Die Feiertage waren vorüber und heute stand wieder mein erster Arbeitstag an. Klar konnte ich als Übersetzerin auch vieles aus dem Homeoffice erledigen, was mir als alleinerziehende Mutter mit meiner kleinen Espi sehr zu gute kam, aber mindestens zweimal die Woche musste ich auch ins Büro. So wie heute zum Beispiel. „Sonnenscheinchen, könntest du bitte etwas schneller essen! Wir müssen uns ein wenig beeilen." Meine Tochter nickte und biss einen Minihappen von ihrer Apfelspalte ab. Wenn sie in dem Tempo weiter as, dann waren wir zum Mittagessen noch nicht einmal in der Kita. Ich schaute zur Uhr an meinem Handgelenk. Mist, die Zeit war echt schon ziemlich knapp. Selbst wenn ich ordentlich in die Pedale trat, würde ich es wahrscheinlich kaum pünktlich schaffen. Aber ich wollte die Kleine auch nicht noch mehr hetzen und mit leeren Magen in die Kita bringen. Dann musste ich mir halt eine Ausrede einfallen lassen, warum ich zu spät zu der Besprechung erschien. Okay, es war ja auch keine lebenswichtige Besprechung. Es ging ja nur um die Arbeitsplanung und -verteilung für die nächsten Wochen. Also eine rein organisatorische Besprechung, versuchte ich mich selbst zu beruhigen. „Luda!", quietschte Espie auf und begann zu strahlen. „Guten Morgen, Spatzl." Er lächelte sie trotz seines leicht verschlafenen Gesichtsausdrucks freundlich an. Mein Griff ging in den Schrank zu einer Tasse und dann zur Kaffeemaschine. Wie gut, dass ich den ganzen Kaffee noch nicht ausgetrunken hatte. „Bitte." Ich reichte ihm die gefüllte Tasse. „Oder brauchst du ihn intravenös?" Grinsend schüttelte er den Kopf und schob mit seiner freien Hand ein paar seiner langen lockigen Haarsträhnen hinter sein Ohr. „Nee, passt schon als SOS Wiederbelebung. Ich habe gestern Abend einfach ein bisschen zu lange auf Netflix gehangen. Diese neue Fantasy Serie ist aber auch fesselnd. Die solltest du auch mal antesten." Ich musste grinsen. „Wenn ich jemals dafür Zeit finde und nicht schon bei den wunderbar animierten Kleinkinderserien einschlafe, könnte ich das tun. Sonnenschein, vergiss bitte nicht weiter zu essen." Ich schaute zu meiner Tochter, die immer noch fast die komplette Apfelspalte in der Hand hielt und stattdessen Luca fasziniert anstarrte. Also so wurde das alles nichts. Dann musste ich ihr wohl doch Beine machen. Da half ja alles nichts. „Los, Espie. Wir müssen gleich los. Bitte beeile dich!" Ich schaute wieder zur Uhr an meinem Handgelenk. Mist, die Besprechung begann in nicht einmal einer Stunde. Das würde ich ja nicht einmal mit ein bisschen Verspätung schaffen, sondern höchsten mit einer ziemlich heftigen. „Wann musst du denn auf deiner Arbeit sein?" Luca hatte meinen verzweifelten Blick wohl bemerkt. „In fünfundvierzig Minuten wäre gut", stöhnte ich. „Na dann hau ab!" Ich schaute ihn verwirrt an. „Wie, ich soll abhauen? Und wie stellst du dir das vor? Soll ich Espie hier sitzen lassen? Ich muss sie ja wohl erst noch in die Kita bringen." Luca schüttelte den Kopf. „Nee, du machst dich auf den Weg zur Arbeit und ich füttere das Spatzl noch ab und bringe sie dann in die Kita." Das...das war prima....aber.... „Du weißt doch gar nicht in welchen Kindergarten und die kennen dich doch da gar nicht." Luca stieß ein Lachen aus. „Wie wäre es, wenn du mir die Adresse aufschreibst. Ich bin mir sicher, dass mir Espie schon den Weg zeigen kann. Und zusätzlich kannst du mir ja so einen Genehmigungswisch mitgeben. Den hatte ich bei Carmen auch immer." Okay, das klang gut. Ich lief schnell ins Wohnzimmer und begann zu schreiben...„So, dann wären wir ja mit allen wichtigen Punkten durch." Mein Vorgesetzter schaute mich zufrieden an. „Bekommen Sie das mit der Abendveranstaltung mit Ihrer Kleinen geregelt?" Ja, in der übernächsten Woche stand so eine internationale Veranstaltung beim Wirtschaftsverband an. Ich nickte schnell. „Ja, kein Problem." Das hoffte ich zumindest. Aber Leokardia würde bestimmt den einen Abend auf Espie aufpassen. Da hatte es noch nie Probleme gegeben. Ja, da hatte sie aber auch noch in der Wohnung über mir gewohnt und keine zwei Kinder gehabt, schoss es mir durch den Kopf. „Das ist ja prima! So, dann muss ich auch zu meinem Termin. Wir sehen uns dann am Freitag und bereiten Sie bitte die ganzen Unterlagen bis dahin vor. Also bis dann!" Wir reichten uns die Hände und mein Vorgesetzter verschwand flott aus dem Besprechungsraum. Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und schaute auf die Wanduhr. Es war noch nicht einmal Mittag. Wenn ich mir hier einen Schreibtisch schnappte, konnte ich gleich schon schnell etwas abarbeiten und hatte dann heute nachmittag Zeit etwas mit Espie zu unternehmen......vielleicht einen kleinen Ausflug zu ihrem Lieblingsspielplatz. Der Schnee war ja langsam wieder weggeschmolzen. Ja, das würde ihr bestimmt Freude machen, wenn wir einen kleinen Abstecher auf unserem Nachhauseweg machten....
Mist, ich hatte völlig die Zeit vergessen. Eigentlich hatte ich schon längst auf dem Weg in die Kita sein wollen. Das Piepsen meines Handys zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Eine Nachricht von Luca. „Ich hole Espie aus der Kita ab. Wir gehen noch auf den Spielplatz am Wäldchen." Ich spürte ein leichtes Grummeln in mir aufsteigen. Was bildete er sich eigentlich ein, das einfach so zu entscheiden. Das war meine Tochter und nicht seine... und die Idee mit dem Spielplatz war auch eigentlich meine gewesen. Das Grummeln in mir wurde immer stärker. Ich ließ mir doch nicht noch einmal mein Kind wegnehmen. Nee, das kam ja überhaupt nicht in die Tüte. Espie gehörte zu mir und wenn jemand mit ihr auf den Spielplatz ging, dann war ich das. Ich sprang auf und schnappte mir meine Tasche, ehe ich aus dem Büro dampfte. Ja, dampfen passte ziemlich gut, denn mein anfängliches Grummeln hatte sich in ein wutschnaubendes Dampfen verwandelt als ich mich auf mein Fahrrad schmiss und wütend in die Pedale trat. Der liebe Luca würde gleich von mir eine richtige Ansage bekommen....
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Schuss und Treffer - zum Comeback ✔️ Teil 12
RomansaGenia hat in ihrem Leben schon viele Höhen, aber noch viel mehr Tiefen gesehen. Und wer in seinem Leben schon auf dem Tiefpunkt war, der will nur noch in eine Richtung - nach oben - aber nicht mehr um jeden Preis, denn da gibt es auch noch ein klein...