Kapitel 49

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Ich öffnete meine Augen ganz langsam. Wo war ich? Warum hatte ich das Gefühl, mein Körper wäre durch einen Fleischwolf gedreht worden oder ich wäre unter eine Planierraupe gekommen? Mein Schädel fühlte sich an, als würde er gleich platzen. „Sag mal, bist du total bescheuert?" Ich blickte in die Richtung, aus der Paulas Stimme zu mir drang. Meine Freundin schaute mich sauer an. Erst jetzt erkannte ich, dass ich scheinbar in einem Krankenhaus war, kein Mensch hatte bei sich zu Hause freiwillig diese kalten weißen Wände. Aber was machte ich hier im Krankenhaus? „Wa....was?" Man, warum fiel es mir so schwer zu sprechen? Und warum hörte sich meine Stimme so krächzend an? „Was passiert ist, willst du wissen?" Paula war von dem Stuhl aufgesprungen, auf dem sie gesessen hatte und stand wie ein kleiner Racheengel vor meinem Bett. Ich nickte nur kleinlaut. Ja, wenn ich ehrlich war, hatte ich genau das fragen wollen, denn scheinbar hatte ich einen totalen Filmriss. Ich wusste weder wie ich ins Krankenhaus gekommen war, noch warum. „Du bist von einem Auto angefahren worden, weil du dir irgendwelchen Scheiß eingeworfen hast und über die Straße getorkelt bist. Laut Zeugen hatte der Autofahrer nicht einmal eine Chance dir auszuweichen." Ich musste schlucken. So langsam tauchten aber wieder Bruchstücken meiner Erinnerung auf. Ich hatte gestern im Club ordentlich Pillen verkauft und dann waren auch welche für mich herausgesprungen. Ich hatte noch wild getanzt. Ja, daran konnte ich mich erinnern. Da war diese Gruppe mit jungen Kerlen, die den Geburtstag von einem ihrer Kumpels gefeiert hatten. Und dann....dann war aber auch schon Ende mit dem, an was ich mich erinnern konnte. „Was hast du überhaupt in Meerbusch gemacht?" Meerbusch? Nee, ich war in einem Club in der City gewesen. Ich zuckte mit den Schultern und fuhr zusammen, weil mich ein fürchterlicher Schmerz durchzuckte. „Du hast jede Menge Prellungen am Körper. Aber du hast Glück gehabt, dass nicht mehr passiert ist." Ich nickte, aber ganz vorsichtig. An der Tür klopfte es kurz, ehe sie geöffnet wurde und ein Mann und eine Frau in meinem Alter eintraten, die ich nicht kannte. Da sie keine weißen Sachen trugen, ging ich davon aus, dass es keine Ärzte waren. „Oh, da kommen wir ja genau richtig", lächelte die Frau. „Ich bin Hauptkommissarin Bölter und das ist mein Kollege Hauptkommissar Zettel. Wir sind hier, um Ihnen ein paar Fragen zu stellen." Mein Herz begann zu rasen. Polizei! Hatten sie etwa Zeugen gefunden, die mich als Drogendealer verpfiffen hatten? Scheiße, ich wollte nicht in den Knast. „Können Sie sich erinnern, was vor dem Unfall passiert ist?" Ich schüttelte vorsichtig den Kopf. Ich würde mich einfach auf fehlende Erinnerung berufen, dann konnte ich mich nicht verquatschen und sie mussten mir erst einmal etwas nachweisen. „Okay, das war fast zu befürchten. In ihrem Blut wurde eine ziemliche Menge an Ecstasy gefunden. Dazu kommt dann noch das liquid Ecstasy, auch als  K.O. Tropfen bekannt. Da wollte Sie jemand wohl unbedingt wehrlos machen." Ich musste schlucken. Okay, die Pillen, die hatte ich ja selbst eingeworfen, aber.....warum? „So wie ich dem Krankenhausbericht entnehmen konnte, muss es vor dem Unfall zum Geschlechtsverkehr gekommen sein. Können Sie mir sagen, ob das einvernehmlich war?" Ich schüttelte den Kopf. „Also nicht einvernehmlich?" Nein, ich konnte nicht sagen, ob ich das gewollt hatte oder nicht. Mir fehlte da jede Erinnerung. „Sie meinen meine Freundin wurde vergewaltigt?" Paula schaute schockiert zu der Polizistin, die leicht nickte. „Die Vermutung liegt nahe. Wissen Sie überhaupt, wie Sie an den Unfallort gelangt sind?" Ich schüttelte wieder den Kopf. „Ich lasse Ihnen meine Karte hier." Die Kommissarin legte eine Visitenkarte auf den Nachttisch neben meinem Bett. „Falls Ihnen doch noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte. Wir ermitteln erst einmal gegen Unbekannt." Diesmal nickte ich. Und atmete erst einmal erleichtert durch. Unbekannt war nicht ich. Und die Polizei hielt mich für das Opfer und nicht den Täter. Das war gut. Noch tiefer atmete ich durch, als die beiden mein Zimmer wieder verlassen hatten.  „Menschenskind, Genia. Weißt du, was ich mir für Sorgen gemacht habe, als der Anruf kam, dass du im Krankenhaus bist?" Paula beugte sich zu mir und legte ihre Arme um mich. „Du kannst doch nicht so einen Scheiß machen. Hast du denn gar nicht gemerkt, dass man dir so Zeug untergejubelt hat?
Wenn du hier entlassen wirst, dann kommst du erst einmal zu uns und ich päppele dich wieder auf. Jetzt ist erst einmal Schluss mit diesen dämlichen Partys!" Eine Welle der Dankbarkeit überrollte mich. Was würde ich nur ohne Paula machen....

Verflucht, wo war Luca bloß? Sonst ging er doch nie weg, ohne sich zu verabschieden und Bescheid zu geben, wo er hin wollte. Ich schaute auf die Uhr. Es war schon ziemlich spät. Okay, es war Freitag. In seinem Alter war ich um die Zeit auch irgendwo feiern, aber.....nichts aber, er war jung und erwachsen genug, dass ich mir keine Sorgen machen musste. Trotzdem machte ich sie mir doch. Total in Gedanken hatte ich das Sofa ausgeklappt und mein Bett gemacht. Ich kuschelte mich in mein Kopfkissen und Deckbett und schloss die Augen. Was hatte er vorhin gesagt? Ich ließ seine Worte Revue passieren. Ihn interessierte nur eine Frau und ich hatte auf Leonie geschlossen. Darauf war er richtig wütend geworden und hatte mir unterstellt, dass ich ihn nicht wollte und daraus keinen Hehl machte. Aber das stimmte doch so überhaupt nicht. Ich mochte Luca wirklich gerne.....ja, das musste ich mir schon eingestehen. Vielleicht mochte ich ihn sogar etwas zu gerne...auf alle Fälle für einen Mitbewohner. Scheinbar weckte er in mir wohl so etwas wie meinen Mutterinstinkt. Etwas anderes konnte es ja nicht sein. Das wäre ja total albern bei dem Altersunterschied. Anders konnte er es doch eigentlich auch nicht sehen. Und dann fielen mir wieder die anderen Sachen ein, die er von sich gegeben hatte. Hatte Leonie wirklich einfach ohne sein Wissen abgetrieben? Das war.....das war ein Ding der Unmöglichkeit.....das war ja genauso heftig wie meine Mutter, die mir einfach meine Carmen weggenommen hatte......verflucht, wo war Luca nur? Ich musste unbedingt mit ihm reden. Mein Griff ging zu meinem Handy. Sollte ich ihn einfach anrufen? Besser wäre es, dann würde ich mir nicht weiter Sorgen machen müssen, dass ihm etwas zugestoßen war oder er eine Dummheit anstellte.....Aber irgendwie wirkte es doch dann auch, als wollte ich ihn kontrollieren. Zögernd legte ich mein Handy wieder zurück. Vielleicht sollte ich doch.....das Schließen an der Tür rettete mich vor einer Entscheidung und ließ mich gleichzeitig erleichtert aufatmen.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt