt und sie trat, mit klopfendem Herzen, leise näher. Hardrich saß von ihr abgewandt und halbaufgerichtet auf einer niedrigen Liege. Unter dem verrutschtem Hemd, das er trug, sah man im Nacken deutlich die roten Striemen ihrer Fingernägel und Gertraud stöhnte vor Scham innerlich laut auf. Ein Tuch war unter Hardrichs Achsel hindurch geschlungen und einer der anwesenden Heiler stand hinter ihm und zog die Schulter damit leicht nach oben, während ein anderer Hardrichs linken Arm mit geübter Hand zur Seite ausstreckte und behutsam daran zog. Mit einem leisen Klacken schnappte das Gelenk wieder an seinen Platz. Gertraud hörte ihren Mann kurz ächzen und dann laut fluchen. Er ließ sich zurücksinken und bewegte den Arm vorsichtig. Dann nickte er knapp.
Einer der Heiler machte wohl einen Scherz und die Männer um ihn lachten.
Der Ritter lachte nicht.
An der Art wie er dasaß, ruckartig den Kopf bewegte und seine Rechte zur Faust geballt dalag, erkannte Gertraud, wie aufgebracht er immer noch war. Sie schluckte. Fast war sie versucht, sich umzudrehen und wieder zu gehen. Die Heiler bandagierten jetzt den eingerenkten Arm wieder am Körper fest, um ihn ruhigzustellen. Da bemerkte einer von ihnen die junge Frau unschlüssig dort am Eingang stehen und verbeugte sich galant.
„Ah, ich glaube fast, Eure Dame möchte sich nach Eurem Befinden erkundigen", sagte er freundlich.
Hardrichs Kopf fuhr herum und seine dunklen Augen schleuderten Blitze.
„Geh mir aus den Augen!", bellte er sie an und wandte sich abrupt wieder ab.
Till, der immer noch den Brustpanzer und die Armschienen trug, fielen vor Schreck zwei Teile aus der Hand und Hardrich brüllte auch ihn wutentbrannt an. Er war drauf und dran den Burschen zu ohrfeigen. Das war nur allzu deutlich. Allein die Schmerzen in der Schulter hielten ihn davon ab. Hastig und hochrot im Gesicht sammelte der Junge die kostbaren Rüstungsteile wieder auf und murmelte eine Entschuldigung.
Die Heilkundigen wechselten einen vielsagenden Blick untereinander, während Gertraud wie betäubt zurückwich, sich umdrehte und stumm davoneilte.
Das Schultertuch fest um sich geschlungen, mit Tränen in den Augen und dem Fächer halb vor dem Gesicht, kehrte sie zurück in ihre Unterkunft und wartete mit bangem Herzen auf Hardrichs Rückkehr.
Wenig später flog die Tür auf und der Ritter stürmte herein. Er warf ihr einen vernichtenden Blick zu und ging mit großen Schritten ins Schlafgemach. Gertraud folgte ihm langsam. Sie hatte ein entsetzlich schlechtes Gewissen, obwohl er selber ja auch nicht unschuldig daran war, was passiert war. Wortlos goss er sich Wasser in die irdene Waschschale und machte sich dann daran, die staubigen Kleider auszuziehen. Mit nur einer Hand und der schmerzenden Schultern gelang ihm das nur langsam und mit Mühe. Gertraud wollte zufassen und helfen, aber da holte er zum Schlag aus und sie sprang entgeistert zurück.
Die unbedachte Bewegung schien weh getan zu haben, denn er lief hochrot an und brüllte schließlich:
„Fass mich nicht an! Hast Du noch nicht genug angerichtet? Völlerei, Hoffart und Wollust! Fehlt nicht mehr viel und Du hast die sieben beisammen! Wie konnte ich mich nur so täuschen in Dir?"
Damit zerrte er sich das Hemd so heftig vom Leibe, dass es riss und begann, sich mühsam mit einer Hand zu waschen. Gertraud zog sich ins Nebenzimmer zurück. Sie überlegte mit klopfendem Herzen, was sie tun konnte.
Mit ihm zu reden, sich zu entschuldigen, schien ihr im Moment völlig unmöglich. Sie nahm ihr Schultertuch und beschloss, ihm aus dem Weg zu gehen, bis er sich ein wenig beruhigt hatte. Leise verließ sie das Zimmer.
Als sie draußen stand, hörte sie vom Turnierplatz Applaus herüber hallen. Seufzend wandte sie sich ab und ging langsam in die entgegengesetzte Richtung. Auf den Palast zu. Die Tore waren heute weit geöffnet und auf dem Weg herrschte Kommen und Gehen. Sie ging, wie selbstverständlich, an den Wachen vorbei und hinein. In ihrem edlen Kleid verschmolz sie mit all den Menschen, die hin und her eilten. So ging sie weiter, bis sie tatsächlich die weit offenen Türen hinaus in den Garten am Hang fand.
Es ging jetzt schon auf den Abend zu und es war schwül-warm und still hier draußen. Nur ganz entfernt hörte sie noch den Lärm des Turniers. Sie spazierte an Wasserbecken und kunstvoll gestutzten Büschen entlang zum Hang und blickte auf die Blumenterrassen herunter.
Es war genauso wunderschön, wie sie es sich nach von Trettins Schilderung immer vorgestellt hatte. In der friedvollen Ruhe um sie her begann die Anspannung von ihr abzufallen. Das schlechte Gewissen blieb allerdings. Grübelnd schlenderte sie weiter und betrachtete nur nebenbei die Vielfalt der Blumen. Viele davon hatte sie noch nie im Leben gesehen.
Ein betörender Duft aus einem der weißblühenden Sträucher ließ sie gerade innehalten, als jemand sie rief.
„Senhora! Senhora de Aven!"
Gertraud sah sich suchend um und entdeckte die portugiesische Dame auf einer Bank in der Nähe. Sie winkte sie freundlich heran und Gertraud ging auf sie zu. Senhora Nunes hatte ein Buch auf den Knien liegen und klopfte auf den Platz neben sich. Gertraud setzte sich und lächelte scheu.
Die Dame wies hinüber zum Turniergelände und sah sie fragend an. Gertraud streckte ihren Arm senkrecht nach oben, um eine große Gestalt anzudeuten und hielt sich dann mit schmerzverzerrtem Gesicht die Schulter.
„Vester maritus est infirmus?", fragte die Senhora überrascht zurück.
Gertraud nickte und wies wieder hinüber zum Turnier und noch einmal auf ihre Schulter, um zu verdeutlichen, dass es sich um eine Verletzung aus dem laufenden Turnier handelte. Sie war sich nicht sicher, ob ihr Gegenüber dies verstanden hatte, aber Eduarda lächelte und nickte.
„Ludi virorum!", sagte sie dann mit einem Kopfschütteln und rollte die Augen.
Gertraud grübelte nach den Vokabeln in ihrem Hinterkopf und fragte schmunzelnd zurück:
„Spiele der Männer, meint Ihr?"
Und Eduarda lachte hell und nickte. Dann zeigte sie auf die Male auf Gertrauds Ausschnitt und zwinkerte ihr zu. Gertraud, die völlig vergessen hatte, die Kussflecke mit ihrem Schultertuch zu verbergen, errötete heftig.
„Ludi virorum", sagte sie seufzend und beide mussten lachen.
Eduarda schien einen Einfall zu haben. Sie kramte in einem Beutelchen, das sie bei sich hatte, und holte eine hübsche, kleine Dose heraus. Sie öffnete sie und Gertraud sah neugierig hinein. Eine hellbraune Masse befand sich darin. Die Senhora entnahm dem Deckel ein Läppchen und begann, die Kussflecken auf Gertrauds Dekolletee mit dem Puder abzudecken. Dann nickte sie zufrieden. So ging es noch eine Weile hin und her, mit dem bisschen an Latein, das Gertraud kannte und mit Händen und Füßen. Senhora Nunes schien zu spüren, dass der jungen Frau etwas auf der Seele lag, aber die fehlenden sprachlichen Möglichkeiten ließen eine tiefer gehende Unterhaltung nicht zu. Gertraud bedauerte das sehr, denn die heitere Herzlichkeit der Älteren tat ihr gut. Eduarda betrachtete sie mitfühlend und zog sie schließlich wortlos in eine Umarmung. Gertraud war sofort wieder den Tränen nahe und auch das entging der fremden Dame nicht.
Sie zog Gertraud auf die Füße und bedeutete ihr, zusammen etwas essen zu gehen. Die junge Markgräfin nickte dankbar und blinzelte ihre Tränen fort.Gemeinsam gingen sie wieder hinauf in den Palast und Eduarda führte sie hinaus auf einen großen Innenhof, wo Vorbereitungen für das Gelage im Anschluss an das Turnier liefen. Lange Tisch- und Bankreihen waren aufgebaut worden und darum herum Stände mit Speisen und Getränken. Gaukler liefen umher und an einer kleinen Bühnen probten einige Musikanten. Noch waren die Tische fast leer, denn die Kämpfe dauerten offensichtlich noch immer an.
Die beiden Damen setzten sich an einen der Tische und auf Eduardas Wink brachte ein Diener Brot, Butter und Käse und fragte nach ihren Wünschen. Gertraud war sich unsicher, was sie sagte sollte, aber die portugiesische Dame zeigte einfach resolut auf einen Stand mit Fleischpasteten und auf einen mit Weinfässern. Der Diener nickte und wandte sich der Markgräfin zu.
Die sagte schüchtern:
„Pastete auch für mich. Und einen großen Becher Bier."
Das Gewünschte wurde gebracht und als erstes nahm Gertraud den Becher zur Hand. Die Frauen prosteten sich zu und Gertraud trank einen großen Schluck. Sie war so durstig, dass ihr das Bier sogar recht gut schmeckte. Während sie aßen, sah Gertraud sich immer wieder suchend in der Menge um, aber Hardrich war nirgends zu entdecken.
Mit einem Mal füllte sich der Platz. Das Turnier schien beendet und die Zuschauer strömten auf den Innenhof, um zu feiern. Gertraud bedeutete der Senhora, dass sie wieder zu Hardrich zurückkehren wolle und diese nickte verständnisvoll. Gertraud lächelte verlegen, legte ihre Rechte auf ihr Herz und verbeugte sich dankbar. Die Frauen verabschiedeten sich herzlich und die Markgräfin hoffte, dass sie sich in den nächsten Tagen noch einmal sehen würden.
Leise und mit klopfendem Herzen betrat sie ihre Unterkunft, aber Hardrich war nicht dort. Es war jetzt sehr heiß und die Luft schwer und feucht. Sie streckte sich auf dem Bett aus und wollte sich ein wenig ausruhen, doch da sie in der letzten Nacht kaum ein Auge zugetan hatte, übermannten sie Hitze und Schläfrigkeit und sie nickte ein.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt