Kapitel 24

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Ich öffnete meine Augen und starrte in die Dunkelheit. Es war ganz still um mich herum. Einen kleinen Augenblick benötigte ich, um mich zu orientieren. Ich war in Belgien bei Demi und Jean, meinen Gasteltern in meinem Zimmer......und dann brachen wieder die Erinnerungen an die letzten Tage und Wochen über mich herein........
Ich hatte meine Baby hier bekommen. Alles war gut gewesen. Meine kleine Carmen war kerngesund. Jedenfalls hatte mir das die Hebamme gesagt. Sogar meine Mutter war zur Geburt hergekommen. Ich spürte plötzlich diesen tiefen Schmerz in mir. Ja, sie war gekommen......aber nicht um mich zu unterstützen oder weil sie sich um mich sorgte......nein, sie war gekommen, um mir mein Baby wegzunehmen. Die Tränen schossen mir in die Augen. Es war ein Wunder, dass dort überhaupt noch welche waren, so viel wie ich schon geweint hatte. In meinen Erinnerungen tauchte die Stimme von Jean auf. „Es ist nicht richtig, dass sie der Kleinen ihr Baby wegnehmen. Ein Kind gehört zu seiner Mutter, Demi." Ich war am Tag der Geburt nach einer kurzen Schlafphase aufgestanden und hinunter zur Küche gelaufen, wo ich meine kleine Tochter vermutete. „Du hast recht, Jean. Aber wenn ihre Eltern entschieden haben das Baby zur Adoption freizugeben, dann steht es uns nicht zu uns da einzumischen. Wir können jetzt nur für das arme Geschöpf da sein und versuchen sie aufzufangen. Es wird ein schwerer Schlag für sie sein." In meinem Kopf wechselten ihre französischen Worte ins Deutsche. Wovon redeten die beiden da? Was für eine Adoption?
Mittlerweile wusste ich, was sie in dem Gespräch, das ich belauscht hatte, meinten. Meine Eltern hatte einfach entschieden, dass ein Baby nicht in mein Leben passte und es weggegeben. Aber es war doch mein Leben! Wie konnten sie das machen? Scheinbar war ihnen total egal, was ich wollte. Ich knirschte mit meinen Zähnen. Und unbändige Wut bahnte sich den Weg in meine Körpermitte. Es war doch mein Leben und nicht ihres. Ich durchkreuzte doch auch nicht Mamas Pläne und ruinierte ihre Firma. Wieso also durchkreuzte sie meine mit meinem Baby und Conny an meiner Seite? In meiner Verzweiflung hatte ich sogar versucht Kontakt mit ihm aufzunehmen. Schließlich war es ja auch seine Tochter ..... und wenn er Einspruch..... na ja, die Hoffnung war schnell gestorben, denn er hatte wohl neue Kontaktdaten, die mir nicht zur Verfügung standen. Selbst Paula konnte ihn nirgends an der Uni aufstöbern. Es war......es war zum Haare raufen und verzweifeln. Ja, ich war total verzweifelt und machte daraus auch kein Geheimnis. Jean versuchte mich weiterhin zu unterrichten....ja, er versuchte es und tat mir dabei fast schon leid, denn ich hatte beschlossen in den Bockmodus zu wechseln. Kein Baby.....keine Schule. Ganz einfach. Trotz allem war er immer bemüht und verständnisvoll, genau wie Demi, die sich sogar das Rezept für Frau Kowalskis Blaubeer Pfannkuchen besorgt hatte und mich damit verwöhnte. Mein Handy gab einen Signalton ab. Facetime mit Paula. Ja, das wäre gerade nicht verkehrt. Sie war wenigstens auf meiner Seite. Da war ich mir zu tausend Prozent sicher. „Hey, du Gurke. Wie geht es dir? Hast du schon wunde Stellen?" Das war so eine typische Paula Begrüßung. Trotz meiner Wut, die sich immer noch in mir manifestiert hatte, musste ich grinsen und schüttelte den Kopf. „Nö, das Bett ist durchaus bequem." Paula stöhnte. „So gut möchte ich es auch mal haben." Plötzlich verzog sie ihr Gesicht. „Ach übrigens, ich habe was von Conny herausbekommen." Ich riss meine Augen auf und mein Herz fing an zu rasen. „Was?" „Also, er...." „Was? Jetzt hau raus." „Wenn du mich zu Wort kommen lassen würdest." Paula kniff ihre Augen zusammen. „Also ich habe da einen von seinen Kommilitonen etwas mehr auf den Zahn gefühlt." Ein freches Grinsen tauchte in ihrem Gesicht auf. „Wir sind übrigens am Wochenende verabredet oder anders gesagt, ich habe ein Date!" Das freute mich ungemein für sie, aber... „Pauli!", knurrte ich ungeduldig. „Ja, ja", winkte sie ab. „Also, Conny ist ganz kurzfristig an eine andere Uni ins Ausland gewechselt, wo er irgendein Stipendium bekommen hat. Mehr wusste Paul auch nicht." Na toll, das half mir jetzt auch nicht wirklich weiter. „Jetzt guck nicht so wie ein begossener Pudel. Hast du denn deine Alten schon irgendwie mit deinen Depressionen weich kochen können?" Ich schüttelte den Kopf. „Papa meint ich brauche nur etwas Ruhe und Mama...." „War klar, dass der Fleischerhund sich da keinen Kopf macht und denkt, dass das das sowieso nur Spinnerei ist. Boah, deine Eltern sind echt so scheiße!" Paulas Blick verbarg ihre Wut nicht. „Ich frage mich echt, was in die ihren Köpfen und Herzen los ist. Ich habe deinen Vater immer eigentlich für einen echt netten Kerl gehalten.....aber was er da für eine Schweinerei mitmacht, geht ja überhaupt nicht." Meine Freundin redete sich in Rage. „Er ist ein totaler Waschlappen, dass er sich nicht gegen deine Mutter durchsetzt. Sich hinter seinen Büchern zu verkriechen, wenn es um seine Tochter geht ist echt total billig." Ja, ich würde es meinem Vater auch nie verzeihen, dass er mich so im Stich gelassen hatte. „Trotzdem müssen wir uns langsam eine andere Taktik einfallen lassen, wenn wir so nicht weiterkommen." Paulis Blick war wild entschlossen. „Ich will, dass mein Patenkind endlich zu seiner Mama kommt." Nichts wünschte ich mir auch mehr. „Deine Alte kannst du wahrscheinlich nur weich kochen, wenn du artig und möglichst ehrgeizig bist. Vielleicht verrät sie dir ja, wo sie das Kind gebunkert hat, wenn du wieder funktionierst und dich als ihre Nachfolgerin aufstellst." Der Ansatz war vielleicht wirklich nicht der verkehrte. Wenn alles nach Mamas Nase lief, wurde sie vielleicht wenigstens ein wenig unvorsichtig. So hatte sie ja schon gedroht, dass sie mich in ein Internat steckte, wenn ich nicht bald wieder in die Spur kam. Und Internat war ganz großer Mist....also abgesehen davon, dass ich dann wieder ohne Paula wäre, hätte ich nicht einmal die Chance zu Hause nach meiner Tochter zu suchen. Und da musste es doch irgendwelche Hinweise auf ihren Verbleib geben. „Du hast recht. Ich muss die Taktik ändern." Ich nickte meiner Freundin auf dem Display wild entschlossen zu. „Ich werde ab sofort wieder die Mustertochter werden, die sie sich wünscht und mich so ranspielen, dass ich möglichst schnell wieder zurück nach Düsseldorf komme. Wenn sie zufrieden ist, wird sie nicht einmal merken, wenn wir dort weiter ermitteln." Paula grinste breit und salutierte imaginär. „Geht klar, Sherlock. Wer Scheiße ist, sollte auch mit der eigenen Scheiße geschlagen werden. Wir ziehen sie einfach ab und dann holen wir uns Carmen." Ich musste grinsen, als Paula zu singen begann. „Auf in den Kampf, Torreeero. Siegesgewiss, deiner Alten klappert bald das Gebiss!" Ja, so konnte man die Arie aus Carmen natürlich auch singen und formulieren. Noch lange nach dem wir das Gespräch beendet hatten, saß ich auf meinem Bett und summte die Melodie vor mich hin. Ja, ich würde jetzt zum gut durchdachten Angriff übergehen, von dem niemand etwas mitbekam bis ich dann zuschlug. Ich stand auf und lief Richtung Bad. Erst einmal duschen und dann hieß es wieder zur Musterschülerin zu mutieren. Aber ich wusste ja jetzt, wofür ich es tat und hatte einen Plan und ein Ziel. Ich würde mir meine Carmen wiederholen, auch wenn es vielleicht etwas länger dauerte.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt