Kapitel 70

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Ich stand in der Küche und bereitete das Abendbrot vor.  Aus dem Wohnzimmer hörte ich das Kichern von meinem kleinen Sonnenschein und das Lachen von Luca. Die Frage war, ob er immer noch Lachen würde, wenn er wüsste, was sein Vater mir vorhin mitgeteilt hatte. Wahrscheinlich wohl eher nicht. Und ich, ich hatte noch keinen Plan, wie ich ihm das beibringen sollte. Warum war ich so blöd gewesen und hatte Lucys Angebot abgelehnt, dass sie mit zu uns kam und wir es ihm gemeinsam beibrachten? Ganz einfach, ich hatte es abgelehnt, weil ich eine erwachsene Frau war, die mitten im Leben stand....und weil es unsere Partnerschaft und meine Person war, die das ganze Debakel ausgelöst hatte. Das half mir aber im Moment überhaupt nicht weiter, denn am liebsten hätte ich mich gerade irgendwo verkrochen und abgewartet, dass alles vorbei war. Aber meine Lebenserfahrung hatte mich gelehrt, dass das nicht half. Trotzdem hatte ich einfach Schiss. Was war, wenn Luca mir Vorwürfe machte, dass ich mich in seine Sachen eingemischt hatte? Was war, wenn er mir die Schuld an der Reaktion seines Vaters gab? Und was war, wenn er deshalb unsere Beziehung beendete? Die letzte Frage konnte ich ganz einfach beantworten. Ich würde am Boden liegen und meine Tochter wäre mit Sicherheit genauso unglücklich. Das konnte und wollte ich nicht erleben. Das half aber alles nichts, denn diese Möglichkeit bestand nun einmal. Ich hätte einfach vorher überlegen müssen, was ich eventuell lostrat, wenn ich nach Bochum fuhr. Das hatte ich aber nicht und deshalb stand ich jetzt vor diesem Riesenproblem. „Verfluchter Mist!", schimpfte ich laut und steckte meinen Zeigefinger in meinen Mund. Wegen meiner blöden Grübelei hatte ich mir in den Finger geschnitten. „Was ist passiert?" Luca war in die Küche gestürmt gekommen. „Gesnitten!", brummte ich mit dem Finger immer noch im Mund. Luca griff nach meiner Hand und zog den Finger langsam zu sich. Er reichte mir ein Tuch. „Drücke das da rauf. Ich hole ein Pflaster."  „Mama, Aua!" Espie schaute mich ganz besorgt an. „Das ist nur ein ganz kleiner Schnitt, weil Mama nicht richtig mit dem Messer aufgepasst hat. Da muss man immer ganz vorsichtig sein." Ich konnte ja mein Unvermögen wenigstens gleich noch zu Erziehungszwecken nutzen. „Ja, is imma vorsistig." Meine Tochter nickte mit so einer Ernsthaftigkeit, dass ich ein Schmunzeln von mir unterdrücken musste. „So, hier ist ein Pflaster." Luca verarztete damit behutsam meine Wunde. „Spatzl, wir schnibbeln jetzt den Salat weiter und die Mama deckt schon einmal den Tisch." Er zwinkerte mir zu und griff nach dem Messer, um die Tomaten weiter zu schneiden. Das war so ein schöner Anblick, wie er zusammen mit meiner Tochter den Salat zubereitete. Ob das immer noch der Fall wäre, wenn er wüsste, was vorhin vorgefallen war? Ich hatte Angst es herauszufinden. In meinem Leben hatte ich einfach schon zu viele Menschen verloren, die mir wichtig waren. Zu oft war ich deshalb in ein Loch gefallen. Klar, würde ich diesmal mich zusammenreißen müssen. Schon alleine wegen meines kleinen Sonnenscheins.....aber ich war mir sicher, dass mir eine Trennung von Luca total den Boden unter den Füssen wegziehen würde und dass dieser Verlust alles übertreffen würde......ja, ich hatte mich so richtig in diesen Kerl da in meiner Küche verliebt und konnte mir ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen. Aber vielleicht wurde das bald Realität. Eigentlich glaubte und hoffte ich zwar nicht, dass er seine finanzielle Zukunft über unser Glück stellte......aber er war ziemlich jung.....und wie oft zeigte man erst in der Krise das wahre Gesicht, wenn einem das Wasser bis zum Hals stand. Ich war doch das beste Beispiel dafür.....

Der Schwangerschaftstest zeigt ein eindeutig positives Ergebnis. Ich hatte es befürchtet. Wie konnte das nur passiert sein? Ich hatte immer mit Kondom verhütet. Auch wenn ich das Geld gut gebrauchen hätte können, hatte ich immer das Angebot abgelehnt, ohne Kondom einen Freier zu bedienen. Nee, ich hatte zwar gerade eine ziemlich schlechte Zeit in meinem Leben, aber das hieß nicht, dass ich meines Lebens überdrüssig war und mir Aids oder irgendsoeine andere dämliche Geschlechtskrankheit einfangen wollte. Ein hysterisches Lachen entkam mir. Nee! Ich hatte mir etwas ganz anderes eingefangen. Ein Baby! Sofort musste ich an meine kleine Carmen denken und ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus. Ich bekam ein Baby. Diesmal würde ich mein Baby aber behalten. Und wie willst du das finanzieren, höhnte eine Stimme in meinem Hinterkopf. Willst du es im Nebenzimmer parken, während du deine Freier bedienst, hörte ich diese Stimme weiter. Nein, das ging auf keinen Fall. Ich konnte nicht mehr als Prostituierte arbeiten. Und ich musste auf die Pillen verzichten, sofort!  Entschlossen kramte ich mein kleines Tütchen mit den bunten Helfern aus meinem Versteck hervor und kippte sie in die Toilette, ehe ich die Spülung drückte. Okay, die erste Hürde war genommen. Jetzt musste mir aber noch etwas wegen der Lebenssituation einfallen. Mein Kind und ich brauchten dringend einen Versorger, der sich gut um uns kümmerte. Mein Handy, das auf dem Waschbecken lag, klingelte und ich schnappte es mir. Carlo! Nee, mein Zuhälter war mit Sicherheit nicht die Person, die dafür in Frage kam. Ich überlegte kurz das Gespräch anzunehmen. Wahrscheinlich wollte er einen neuen Kunden avisieren. Nein, dafür hatte ich gerade keine Zeit. Ich musste mich dringend um meine Zukunft kümmern. Vielleicht half mir ein Blick auf meine Kontakte die richtige Person zu finden. Ich begann zu scrollen und bereits beim dritten Eintrag blieb ich hängen. Andreas! Das war die Lösung. Ich würde einfach zu ihm gehen und behaupten, dass das Kind von ihm war. Der war mit Sicherheit gutgläubig genug, dass er das schluckte, ohne nachzurechnen. Und er war mir Sicherheit ein perfekter Vater. Bei ihm würden wir es beide gut haben. Ich war mir sicher, dass er keine Spirenzchen machte und sich um uns kümmerte. Ja, das war der Weg! Was interessierte es mich schon, ob der kleine Satansbraten und er eigentlich andere Pläne hatten. Hier ging es nur darum, dass mein Baby und ich versorgt waren. Manchmal war einem das eigene Hemd eben am nächsten......

Mit diesem Gedanken im Kopf und der Angst, dass Luca auch nur an sich dachte, ging ich zum Schrank, um die Teller herauszuholen. Das Ergebnis war ein lautes Klirren und ein Haufen Scherben. Das passierte halt, wenn man nicht richtig bei der Sache war. Aber sagte man nicht immer, Scherben brachten Glück, machte ich mir selbst Mut.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt