Kapitel 109

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„Bärbel, wenn du einmal groß bist, dann arbeitest du auch hier." Meine Mutter lief mit mir an der Hand über den dicken flauschigen Teppich in ihrem Büro. Sie hatte mich heute mit hierher genommen. Das Telefon klingelte und sie ließ meine Hand los, um schnell nach dem Hörer zu greifen. Während sie mit irgendjemand sprach, zuppelte ich an diesem ollen kratzenden Kostüm, das ich heute extra hatte anziehen müssen. Mama hatte genau das gleiche Kostüm an. Ob ihres wohl auch so kratzte? Ich schaute mich in dem Raum um. Außer dem Schreibtisch gab es hier nur Regale mit Ordnern und ein paar Bücher. Ich lief zu dem kleinen Regal und zog mir ein Buch heraus. Vielleicht war es ja interessant und hatte ein paar hübsche Bilder. Auf der ersten Seite waren nur Wörter zu sehen. Ich blätterte weiter.....da waren nirgends Bilder. Was wollte Mama denn mit den ollen langweiligen Büchern? „Was machst du denn da?" Mama hatte sich zu mir herunter gebeugt und das Buch gegriffen. „Ich glaube nicht, dass Aktienrecht schon etwas für eine Fünfjährige ist. Obwohl, eigentlich kann man nie früh genug damit anfangen, wenn man einmal erfolgreich werden will. Du musst nämlich wissen, dass man als Frau in so einer Domäne immer doppelt so gut wie die Männer sein muss, um sich am Ende auch durchzusetzen. Das ist zwar nicht schwer, denn Männer sind von Geburt an dumm und wir Frauen sind viel klüger, aber dieser Klüngel von Kerlen hält halt zusammen." Mama musste sich irren. Papa war doch  überhaupt nicht dumm. Er konnte mir immer so viel erklären und wusste immer eine Antwort auf meine Fragen. Er war viel schlauer als ich und ich war doch auch ein Mädchen, genau wie Mama, also konnten wir doch gar nicht viel klüger sein. „Schau, ich habe dir hier extra einen kleinen Schreibtisch aufbauen lassen." Mama führte mich zu dem kleine Tisch neben ihrem. „Da hast du ein Laptop." Sie deutete auf das silberglänzende Teil. Ich setzte mich auf den Stuhl und klappte den Laptop auf. Ob da wohl auch so tolle Spiele drauf waren wie auf dem zu Hause?

Nein waren es natürlich nicht gewesen. Denn es war kein Kinderlaptop mit Spielen, sondern ein Firmenlaptop gewesen, mit dem ich in dem Alter überhaupt nichts hatte anfangen können. Manno, hatte es an dem Tag noch Ärger gegeben, weil ich mir heimlich ein Papierblatt und einen Stift von ihrem Schreibtisch gemopst hatte als sie kurz aus dem Zimmer gegangen war und darauf gemalt hatte. Wie hätte ich auch wissen sollen, dass es ein wichtiges Firmendokument war. Und jetzt sollte der ganze Ramsch da mir gehören? Das war doch......das war Wahnsinn. Also abgesehen davon, dass ich dafür total unfähig war so eine Firma zu leiten, hatte ich auch nicht die Absicht dieses beschissene Erbe überhaupt anzunehmen. „So, dann hätten wir erst einmal in groben Zügen sämtliche das Erbe umfassenden Positionen durchgesprochen." Der Nachlassverwalter klappte seinen Ordner geräuschvoll zu und hob seinen Blick in meine Richtung. Ich hatte schon lange aufgegeben seinen Worten zu folgen und klappte die Mappe, die ich auf dem Schoß hielt auch zu. „So, was sagen Sie dazu?" Was sollte ich schon dazu sagen? Dass mich das Ganze nicht im geringsten interessierte und dass er sich den ganzen Kram in seinen Allerwertesten schieben sollte. Ja, genau das würde ich jetzt tun und dann würde ich hier einfach verschwinden und die Sache wäre für mich abgehakt. „Also das Ganze ist ja gut und schön, aber ich habe nicht..." „Ich denke, das waren gerade eine Menge Informationen, die da auf meine Tochter eingestürmt sind. Die sollten wir jetzt erst einmal sacken lassen", unterbrach Papa mich. „Ja, natürlich, das verstehe ich vollkommen. Am besten Sie melden sich nächste Woche wieder bei mir und dann können wir ja alles Weitere veranlassen. Ich habe jetzt auch gleich meinen nächsten Termin." Wie zur Bestätigung schaute er auch seine Uhr am Handgelenk. Scheinbar verdiente man als Nachlassverwalter auch ziemlich gut, denn sie machte nicht gerade einen billigen Eindruck. Er geleitete uns zu seiner Bürotür und reichte uns jedem noch einmal zum Abschied die Hand.
„Wieso hast du mich nicht ausreden lassen?", fragte ich meinen Vater als wir wieder auf der Straße standen. Das wurmte mich ehrlich gesagt schon die ganze Zeit. Er hatte mich zweimal im entscheidenden Moment unterbrochen. „Weil ich dich und deinen temperamentvollen Sturschädel von früher kenne und bezweifele, dass sich da maßgeblich etwas geändert hat. Du wolltest das Erbe einfach ausschlagen, ohne weiter darüber nachzudenken." Ja, das hatte ich gewollt. Und was war da so verwerflich dran? „Ich will aber das ganze Geld von dieser Frau nicht." „Mein Kind, diese Frau war deine Mutter, auch wenn sie sich oftmals nicht so verhalten hat." Ja, das konnte ich unterschreiben. „Und es steht dort wirklich eine Menge Geld im Raum, das dir als ihre Tochter zusteht. Das solltest du nicht einfach so wegwerfen, weil du denkst ihr damit noch nachträglich eins auszuwischen." Ja, okay. Vielleicht hatte ich den Gedanken, dass sie sich im Grab umdrehte, wenn sie wüsste, dass die größte Enttäuschung ihres Lebens ihr Heiligtum nicht einmal zu schätzen wusste und es einfach in den Gully warf. „Soll ich dir mal was sagen, sie würde es nicht einmal mitbekommen. Dem Einzigen, dem du damit schaden würdest, wärst du und deiner Familie auch. Überlege doch einmal, welche Möglichkeiten du mit dem ganzen Geld deiner Tochter eröffnen könntest." „Geld alleine macht nicht glücklich", platze es aus mir heraus. Ja, da konnte ich ein Lied von singen. Wie oft hatte ich Paula beneidet, die aus einer nicht so begüterten Familie stammte. Aber dafür gab es dort Liebe. Die kostete nämlich nichts und hatte viel mehr Wert als jedes Vermögen dieser Welt. Und genau mit diesem Wert wollte ich meine Tochter großziehen. „Geld alleine macht aber auch nicht unglücklich", gab Luca zu bedenken. „Wenn man es richtig einsetzt, kann man damit sogar eine Menge bewirken." „Dein Freund ist ein schlauer Mann, er hat nämlich recht. Es kommt immer auf den Eigentümer des Geldes an. Und das ist eine Charaktersache wie man damit umgeht. Bei dir habe ich da gar keine Bedenken. Tue mir einen Gefallen und denke noch einmal ganz in Ruhe darüber nach, ehe du eine endgültige Entscheidung triffst." Ich nickte. Den Gefallen konnte ich Papa nicht abschlagen. Und vielleicht hatten er und Luca ja wirklich recht. Es lag nicht an dem Geld, sondern immer an der Person.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt