Kapitel 4

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Ich stieg die letzte Stufe des dunklen Treppenhauses hinauf. In meinen beiden Händen hatte ich Einkaufsbeutel. In der letzten Zeit war mir ja ständig übel gewesen, deshalb hatte ich mir heute auch einen Vorrat an Milch und Haferflocken gekauft. Das half doch immer, wenn man sich den Magen verkorkst hatte......obwohl ich war mir nicht ganz so sicher, ob ich wirklich eine Magenverstimmung hatte. Viele Anzeichen deuteten eigentlich auf etwas anderes hin. Deshalb hatte ich auch zusätzlich einen Schwangerschaftstest gekauft. Eine Schwangerschaft.....das fehlte mir ja gerade noch. Die Treppenhausbeleuchtung ging an. „Wo hast du dich so lange herumgetrieben, du Flittchen?" Ich riss den Kopf hoch und entdeckte vor meiner Wohnungstür einen Kerl sitzen. Das war der Handlanger von Carlo, meinem Zuhälter. „Ich war einkaufen. Siehst du doch wohl." Schnell schwenkte ich die Einkaufstaschen in meinen Händen hin und her. „Das wird Carlo nicht gefallen. Du sollst Geld ranschaffen und nicht ausgeben.", blaffte er mich an und sprang auf. Manno, der Typ könnte fast mein Sohn sein. Wie war der bitte in dem Alter schon in dieses Milieu geraten? Genau wie du, verhöhnte mich meine innere Stimme. „Essen braucht der Mensch trotzdem, damit er bei Kräften bleibt", blaffte ich einfach zurück. „Dann ruf beim Pizzadienst an, aber bleib gefälligst hier. Was wäre gewesen, wenn gerade Kundschaft gekommen wäre?" Sollte der böse Blick mich gerade einschüchtern? Dafür brauchte es schon mehr. „Ist ja jetzt auch egal", er winkte lässig ab. „Heute ist Zahltag!" Er streckte mir seine offene Hand entgegen und wedelte dabei ungeduldig und auffordernd mit seinen Fingern. „Mach hinne, du hast mich schon genug Zeit gekostet. Ich hab schließlich noch mehr von euch Truden, die ich abkassieren muss. Du weißt schon Zeit ist Geld." Sein hämisches Lachen machte mich fuchsig, aber was sollte ich tun? Nichts. Also kramte ich mein Portemonnaie heraus und reichte ihm fünf Hunderteuroscheine. „Was nur so wenig? Das wird Carlo nicht gefallen." Er entriss mir das Portemonnaie und kramte noch ein Zwanziger heraus, der darin steckte. „Eh, den brauche ich für den Pizzadienst." Ich entriss ihm mein Portemonnaie wieder, das noch ein echtes von Luis Vuitton war - ein Andenken aus den besseren Zeiten meines Lebens - und versuchte auch den Zwanziger zu erwischen. Meine anderen vier Fünfzigeuroscheine, die ich abgezwackt hatte, hatte ich glücklicherweise in meinem BH versteckt, weil ich mir nicht sicher war, ob die auch mein Zimmer flöhten. „Dann musste halt mehr die Beine breit machen, wenn du was zu fressen willst." Er schob das Geld lässig in seine Hosentasche, ehe er sich vor mir aufbaute. „Nächste Woche solltest du mehr für mich da haben, sonst täte es mir echt Leid, wenn ich dir zeigen müsste, was Carlo davon hält, wenn du nur auf der faulen Haut liegst, anstatt ordentlich anzuschaffen." Er fuhr mit seinem Fingernagel über meine Wange. „Wäre doch schade um dein hübsches Gesicht." Mich überlief ein kalter Schauer. Ich musste hier ganz dringend weg. Trotzdem durfte ich mir meine Angst nicht anmerken lassen. Also nickte ich nur und grinste. „Musst du nicht Geld verdienen? Hau ab, sonst vertreibst du mir noch die Kunden." Scheinbar war das wohl die richtige Ansprache. „Gute Einstellung. Dann hast du mich also verstanden." Der Idiot schien zufrieden. Ich nickte und machte gedanklich drei Kreuze als ich seine Schritte auf der Treppe hörte....

„Espie, hierher, sofort!", schrie ich meine Tochter an und hörte selbst, wie sich meine Stimme fast vor Panik überschlug. Warum hörte sie denn nicht auf mich, sondern schmiss sich dem Kerl vor unserer Tür in die Arme? Nein, das durfte einfach nicht sein. Mit meiner gesamten Kraft hob ich den Weihnachtsbaum in seinem Netz an und stürzte auf den Mann zu, der meine Tochter in seinen Armen hielt. „Lass sofort meine Tochter los oder ich ramme dir den Baum so in deine Eingeweide, dass du das Ave Maria rückwärts singst." Hatte Carlo mich etwa doch aufgespürt und mir einen seiner Handlanger auf den Hals geschickt. War heute der Tag, vor dem ich mich seit knapp drei Jahren fürchtete? Und von dem ich gehofft hatte, dass er nie eintreffen würde. Ich spürte eine unglaubliche Wut in mir aufsteigen. Nein, ich würde mir mein Leben mit Sicherheit nicht wieder von dem Wichser kaputt machen lassen. Nein, ich hatte nicht in den letzten Jahren darum gekämpft mir etwas aufzubauen, damit mich dieser Dreck wieder einholte. Auf keinen Fall würde ich zulassen, dass sich dieses Dreckvolk an meinem kleinen Sonnenschein oder mir vergriff. Klar kannte ich genau ihre Methoden.  Und die waren alles andere als zartfühlend und meist ziemlich brutal und schmerzhaft. Mit Espie hatten sie garantiert meinen wunden Punkt gefunden. Für sie und ihre Sicherheit würde ich alles tun.....auch mit irgendwelchen Kerlen ins Bett steigen......aber nur solange bis ich mir einen Plan zurecht gelegt hatte, wie ich uns beide in Sicherheit bringen konnte. Ich überschlug blitzschnell meine finanziellen Möglichkeiten. Berauschend waren sie nicht wirklich. Aber vielleicht reichte es, um den Mistkerl erst einmal wieder abtreten zu lassen. Ich musste verhindern, dass der Mistkerl mich vor Espie verprügelte. Das wäre für sie ein Schock für's Leben. Dieser Drecksack hatte sein Arme um meinen Sonnenschein geschlungen und stand mit ihr auf dem Arm auf. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Wollte er meinen kleinen Sonnenschein etwa als Pfand nehmen? Das würde ich nur über meine Leiche zulassen. Ich griff den Weihnachtsbaum etwas fester. Wenn ich ihn ihm in seine Eingeweide rammte, konnte ich den Schockmoment nutzen, um mir Espie zu schnappen und abzuhauen. Weit würden wir mit Sicherheit nicht kommen, ehe er uns eingeholt hatte. Aber eine Etage konnten wir schaffen. Wenn ich es schaffte zu Sascha in die Wohnung über uns zu flüchten, waren wir in Sicherheit. Vorausgesetzt, dass er zu Hause war. Ich ließ meine Gehirnzellen rotieren. Er war Bundesligaspieler. War da heute ein Spiel? Wahrscheinlich nicht, sonst wären mehr Leute in Fußballtrikots unterwegs gewesen. Verdammt, warum hatte ich mich noch nie für diesen Sport interessiert. Okay, das war einen Versuch wert. Und wenn er nicht da war.......dann blieb mir nur das ganze Haus zusammen zu schreien und zu hoffen. Ein Versuch war es wert. „Nimm deine Wichsgriffel von meiner Tochter", stieß ich noch eine letzte Warnung aus, ehe ich mit meinem Weihnachtsbaum Anlauf nahm. „Na, das nenne ich ja mal eine echt freundliche Begrüßung." Der Kerl wendete sich mir zu und setzte Espie auf der Erde ab. Erschrocken hielt ich mitten in der Bewegung inne und schaute ihn schockiert an. „Was willst du hier?"

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt