Kapitel 10

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„Mama, ausslaft!" Espie stand vor mir und rieb sich mit ihren kleinen Händen die Augen. „Wann tommt Weihnatsmann?" Ihre Stimme wechselte von noch leicht verschlafen zu aufgeregt. „Das weiß ich gar nicht. Da müssen wir warten. Aber er kommt bestimmt erst, wenn es dunkel ist. Er hat ja viel zu tun, wenn er zu allen Kindern will." Espie nickte verständnisvoll. „Alle Tinder." Ach dafür könnte ich meinen kleinen Sonnenschein schon wieder knuddeln. Sie war immer ruhig und verständnisvoll. Noch nie hatte sie einen Bockanfall wie andere Kinder. Sie machte es einem unheimlich leicht Mutter zu sein. Ich griff nach der Schere und dem Bastelpapier, um es wieder in den Schrank zu legen. Ich hatte die Zeit, in der Espie geschlafen hatte und Luca unterwegs war, genutzt, um für ihn einen Gutschein als Geschenk zu basteln. Irgendwie fand ich es blöd keines für ihn zu haben, wenn er schon Weihnachten mit uns feierte und da ich keine Möglichkeit hatte eins zu besorgen, war mir die Idee mit dem Gutschein gekommen. „Eisbahn." Espie schaute mein Werk, das noch auf dem Tisch lag mir großen Augen an. Okay, ein Gutschein für das Bahnticket nach Bochum war jetzt nicht der großartigste Einfall, aber so abgebrannt wie Luca wirkte, würde er ihn wenigstens davon abhalten zu trampen. „Ja, der ist für Luca, damit er mit der Eisenbahn nach Hause fahren kann", erklärte ich meinem kleinen Sonnenschein, in dessen Gesicht spontan Gewitterwolken aufzogen. „Nein!" Sie schüttelte wild von Empörung getrieben den Kopf. „Luda bleiben!" „Ja, heute bleibt Luca!", beruhigte ich sie und steckte mein Werk schnell in den Umschlag, auf den ich schon Lucas Namen geschrieben hatte und lief zum Weihnachtsbaum, um ihn darunter zu deponieren. Scheinbar keinen Moment zu früh, denn ich hörte wie der Schlüssel in das Schloss geschoben wurde. Dann war unser Gast wohl auch zurück. „Dada, Luda!" Meine Tochter sprintete begeistert los und brachte den großen Mann vor ihr gehörig ins Stolpern als sie ihre kleinen Arme um seine Beine krallte. Geschickt fing er sich aber noch ab und ließ nicht einmal die Einkaufstüte fallen, die er im Arm hielt. „Wow, mit so einem stürmischen Empfang hatte ich gar nicht gerechnet." Ein breites Grinsen tauchte in seinem Gesicht auf. Die beiden Grübchen, die sich dabei in seinen Wangen bildeten, gaben ihm ein unglaublich sympathisches Aussehen in diesem Moment. Seine Haare hatte er wieder in einem kleinen Zopf gebändigt. „Das mich eine Frau fast von den Füssen reißt, ist mir schon lange nicht mehr passiert." Das Lächeln verschwand bei diesem Satz wieder aus seinem Gesicht und wich einem Ausdruck, den ich eher als enttäuscht oder desillusioniert bezeichnen würde. Was war da bitte in Costa Rica passiert? Er war doch so glücklich mit seiner Freundin dorthin gestartet. Wo war seine Freundin überhaupt abgeblieben und wieso war er so überstürzt nach Dortmund zurückgekehrt? Gerade vor Weihnachten? Also sicher musste ich kein Gehirnakrobat sein, um herauszufinden, dass da wohl etwas in der Beziehung schief gelaufen war. Aber was konnte so schlimm sein, dass man alles, was man geplant hatte, so einfach auf den Kopf stellte? War das eine ehrliche Frage? Gerade ich sollte die nicht stellen....

„Du bist so süß!" Der Mann neben mir lächelte mich gewinnend an. Obwohl, konnte ich da schon Mann sagen? Ja, doch das konnte ich. Er war ja immerhin schon Student. Also war er mindestens fünf Jahre älter als ich. „Wie alt bist du eigentlich?", schoss es mir aus dem Mund. Mama würde mal wieder empört den Kopf schütteln, weil ich die Frage so direkt stellte. „Ich bin 23. Wieso?" Ich zuckte mit den Schultern. „Ach nur so. Hat mich halt interessiert." Ihn schien mein Alter nicht weiter zu interessieren, wie ich erleichtert feststellte, denn 15 wäre bestimmt für ihn sofort ein Fluchtgrund gewesen. Und das wollte ich auf keinen Fall. „Was studierst du denn?" Scheinbar hatte ich heute einen unglaublichen Informationsbedarf. „Bauingenieurswesen. Und du?" Ups, er hielt mich wirklich für eine Studentin. Okay, so abwegig war das gar nicht, schließlich waren wir hier an der Universität. „Ähm Mathematik." Das war ja nicht einmal gelogen, denn Papa hatte dafür gesorgt, dass ich in den Ferien und auch so mit ein paar Wochenstunden bereits einen Vorbereitungskurs an der Uni belegen konnte, damit ich dann nach meinem Abitur in zwei Jahren schon ein wenig Vorlauf beim Studium hatte, da ich mir die Kurse anerkennen lassen konnte. Gleichzeitig half mir das natürlich auch in der Schule für meinen anvisierten Matheleistungskurs. Ein anderes Fach würde da ja auf keinen Fall in Frage kommen. Auch, wenn ich Kunst und Sprachen bevorzugt hätte, wollte ich ja nicht, dass Papa enttäuscht war. Also stand Mathematik als Leistungsfach fest. Das Gesicht meines Gegenüber verzog sich anerkennend. „Wow, da hast du dir ja nicht gerade etwas Leichtes ausgesucht. Da kannst du mir bestimmt helfen, wenn ich Probleme bei meinen Berechnungen habe." Natürlich nickte ich sofort. Das würde ich bestimmt hinbekommen und wenn ich meinen Papa als Resource anzapfen musste. „Sehen wir uns morgen hier wieder?" Natürlich nickte ich sofort. Hätte ich gewusst, wie sehr mein Leben durch diese Zustimmung aus den Bahnen geworfen werden würde und welche Folgen das Ganze für mein weiteres Leben hätte, hätte ich mich damit wahrscheinlich zurückgehalten. Aber so war das manchmal, etwas was völlig harmlos wirkte, hatte auf den Betroffenen eine alles verändernde Auswirkung.

„Dada, Luda Weihnatsmann sehn?" Espie schaute unseren Gast hoffnungsvoll an. Und wieder tauchte das hübsche Grinsen in seinem Gesicht auf. „Ja, ich habe seinen Schlitten schon ein paar Straßen weiter gesehen." Meine Tochter begann zu strahlen und lief zur Balkontür, um einen langen Hals zu machen. „Was hast du da überhaupt gekauft?" Ich deutet auf die Einkaufstüte, die er immer noch in seinem Arm hielt. „Ja Himmiarsch, das hätte ich ja fast vergessen. Mach mal schnell die Tiefkühlung auf, ehe das Eis völlig auftaut." „Eis?" Er nickte entschlossen. „Ja klar, abends gehört doch ein leckeres weihnachtliches Zimteis dazu, wenn man sich die Geschenke anschaut und ausprobiert. Genau wie der Kinderpunsch und die Lebkuchen. Ich habe doch gesehen, dass wir die nicht da haben. Wie sollen wir denn da den Weihnachtsmann abfüttern." Eigentlich sollte ich über das Wir sauer sein, schließlich war er nur unser Gast und nicht der Hausherr hier. Aber so wie er schaute, fiel er es mir schwer, etwas anderes als ein Lachen herauszubringen. „Sonnenscheinchen, komm wir ziehen uns an und gehen mal schauen, ob wir auch den Schlitten vom Weihnachtsmann finden." Irgendwie wurde es ja langsam Zeit, dass ich meine kleine Espie aus der Wohnung lockte, damit Luca dann die Geschenke unter den Weihnachtsbaum legen konnte......und die Lebkuchen und den Fruchtpunsch dazustellte, damit der Weihnachtsmann sich selbst bedienen konnte. Bei dem Gedanken musste ich schon wieder lachen.....

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt