Kapitel 45

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Ich wurde durch Geräusche im Flur geweckt. War etwas mit Espie? Alarmiert sprang ich aus meinem Bett. Okay, das war etwas schnell. Meine Hand suchte Halt am Sessel bis sich mein Kreislauf wieder stabilisiert hatte und nicht mehr kleine Sternchen vor meinen Augen blitzten. Schnellen Schrittes lief ich in den Flur und sah durch die angelehnte Badtür einen Lichtschein schimmern. Laute Würgegeräusche waren zu hören. Okay, das war dann wohl nicht Espie. Trotzdem beunruhigt öffnete ich die Badtür und sah Luca vor der Toilette knien und den heiligen Porzellangott anbeten. Ich lief die paar Schritte zu ihm und griff nach seinen Haaren, um sie zurückzuhalten.....

Mensch Genia, was hast du denn alles geschluckt? Ein Glück, dass du mich wenigstens angerufen hast, damit ich dich abholen komme", hörte ich Paulas besorgte Stimme, die zu meinem benebelten Gehirn durchdrang, während ich vor ihrer Gästetoilette kniete und mir den heutigen Abend noch einmal durch den Kopf gehen ließ. Boah, das war nicht nur der Champagner, der da raus wollte, sondern auch so einiges an Pillen. Ja, die hatte ich gebraucht, um diese dämliche Veranstaltung überhaupt zu überstehen. Woher hätte ich auch wissen sollen, dass ich bei diesem Auftrag den Typen zu so einem blöden Empfang mit dem Who is Who der Düsseldorfer Wirtschaft begleiten sollte? Na immerhin war der Auftrag wenigstens gut bezahlt. Das milderte meine Qualen wenigstens etwas. Trotzdem war ich die ganze Zeit nur auf der Hut gewesen, meiner Mutter nicht über den Weg zu laufen. Das war doch eigentlich lachhaft, schließlich hatte ich sie seit acht Jahren nicht mehr gesehen und war mittlerweile 32 und führte mein eigenes erfolgreiches Leben. Obwohl, erfolgreich? Das lag ja immer in der Sicht des Betrachters und die wenigsten, die mich kannten, wussten, dass es nicht mehr wirklich so gut mit den Modelaufträgen lief. Klar, hatte ich noch Aufträge, aber die bestanden meistens darin ein hübsches Beiwerk zu geben. Trotzdem hoffte ich bald wieder etwas bei einem großen Label zu shooten. Nicht umsonst hatte ich mich von dem Mistkerl heute auch befingern lassen. Aber immerhin war er Mitbesitzer eines Newcomer Labels und hatte mir versprochen sich für mich einzusetzen. Also würde es bald wieder richtig laufen und bis dahin überbrückte ich die Zeit halt mit den kleinen Aufträgen und meinen kleinen bunten Freunden. „Konntest du beim Champagner wieder nicht nein sagen?" Der Ton meiner Freundin war in vorwurfsvoll gewechselt, während sie meine Haare in meinem Nacken zurückhielt, damit ich sie nicht voll kotzte. Ich ersparte mir eine Antwort und würgte einfach weiter......

„Geht es dir jetzt besser?" Luca hatte sich mit dem Rücken an die Badewanne gelehnt und umklammerte seine Knie. Eigentlich konnte ich mir die Frage auch sparen, denn er sah aus wie ein Häufchen Elend und sein Gesicht war kreidebleich. Ganz bedächtig schüttelte er seinen Kopf. Ja, wahrscheinlich hatte er Angst, dass sich sonst das Karussell wieder in Gang setzte. „Komm, am besten gehst du wieder ins Bett. Dann beruhigt sich dein Magen auch wieder." „Nee, ich bleibe lieber hier sitzen. Dann ist der Weg nicht so weit." Das klang ziemlich kleinlaut und wehleidig. Tja, wer trinken konnte, der musste auch mit den Nachwirkungen leben. Nur so lernte man es, sich irgendwann selbst einzuschätzen und nicht mehr über die Stränge zu schlagen. Trotzdem keimte bei diesem jämmerlichen Bild Mitleid in mir auf. Manchmal gab es halt Momente, wo man das nicht so richtig im Griff hatte. Wer wusste das besser als ich? „Komm ich bring dich wieder ins Bett." Ich griff nach Lucas Arm und versuchte ihn hochzuziehen. Das war gar nicht so einfach, schließlich war er doch etwas größer und kräftiger als ich. Irgendwann ließ er aber seinen Widerstand sein und erhob sich. Schnell hatte ich ihn in sein Bett verfrachtet und krabbelte wieder in meins. Kaum dass ich mich eingekuschelt hatte, spürte ich neben mir, wie sich das Sofa etwas absenkte. Ich riss erschrocken meine Augen wieder auf und sah im Dunkeln die Umrisse von Luca, der ein Deckbett und Kopfkissen unter dem Arm hatte. „Darf ich mich zu dir legen? Ich will da nicht alleine in meinem Zimmer sein." Man, das hörte sich ja total kläglich an. Fast wie Espie, wenn es ihr nicht gut ging. Wie sollte mein Mutterherz da nein sagen? Also nickte ich nur und rutschte etwas zur Seite, um ihm Platz zu machen. Ich lauschte noch kurz dem Rascheln des Bettzeugs. Als Ruhe eingekehrt war, schloss ich wieder meine Augen und lauschte den gleichmäßigen Atemzügen meines Bettnachbars. Schön, dass er so schnell wieder eingeschlafen war. Noch schöner wäre es aber, wenn mir das auch gelingen würde. Aber anstatt Schlaf zu finden, rauschten durch meinen Kopf alle möglichen Gedanken und immer wieder tauchte dort dieser eine Satz auf. „Ich hab dich wirklich gaaanz doolll lieeb, Genia."  Manno, was sollte denn das? Drehte mein Gehirn jetzt völlig frei, dass ich mich von so einem Satz eines Betrunkenen durcheinander bringen ließ? Nee, ich war doch eine vernünftige erwachsene Frau im mittleren Alter, die Männern entsagt hatte. Also, was sollte das? Ich hatte meine Tochter. Und das war mehr als ausreichend. Ich spürte wie sich ein Arm um meine Taille legte und sich Luca an mich kuschelte. Sein warmer Atem streifte meinen Nacken. Sofort reagierte mein Körper mit diesem Kribbeln, das ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gespürt hatte. Das konnte doch wohl nicht wahr sein, dass ich hier zu einem liebestollen Teenager mutierte. Schnell schloss ich wieder meine Augen und konzentrierte mich auf Schäfchen....
„Mama aufwacht." Espies Stimme drang an mein Ohr und ich öffnete mit einem schnellen Blinzeln meine Augen. An meiner Taille spürte ich einen Arm. Schnell wendete ich meinen Kopf zur Seite und schaute in das entspannte schlafende Gesicht von Luca. Dann war das heute Nacht also kein Traum gewesen. „Mama, Luda?" Meine Tochter deutete mit ihrem kleinen Finger auf meinen Bettgenossen. Ups, wie sollte ich ihr das am besten erklären? „Luca hatte heute Nacht Aua und deshalb hat er hier bei mir geschlafen. So wie du das auch immer machst, wenn du Aua hast." Espie nickte und schaute besorgt zu unserem Mitbewohner. „Luda Aua. Espie pusten." Ehe ich eingreifen konnte, war die Kleine auch ins Bett geklettert und pustete in das Gesicht von Luca, der verschlafen seine Augen öffnete, ehe er an seine Stirn griff und stöhnte. „Luda Aua wo?" Espies besorgter Blick, ließ mein Herz sofort wieder überlaufen. Luca tippte nur an seine Stirn und sofort fing meine Tochter wieder an zu pusten. Ich befreite mich erst einmal aus der Umklammerung und schlüpfte aus dem Bett, denn ich bezweifelte, dass meine Tochter über ausreichend Heilkräfte verfügte. Eine Kopfschmerztablette wäre da wohl hilfreicher. Also holte ich eine aus dem Medizinschrank im Bad und dazu noch eine Flasche Wasser aus der Küche. „Hier. Das dürfte helfen", zwinkerte ich, als ich Luca beides reichte. Mittlerweile saß er schon aufrecht und hatte Espie auf dem Schoß, die immer noch ihr bestes ab und wahrscheinlich schon kurz vor dem Hyperventilieren war. Luca schluckte schnell die Kopfschmerztablette und nahm einen großen Schluck Wasser. „Danke, für gestern und heute Nacht." Seine Wangen hatten sich ein wenig gerötet. Er musste sich deshalb doch nicht schämen. So etwas passierte doch jedem mal. Ich winkte nur lässig ab.  „Da doch nicht für. Das ist doch selbstverständlich. Nächstes Mal hältst du meine Haare." Luca schüttelte nachdenklich seinen Kopf. „Das meinte ich nicht. Ich meinte das hier." Er deutet mit seiner Hand auf das Bett und seine Gesichtsfarbe wurde noch ein bisschen kräftiger. „Ich habe das auch ernst gemeint, was ich gesagt habe, Genia." Und da war er wieder, der Satz, der mein Gehirn die halbe Nacht infiltriert hatte. Ich hab dich wirklich gaaanz doolll lieeb, Genia. Ach Quatsch, das meinte Luca nicht. Aber was hatte er sonst noch gesagt?

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt