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„Was?", entfuhr es ihr ungläubig, „Wieso denn er?"
„Tja... Sag Du mir das, liebes Kind. Du müsstest das inzwischen besser wissen, als ich", meinte von Trettin schmunzelnd.
Gertraud sah ihn zunächst erstaunt an, errötete und überlegte dann.
Trotz der kaum ausgeheilten Verletzung seines linken Armes war von Walow als Mitstreiter immer noch wertvoller als zum Beispiel der gutherzige Adelhard von Bevern. Das konnte also nicht der Grund für sein Bleiben sein. Hardrich mochte ihn nicht, das war nicht von der Hand zu weisen, aber nach seiner Dreistigkeit am Turnier würde er ihn sicherlich trotzdem eher auf dem Feldzug um sich haben wollen, als ihn weit fort in Gertrauds Nähe zu wissen.
„Das kann nur auf Geheiß des Königs zustande gekommen sein. Anders kann ich mir das nicht erklären", meinte sie schließlich.
Von Trettin lachte.
„Zu dem Ergebnis bin ich auch gekommen. Was mich aber wunderte, war, dass von Walow gar nicht glücklich darüber schien. Keine dumme Bemerkung, kein Gewitzel.
Und als wir die Versammlung unterbrachen, bat er Deinen Mann zur Seite und redete auf ihn ein. Ich hatte fast den Eindruck, als bat er ihn, ihn doch mitzunehmen. Na ja, aber wenn die Weisung direkt vom Königshof kommt, wird sich da wohl nichts machen lassen. Wir werden ihn hier bei uns hoffentlich auch eher selten zu Gesicht bekommen, denn er wird eine Menge zu tun haben. Kein Wunder eigentlich, dass er sich nicht darum reißt, der gute Rudolf..."

So erfuhr Gertraud von von Trettin alles was im Saal besprochen wurde, denn sie blieb bei den allermeisten Zusammenkünften außen vor.
Sie leistete Hardrich nach wie vor morgens beim Essen Gesellschaft, aber er war mit den Gedanken meist schon bei den anstehenden Tagesaufgaben und so saßen sie nur kurz beisammen, bis er rasch gegessen hatte und sich mit einem flüchtigen Kuss verabschiedete. Dann sahen sie sich erst gegen Abend wieder, denn die Abendmahlzeit nahm sie zusammen mit den Gästen ein.
Jeder der Lehensmänner hatte noch ein oder zwei Hauptmänner oder Berater mit hierher gebracht und so war es eine große Herrenrunde und sie die einzige Frau.
Wer fehlte, war der Däne, den Hardrich am Tag nach ihrer Rückkehr nach Hause entlassen hatte und den Gertraud so gar nicht weiter hatte sprechen können. Jetzt saß sie zwischen Hardrich und von Trettin und so weit ab von von Walow wie es am Tisch überhaupt nur möglich war. Meist unterhielt sie sich leise mit ihrem Ziehvater oder lauschte den Gesprächen bei Tisch, bis Hardrich sie nach dem Essen entließ und die Herren sie höflich verabschiedeten.
Der Ritter selber kam erst sehr viel später nach. Meist, um sofort ins Bett zu sinken. Manchmal schlief sie sogar schon, wenn er kam.
An diesem Abend erwartete sie ihn allerdings und fragte rundheraus, ob es wahr wäre, was sie gehört hätte. Ob von Walow tatsächlich nicht am Feldzug teilnehmen sollte, sondern den Markgrafen vertreten würde.
Hardrich ächzte. Dann sah er sie an und nickte stumm.
„Will der König es so?", fragte sie nach.
„Ja. Und ich habe die Anweisung schon soweit gedehnt, wie ich konnte. Hier in der Stadt und in der Burg wird er nicht das Sagen haben. Dafür bleibt von Trettin hier bei Dir. Aber die gesamte restliche Mark wird ihm bis zu meiner Rückkehr unterstellt."
„Warum er?", beharrte sie.
„Was weiß ich! Wahrscheinlich als eine Art Rücksicherung. Falls ich nicht zurückkehre, stünde er dem Königshaus sofort als nächster Markgraf zur Verfügung."
Gertraud hatte ihn noch nie vorher davon reden hören, dass er die Möglichkeit überhaupt in Betracht zog, nicht zurückzukehren und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. 
Er umarmte sie und seufzte.
„Wir dürfen nicht so tun, als ob das nicht passieren könnte, Frau. Wie viele sind von den letzten Kreuzzügen wieder gekommen? Zehn von hundert? Oder nur vier? Es sind gute, aufrechte Männer dort gestorben. Und ob ich es zurück schaffen werde, liegt allein in Gottes Hand. Aber für Dich wird gesorgt sein. Darüber habe ich lange mit von Trettin beraten. Er wird..."
„Bitte nicht! Bitte rede nicht so, Hardrich! Ich will davon nichts hören. Ich will, dass Du wieder zu mir zurück kommst!", unterbrach sie ihn eindringlich.
„Das will ich auch. Und ich werde dieses Ziel mit all meiner Kraft verfolgen. Glaub mir das", erwiderte er ernst.
Er legte ihr die Hand auf den Mund, bevor sie ihm wieder ins Wort fallen konnte.
„Aber wenn es doch so kommen sollte, willst Du dazu noch der Willkür irgendeines Fremden ausgeliefert sein? Zunächst wird es natürlich von Trettin sein, der sich Deiner annimmt, aber der ist auch nicht mehr der Jüngste. Willst Du nicht ein Wort mitreden, wem wir die Vormundschaft für Dich danach antragen?", sagte er sanft und strich über ihren Rücken.
Gertraud, immer noch in seinen Armen, stand da und schüttelte nur wieder und wieder den Kopf.
Er nahm ihr Gesicht in beide Hände, küsste sie und flüsterte:
„Ich hatte so auf Wichards Rückkehr gehofft. Ihm hätte ich Dich ohne zu Zögern anvertraut und Dein Vater hätte das auch gut geheißen. Aber soweit mir der der alte von Dühring mitteilte, hat Wichard sich in Konstanz verheiratet und wird dort unten bei der Familie seiner Frau bleiben."
„Wichard hat sich vermählt?", fragte sie verdutzt und spürte tief in ihrem Herzen einen kleinen Stich.
„Ja. Erinnerst Du Dich? Die Familie, die ihn im letzten Winter dort beherbergt hat? Auf dem Rückweg von Santiago ist er dort wieder eingekehrt und hat die Tochter des Grafen von Klingen gefreit, erzählte mir sein Vater. Wir werden ihn wohl nicht wiedersehen. Das schmerzt mich, muss ich sagen."
Er seufzte tief und Gertraud nickte zustimmend. Sie hatte so oft an Wichard denken müssen und im Grunde hatte sie nie an seiner Rückkehr gezweifelt.
Doch nun zerplatzte diese Gewissheit einfach. Wie eine Seifenblase. Ganz genauso konnte sich in einem Jahr auch Ihre Hoffnung auf Hardrichs Rückkehr zerschlagen, dachte sie plötzlich entsetzt.
Ein Bote, ein Brief mit königlichem Siegel, ein paar lobende Worte über die Tapferkeit und Opferbereitschaft ihres Mannes und sie hielte die schreckliche Gewissheit in Händen. Sie fühlte sich mit einem Mal entsetzlich hilflos und klammerte sie sich noch fester an ihn. Er presste seine Lippen auf ihr Haar.
„Weißt Du, wen von Trettin vorschlug? Als Vormund, meine ich?", fragte er dann leise.
Sie schüttelte den Kopf und sah ihn fragend an.
„Er meinte, mir würde das zwar nicht gefallen, aber die beste Wahl wäre von Walow selber."
„Nein!", entfuhr es ihr da heftig.
Der Ritter grinste müde.
„Genau das habe ich auch gesagt, aber er hat natürlich nicht unrecht, der alte Fuchs. Wenn man es nüchtern betrachtet, ist von Walow nach mir der einflussreichste und mächtigste Mann in der Mark. Er ist Dir gewogen und wenn er ganz offiziell nach von Trettin zu Deinem Vormund erklärt würde, wäre er gezwungen, standesgemäß für Dich zu sorgen. Von Trettin meinte, das wäre auf jeden Fall sicherer für Dich, als wenn er seinen Einfluss, wie auch immer, hinterrücks spielen ließe. Als Vormund könnte er Dich freien und Du wärst bis an Dein Lebensende gut versorgt und geschützt. Oder er kauft Dich in ein vornehmes Kloster ein."
„Das kann doch nicht Dein Ernst sein, Hardrich!", erwiderte sie aufgebracht.
„Es ist noch überhaupt nichts entschieden. Und die Vorstellung, dass ausgerechnet er Dich berührt... In diesem Bett bei Dir liegt... Großer Gott! Ich will das auch nicht! Allein die bloße Vorstellung macht mich krank! Dein Vater meinte allerdings, das wäre zudem ein hervorragender Ansporn für mich, alles zu tun, um gesund zurückzukehren", antwortete Hardrich trocken und gähnte, „Denk darüber nach, Frau."
Etwas später im Bett war er sofort eingeschlafen. Sie aber lag die halbe Nacht wach neben ihm. Sie kämpfte gegen das Verlangen an, ihn zu wecken, sich in seine Umarmung zu flüchten und ihn sagen zu hören, dass alles gut werden würde. Aber sie wollte auch, dass er schlief, Kraft schöpfte und sich nicht noch mehr sorgte. Mit schwerem Herzen ließ sie ihn ruhen und versuchte, alles was sie heute erfahren hatte in Ruhe zu durchdenken.
So vergingen die Tage und die Edlen kehrten zurück in ihre Lehen. Von Trettin nahm sie kurz beiseite, bevor er mit Pferd, Wagen und seinem langjährigen Knecht nach Hause aufbrach.
„Dein Mann hat mir heute früh eine Kiste Gold übergeben, das Dir zur Verfügung stehen soll, falls er nicht wiederkommt. Nein, bitte unterbrich mich nicht! Es ist gut so. Und wenn wir es nicht brauchen, weil Dein Mann sicher und wohlbehalten zurückkehrt: Umso besser. Ich werde die Truhe gut verwahren. Hör genau zu. In meinem Studierzimmer gibt es ein geheimes Mauerfach rechts neben dem Kamin. Dort wird es lagern, zusammen mit ein paar anderen kleinen Kostbarkeiten, die Dir gehören sollen. Und ich sage Dir das jetzt, damit dies Wissen nicht mit mir stirbt, falls Gott mich vor der Zeit abberuft. Denn niemand von uns kann in die Zukunft blicken. So. Und jetzt mach nicht so ein trauriges Gesicht. Noch ist niemand tot, Kind", scherzte er.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt