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Sie verbrachten die Abende meist zusammen in der Bibliothek am Feuer.
Dieser Raum kam Gertraud, mit Ausnahme der Küche, immer als der wärmste Platz in der gesamten Burg vor. Vielleicht lag es wirklich an den vielen Büchern, die auf eine seltsame Art und Weise die Wärme des Tages und des Kaminfeuers bewahrten, vielleicht war es auch nur eine Sinnestäuschung. Jedenfalls war es ihrer beider Lieblingsplatz und hier lagen sie wie die Kinder am großen Kamin auf Teppichen und Fellen. Noch war das Fell des Bären nicht darunter, das Hardrich ihr aus Drelen mitgebracht hatte. Das Entfleischen, Waschen, weichen und zurichten eines solch großen Stückes dauerte seine Zeit und der Kürschner würde es erst in ein paar Wochen fertig haben.
Er lag, die langen Beine übereinandergeschlagen und die Arme hinter dem Kopf, auf dem Rücken. Sie bäuchlings, mit dem Buch vor sich, das sie von ihm zum Christfest bekommen hatte. Jedes Wort, jede Redewendung, jede Zeichnung und jede Karte genießend, las sie ihm vor. Und so verfolgten sie im Geiste gemeinsam die Pilgerfahrt mit Wichard: Wie er in Ulm einzog, wie er nach Konstanz gelangte und die hohen Gipfel der Berge bestaunte. Wahrscheinlich würde er den Winter als Gast eines Klosters am Wege verbringen. Oder in einer gemieteten Kammer in irgendeiner der fremden Städte, deren Namen so eigenartig anmuteten.

Endlich ließen Sturm und Schneefall nach und Hardrich hielt es nicht mehr drinnen. Im Burghof roch es nach Talg und Wachs aus der Werkstatt des Kerzenziehers, der in der dunklen Jahreszeit viel zu tun hatte.
In den Gassen der Stadt lagen Berge von nassem, schmutzigen Schnee, zertreten von vielen dick vermummten Menschen und ihren Lasttieren. Aber vor den Häusern leuchtete ihnen unter strahlend blauem Himmel, blendend weiß und glitzernd, der Schnee wie eine dicke makellose Decke entgegen. Langsam ließen sie ihre Tiere nebeneinander her gehen und genossen schweigend die winterliche Stille. Am Waldrand schreckten sie einige Rehe auf. Dort im Windschatten lag der Schnee nicht ganz so hoch und die Tiere suchten offensichtlich die abgeernteten Felder nach Fressbarem ab.
Anderntags war es wieder windstill, trocken und sonnig und der Markgraf beschloss, die Armbrust mit auf den Ausritt zu nehmen. Zwar ergab sich diesmal keine Gelegenheit zur Jagd, dafür fragte Gertraud, ob sie einmal schießen dürfe. Belustigt spannte der Ritter einen der kurzen, dicklichen Bolzen für sie ein und reichte ihr die Waffe. Die junge Frau war überrascht von deren Schwere. Sie schluckte. Das kunstfertige Gerät atmete verheerende Wucht und todbringende Gewalt.
Fast war sie versucht, es rasch an Hardrich zurückgegeben, als sie sein spöttisches Grinsen sah. Da zog sie mit Hilfe ihrer Zähne die dicken Fäustlinge aus und packte mit fester Hand den Schaft.
„Worauf muss ich achten?", fragte sie gelassen.
Er erklärte ihr mit knappen Worten, wie sie zielen sollte und rückte ihr die Waffe richtig im Arm zurecht.
„Und nicht irgendwo ins Dickicht! Ich will den Bolzen wiederhaben. Versuch es da rüber. Zu den Obstbäumen. He, pass doch auf, Frau! Willst Du mich umbringen?", schnaubte er, als Gertraud beim Umdrehen die Waffe einen Augenblick lang auf seine Füße gerichtet hielt.
Sie aber lachte nur übermütig und legte an. Dann überprüfte sie noch einmal ihre Haltung und ließ ihren Atem ruhig werden. Sie zielte und zog gefühlvoll den Abzug durch. Mit einem trockenen Zischen sirrte der Bolzen davon und stak im nächsten Augenblick schon im Stamm einer alten Birne, die etwa fünfzig Schritt entfernt stand. Der Rückstoß ließ sie im ersten Moment taumeln, aber sie fing sich und sah ihn triumphierend an.
Hardrich ärgerte sich über ihr schnippisches Lächeln und schnaubte höhnisch:
„Erzähl mir doch nicht, dass Du darauf auch gezielt hast! Eher trifft 'ne Hure den Papst!"
Unmut keimte in ihr auf.
Immerzu musste sie jedes Wort auf die Goldwaage legen, während er einfach so mit Demütigungen um sich warf, dachte sie beleidigt und obwohl ihr Verstand sie unmissverständlich warnte, entfuhr es ihr herausfordernd:
„Was bekomme ich, wenn ich dieselbe Stelle noch einmal treffe?"
Sie sah, wie er rot anlief und wie ein verwundeter Stier langsam den Kopf senkte. Er wurde nun wirklich wütend und sie verfluchte innerlich ihre Unvernunft.
Ein Teil von ihr war zwar immer noch gekränkt, trotzdem versuchte sie, wenn auch halbherzig, einzulenken:
„Ich wollte nicht wirklich..."
„Lüg mich nicht an! Natürlich wolltest Du! Und jetzt wirst Du auch! Gib her!", herrschte er sie an und riss ihr die Armbrust aus der Hand, um nachzuladen.
„Und? Was soll Dein Preis sein? Einmal angenommen, Du schaffst es tatsächlich, den Baum noch einmal zu treffen", höhnte er gerade hämisch, während er ungeduldig an der Sehne riss, die ihm schon zweimal schmerzhaft aus den Fingern gerutscht war.
„Was ist denn Dein Preis? Einmal angenommen, ich schaffe es nicht", hörte sich Gertraud zurück fragen und es klang patziger als klug gewesen wäre.
Er funkelte sie böse an und fauchte:
„Eine Tracht Prügel, dass Dir Hören und Sehen vergeht! Damit Du endlich lernst, wo Dein Platz ist!"
„Das ist es also, was Du wirklich willst? Aber gut, einverstanden! Und ich will eine Entschuldigung!", schrie sie tief verletzt und hielt seinem wutentbrannten Blick stand.
So starrten sie sich einen Moment lang an, bis er ihr endlich die gespannte Waffe in die Hand drückte.
Da warf sie den Kopf zurück und stellte sich auf. Sie zielte, setzte die Waffe wieder ab, atmete tief durch, legte wieder an und ließ die Armbrust erneut sinken.
Sie war den Tränen nahe.Da spürte sie mit einem Mal seine Hände ganz sacht auf ihren Schultern.
„Hör auf. Hör auf, Frau", hörte sie ihn leise sagen.
„Aber ich kann es! Ich kann es bestimmt... Ach, verdammt!", schluchzte sie plötzlich und schleuderte die Waffe von sich fort in den Schnee.
Dann schüttelte sie seine Hände ab und weinte bitterlich. Vor Enttäuschung, Erleichterung und verletztem Stolz.
„Ich glaube wirklich, Du könntest es. Komm, hör auf zu weinen", drängte er sie, „Ich will nicht, dass Du weinst. Gertraud, nicht... Sieh mich an."
Sie drehte sich um, unendlich traurig, und bemerkte, wie er mit sich rang.
„Es war ein guter Schuss", sagte er ernst, sah zu Boden und fügte dann rasch und barsch noch hinzu, „Und jetzt hör endlich auf zu weinen, Frau!"
Näher kam er einer Entschuldigung nicht, aber er hatte den ersten Schritt getan und Gertraud war einigermaßen versöhnt.
Sie wischte sich das Gesicht mit den Händen und lächelte zaghaft.
Da nahm Hardrich sie in den Arm und knurrte leise:
„Dass Du das ja keinem erzählst."
Sie knuffte ihn spielerisch in die Seite. Grinsend griff er nach ihrer Hand, aber sie entwand sich blitzschnell, lief ein Stückchen den Hang hinauf, bückte sich und bewarf ihn mit einer Handvoll Schnee. Dann eilte sie hell auflachend den Hügel hinauf, den Pferden zu.
„Na, warte!", rief er mit gespielter Drohung, langte seinerseits in den Schnee und formte einen festen Ball, den er hinter Gertraud her schleuderte und sie hart am Gesäß traf.
Sie schrie spitz auf und warf einen raschen Blick zurück. Er kam jetzt hinter ihr her gerannt. Sie hastete lachend weiter, hatte aber im tiefen Schnee und in ihren dicken, weiten Reitkleidern Mühe, überhaupt vorwärts zu kommen. Bald fühlte sie sich von hinten gepackt, verlor den Halt und beide rutschten und kullerten durch den hohen Pulverschnee den Hang wieder hinunter. Dort balgten sie sich kreischend und prustend, bis sie endlich keuchend und erhitzt auf ihm zu liegen kam. Er zog ihr die verrutschte Haube vom Kopf, fasste ihr Gesicht mit beiden Händen und küsste sie stürmisch. Dann sah er sie einen Moment lang begehrlich an und begann schließlich, mit einer Hand zielstrebig ihre Röcke zu entwirren.
„Oh, nein!", protestierte sie kopfschüttelnd und wollte aufspringen, doch er hielt sie mit der freien Hand fest und entgegnete nur:
„Oh, doch."
„Und wenn uns hier jemand sieht? Hardrich, nicht! Und außerdem ist es kalt", jammerte sie befangen und sah sich suchend um.
„Na, und? Dir wird schon warm werden", hielt er ihr entgegen und machte sich an seinen Beinkleidern zu schaffen.
„Hardrich...", wollte sie erneut etwas einwenden und sog dann aber plötzlich erschrocken die eisige Luft ein, als er unbeirrt von unten in sie eindrang.
Er blinzelte noch einmal in die tiefstehende Sonne, schloss die Augen und bewegte sich langsam unter ihr.
Ein Hochgefühl überkam sie. Sie fühlte sich plötzlich so glücklich, dass sie hätte jubeln können. Wie trunken, richtete sie sich halb auf ihm auf, legte den Kopf in den Nacken und begann, sich ihrerseits, wie im Sattel sitzend, auf ihm zu bewegen. Überrascht öffnete er die Augen und betrachtete sie mit halboffenem Mund. Sein Atem dampfte in der Kälte.Gertraud vergaß, wer und wo sie war, und folgte stöhnend nur diesem drängendem Gefühl in ihr. Mit einem Mal schien etwas in ihr bersten zu wollen und sie war nicht in der Lage, es irgendwie aufzuhalten. Sie stieß einen gurgelnden Schrei aus, klammerte sich mit zusammengebissenen Zähnen an ihn und sank endlich mit einem Seufzen auf ihm zusammen. Kaum merkte sie, dass er sie nun umfasste, noch einmal, zweimal an sich drückte und murmelnd seine Hände in ihrem Haar vergrub.
Schwer atmend lagen sie so aneinander gepresst da, bis sie auf einmal verzweifelt flüsterte:
„Oh, Jesus... Dafür werde ich ganz sicher in der Hölle brennen."
Da brach er in schallendes Gelächter aus:
„Vielleicht für manches andere, aber dafür wohl nicht, Frau!"
Dann stützte er sich auf seine Ellenbogen und ächzte:
„Runter jetzt! Sonst wird gleich noch einiges mehr steif. Aber vor Kälte."
Die junge Frau erhob sich mit glühenden Wangen und schüttelte den Schnee von ihren Röcken. Eisige Luft fuhr ihr um die nun feuchten Beine. Sie sammelte ihre Handschuhe auf und ihr Blick fiel auf die Armbrust, die dort immer noch am Boden lag.
„Na, los. Versuch es", ermunterte Hardrich sie, ihre Gedanken erratend.
Sie warf ihm ein dankbares Lächeln zu und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Dann hob sie die Waffe auf und befreite sie behutsam vom Schnee. Noch immer bereitete ihr das schwere, geladene Geschütz Unbehagen. Doch sie besann sich einen kurzen Moment, legte an und schoss. Nur eine Handbreit unter dem ersten Bolzen schlug der zweite ein.
„Sehr gut", lobte Hardrich sie anerkennend und meinte dann noch nachdenklich, „Ist vielleicht sowieso kein schlechter Gedanke, Dich ein wenig im Umgang mit Waffen zu üben."
„Mir macht allein schon Angst, sie in der Hand zu halten", gestand sie und reichte ihm die Waffe zurück, „Sie scheint Tod und Hass zu verströmen wie einen üblen Geruch."
„Um so wichtiger, dass Du Dich damit vertraut machst. Zuviel Angst lähmt", entgegnete er grüblerisch.
„Aber was könnte ich mit dem Ding ausrichten? Ich kann sie nicht einmal selber laden", wandte sie ein und hoffte, dass er diesen verrückten Einfall fallen lassen würde.
„Morgen versuchen wir eine von den alten. Die lassen sich erheblich leichter spannen. Und mit dem Dolch könntest Du üben. Du hast ja nicht einmal irgendein Tischmesser bei Dir. Warum eigentlich nicht?", fragte er stirnrunzelnd.
„Bitte, Hardrich. Mir ist kalt! Lass uns zurückreiten. Wir können das doch später bereden", maulte sie und schlug die Arme um sich.
„Also gut. Gehen wir", lenkte er ein und während sie sich zu den Pferden aufmachte, zog er noch rasch die Bolzen aus dem Baum und steckte sie zurück in ihre lederne Hüllen, die er am Gürtel trug.
Den Rückweg über gähnte sie immer wieder und fühlte sich so matt und gelöst, dass sie einmal fast aus dem Sattel gefallen wäre. Verstohlen sah sie zu Hardrich hinüber und erwartete eine spöttische Bemerkung, doch der schien mit seinen Gedanken heute ganz woanders zu sein.
Am anderen Tag nahm er tatsächlich zwei der älteren Armbrüste mit und steckte auch zwei hölzerne Übungsdolche ein. Sie hatte gehofft, dass er diesen aberwitzigen Gedanken vergessen hätte und rollte missmutig mit den Augen, aber er ließ sich nicht beirren.
Als sie wenig später die Wiese bei den Obstgärten erreicht hatten, begann er wirklich, sie zu unterweisen. Geduldig zeigte er ihr zunächst die Besonderheiten dieser Waffe und führte dann vor, wie man richtig lud. Widerstrebend, fast schon widerwillig, folgte Gertraud seinen Anweisungen. Und obwohl es ihr gleich beim ersten Versuch gelang, die Sehne zu spannen und den Bolzen einzulegen, fühlte sie sich mehr als unwohl dabei.
„Vertraust Du dem guten Sören so wenig, dass ich mich nun selber verteidigen soll?", fragte sie mürrisch.
Er seufzte.
„Darum geht es nicht. Willst Du das nicht verstehen? Du sollst nicht wieder wie ein Opferlamm dastehen so wie neulich im Siechhaus", erwiderte er nachdrücklich.
„Aber ich könnte doch niemals auf einen Menschen schießen", versetzte sie bestimmt.
Grübelnd sah er sie einen Moment lang an, drückte ihr dann schweigend einen der Holzdolche in die Hand und trat an den hoch aufragenden Wurzelballen eines umgestürzten Baumes heran, der ganz in der Nähe stand.
„Und wenn nun...", begann er ernst.
Sie wollte wieder etwas einwenden, aber er fuhr sie barsch an.
„Hör zu, verdammt!", sagte er schneidend und schlug mit der Hand auf die Wurzel neben sich, „Einmal angenommen, das hier bin ich. Gerade dabei dem Hurensohn das Gold über den Leib zu schütten. Du stehst da, wo Du gerade bist und ich bin einer der anderen Gesandten. Alle Wachen sind beschäftigt oder weiter entfernt. Ich reiße mich los... Ziehe mein Messer und... Aah!"
Er tat so, als rammte er das Messer in die Wurzel, richtete sich auf und sagte feierlich:
„Am 14. November im Jahre des Herrn sowieso wurde Hardrich von Aven Opfer eines feigen Attentates, während zwei Schritt entfernt seine Frau zusah."
Gertraud hatte zu spät begriffen, was er vorhatte.
Frierend und verdrießlich meinte sie nur:
„Das ist doch etwas anderes."
„Noch einmal", erwiderte er nur und stellte sich wieder auf.
Diesmal versuchte sie halbherzig sich ihm in den Weg zu stellen und ihn mit dem Messer zu verletzen.
Doch er fegte sie mit der Linken grob aus dem Weg und stach ungehindert mit der Rechten wiederum auf das Holz ein.
„Tot", sagte er schlicht.
Sie war schmerzhaft auf dem gefrorenen Boden gelandet.
„Hardrich...", begann sie mutlos.
„Noch einmal", wies sie der Ritter ungerührt an.
Wieder fiel sie ihm in den Arm. Wieder wurde sie zu Boden geworfen. Verärgert erhob sie sich.„Noch einmal", befahl der Markgraf barsch.
Diesmal packte sie das hölzerne Messer verbissen mit beiden Händen und versuchte, es dem vermeintlichen Angreifer in den Bauch zu rammen. Hardrich wehrte mit einer Hand ihren Schlag ab, wich aus und Gertraud stürzte jäh zu Boden, mitgerissen von ihrem eigenen Schwung.Ihr Handgelenk schmerzte stechend und sie spürte, dass sie sich das Knie aufgeschlagen hatte. Hilflos sah sie ihn an.
„Los! Noch einmal! Denk nach, verdammt!", herrschte er sie an.
„Warte! Gib mir etwas Zeit!", bat sie.
Er hielt inne und sah sie an.
Endlich kam sie ächzend auf die Füße und schüttelte ihr Handgelenk aus. Dann nickte sie ihrem Mann zu.
Und als dieser aufs neue die Baumwurzel angriff, schrie sie mit verzweifelter Stimme:
„Hardrich! Pass auf!"
Dabei stieß sie ihr Messer in den linken Unterarm des Angreifers, ließ dann aber ihre Waffe fallen. Statt dessen griff sie mit katzenhafter Gewandtheit nach seiner erhobenen Messerhand und zog diese mit ihrem ganzen Gewicht an ihre Brust herunter. Als Hardrich sah, was sie beabsichtigte, hielt er dagegen. Trotzdem traf sie die hölzerne Klinge immer noch mit solcher Wucht, dass sie vor Schmerz aufschrie. Entsetzt ließ er das Messer los.
„Und jetzt", sagte sie gequält, „würde mein Gemahl mich retten... oder rächen."
Sie fiel auf die Knie und keuchte:
„Tot."
Einen Moment lang starrte Hardrich sie fassungslos an. Dann stieß er ein zorniges Brüllen aus, packte sie mit eisenhartem Griff schmerzhaft an den Schultern und riss sie in die Höhe. Gertraud sah, dass er mit einer Hand ausholte, wie um sie zu ohrfeigen und schloss die Augen in banger Erwartung der Strafe. Sie spürte, dass sie zu weit gegangen war.
Doch kein Schlag fiel. Statt dessen ließ er sie so unvermittelt los, dass sie taumelte und rückwärts in den Schnee fiel. Er aber drehte sich wortlos um und ging zu den Pferden.
Schweigend ritten sie heim. Gertraud hatte sich entschuldigen wollen, aber er gebot ihr derart streng, den Mund zu halten, dass sie es nicht wagte, ihn noch einmal anzusprechen.
Am Abend gab es gesottenen Hecht und Sören, der ihnen beim Essen Gesellschaft leistete, spürte die herrschende Missstimmung sofort. Vergeblich bemühte er sich, die Anspannung zu zerstreuen.
Die Nacht hatten die Eheleute getrennt verbracht und am Morgen danach zog sich Gertraud, noch immer ganz in Gedanken, zum Waschen aus. Die Magd, die ihr Wasser warm gemacht hatte, starrte sie entsetzt an. Die junge Markgräfin war zuerst überrascht, sah dann aber an sich hinunter und bemerkte den riesigen blau-roten Bluterguss, der etwas oberhalb des Herzens prangte. Außerdem war ihr rechtes Knie aufgeschürft und ihre Schultern waren mit blauen Flecken übersät.
„Es ist nichts!", wiegelte sie stirnrunzelnd und ungehalten ab, aber sie merkte, dass das Mädchen ihr nicht glaubte.
Gleichzeitig war ihr klar, dass dies den sowieso schon überall kursierenden bösen Gerüchten um ihren Mann willkommene Nahrung sein würde. Später kam sie herunter und fand den Dänen alleine im Speiseraum vor. Hardrich habe schon gegessen, teilte er ihr mit und schien genauso unglücklich über diese gereizte Stimmungslage zu sein wie seine Herrin.
„Könnt Ihr mit dem Dolch umgehen?", fragte Gertraud ihn nachdenklich.
Verdutzt nickte der rotblonde Hüne.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt