Kapitel 119

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Ich spürte, wie mir meine Arme langsam lahm wurden und versuchte schnell meinen ersten Fuß auf die Leiter zu bekommen. Manno, warum schaukelte das denn auf einmal so stark? Ich startete meinen nächsten Versuch, aber wieder hatte eine diesmal ziemlich starke Welle etwas dagegen und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Ein kurzer Schmerz durchzuckte mich und mein Bein brannte wie Feuer. Was war denn das? Luca tauchte vor mir auf und griff nach meinem Arm. Mit Schwung zog er mich an Bord. „Bist du total damisch?", funkelte er mich wütend an. „Du konnst do ned einfach so in des Wasser einihupfen." Ja, er war definitiv wütend, wenn er bayrisch sprach. Und was sollte das bitte? „Hör auf mich hier so anzupflaumen. Ich musste das Kind da rausholen oder sollte ich es ertrinken lassen? Und die magische Hand Gottes hätte die Kleine bestimmt auch nicht ins Boot plumpsen lassen." Wütend konnte ich auch. „Hast du schon einmal gehört, das Eigensicherung an erster Stelle kommt?" Na wenigstens sprach er wieder hochdeutsch. „Ja, aber dann wäre es vielleicht zu spät gewesen, du Idiot." Wo kamen wir denn da hin, wenn ich mich dafür rechtfertigen musste, dass ich einem Kind das Leben gerettet hatte! „Und wenn du auf einen Felsen unter Wasser geknallt wärst? Manche sieht man nämlich nicht. Oder dich die Strömung erwischt hätte? Wem hättest du dann geholfen? Wie hätte ich das Espie erklären sollen?" Ich musste schlucken. In dem Moment hatte ich wirklich nicht an die Gefahren und meine Verantwortung gegenüber meiner Tochter gedacht, sondern nur reagiert. Mir wurde ganz flau im Magen. Ich hörte ein Schluchzen hinter uns. „Wir klären das später noch." Scheinbar hatte Luca es auch gehört. „Du kümmerst dich um die Kleine und ich sehe zu, dass ich uns so schnell wie möglich von den Felsen wegbringe, ehe das Boot schaden nimmt." Als Luca sich wieder auf den einen der Sitze schwang, stellte ich erschrocken fest, dass wirklich nicht mehr viel fehlte bis die Wellen uns da randrückten. „Me llamo Genia. Y tu?", wandte ich mich an das Mädchen vor mir, das immer noch unterdrückt schluchzte. Da sie dunkle Haare hatte, vermutete ich, dass sie Spanierin war. Wahrscheinlich lebte sie hier auf Ibiza, sonst wäre sie hier bestimmt nicht alleine, sondern mit ihren Eltern unterwegs gewesen. „Sprech...do you spea...speak ...." „Du bist Deutsche?", stellte ich überrascht fest. „Hallo, ich bin Genia. Und wie heißt du?" Ich strich ihr beruhigend mit meiner Hand über den Rücken und spürte, wie sie sich langsam etwas entspannte. „Ich.....ich hei......heiße Julia", schniefte sie immer noch leicht. „Ich.....ich hatte solche Angst." Wieder liefen ihr dicke Tränen über die Wangen. „Da....danke, dass Sie mich......mich gerettet ha....haben." Da brauchte wohl jemand ganz dringend eine Umarmung. Ich legte meinen Arm um ihre Schulter und zog sie an mich. Ich spürte wie das Schluchzen langsam aufhörte. Mein Blick ging zu Luca, der kräftig in die Pedale trat. „Schaffst du es alleine?" Ich würde die Kleine ungern hier alleine sitzen lassen, aber wenn wir nicht zurück in die Bucht kamen, war ja auch niemandem geholfen. „Klaro, bleib du bei der Maus. Geht es ihr gut?" Verflucht, in der Aufregung hatte ich ganz vergessen sie zu fragen, ob sie sich irgendwie weh getan hatte. „Hast du dich irgendwo verletzt?" Sie schüttelte sofort ihren dunklen Haarschopf.  „Nein, mir tun nur die Beine von dem vielen Strampeln weh." „Wie bist du überhaupt dort hingekommen?" „Ich habe geschnorchelt und dann habe ich da einen kleinen Oktopus im Seegras entdeckt und dann ist der los geschwommen und ich habe ihn verfolgt. Der war total süß." Ihre Augen glitzerten richtig vor Begeisterung. Hast du schon einmal einen echten Oktopus gesehen?" Ich schüttelte den Kopf. „Leider nur im Aquarium aber noch nie in freier Wildbahn." Ich konnte ja ihre Faszination irgendwie verstehen. „Und wo sind deine Flossen und dein Schnorchel?" „Den Schnorchel habe ich mir abgezogen und dann war da so eine blöde Welle und die Flossen sind mir von den Füssen gerutscht als ich so gestrampelt habe." Sie schlug sich die Hand vor den Mund. „Mist, Papa und Mama werden bestimmt mit mir schimpfen, weil ich das verloren habe." Also ehrlich gesagt vermutete ich eher, dass die Eltern heilfroh waren, wenn die Kleine unversehrt bei ihnen zurück war. Auch wenn ich davon ausging, dass sie bestimmt auch ein ernstes Wörtchen mit ihr reden würden. Ich würde es jedenfalls tun. „Das glaube ich nicht", versuchte ich die Kleine erst einmal zu beruhigen. Wenn ich da etwas anderes feststellen würde, würde ich mit den beiden Klartext reden. Schließlich hatten sie ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt. „Wo sind denn deine Eltern?" „In der Bucht mit dem komischen Felsen." Sie schaute hoch. „Ich glaube dem da." Sie deutete auf den Fingerzeig Gottes. Lachhaft, auf den Kerl war echt kein Verlass, oder warum hätte er sonst ein Kind so alleine in Gefahr gebracht. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was der Kleinen passiert wäre, wenn wir sie nicht durch Zufall entdeckt hätten. „Dann sind wir gleich zurück." Luca bog gerade um den Felsen. Uns kamen diverse Jetskis entgegen und brachten das Tretboot heftig ins Schaukeln. „Verflucht, was sind das denn für Idioten!" Ich krallte mich mit einem Arm an der Reling fest und mit dem anderen umklammerte ich die kleine Julia. Obwohl so ganz klein war sie ja auch nicht mehr. „Wie alt bist du eigentlich?" „Ich bin gerade elf geworden." In ihrem Gesicht tauchte ein stolzes Lächeln auf.  „Oha! Es sieht so aus als würde da schon jemand gesucht." Luca deutete zum Strand, wo ein wahrer Menschenauflauf  rund um ein paar Einsatzfahrzeuge der Polizei war. Dort stand auch ein Krankenwagen.  Mehrere Motorboote kamen uns entgegen. Ich sprang auf und winkte wild mit meinen Armen, um auf uns aufmerksam zu machen. Einige der Leute schienen das zu bemerken, denn sie liefen ins Wasser und halfen das Tretboot an Land zu ziehen. Julia und ich sprangen auch vom Boot in das flache Wasser. Verflucht! Warum brannte denn mein Bein so? Ich schob die Kleine zum Strand und sie rannte sofort zu einer Frau, die uns den Rücken zugewandt hatte und mit einem Rettungsschwimmer sprach. Die Frau schlang ihre Arme um das Mädchen und versenkte schluchzend ihren Kopf in den Haaren des Kindes „Julia ich hatte so eine Angst um dich", hörte ich von weitem. Ich wandte mich ab und lief zu Luca, der bereits mit einem Polizisten auf spanisch sprach und ihm schilderte, wo wir die Kleine gefunden hatten. Ich gesellte mich zu den beiden und schlang meinen Arm um Lucas Taille. Sofort legte er auch seinen Arm um meine Schulter und ich spürte wie die ganze Aufregung von mir abfiel. „Sie sind ja verletzt." Der Polizist deutete zu meinem Bein. Tatsache, da war eine ziemliche blutende Schnittwunde. „Sie müssen ins Krankenhaus. Das muss versorgt werden." Ja, und dann ging alles ganz schnell und ich saß in einer Ambulanz und wurde weggefahren. So ein Mist, verfluchter. So hatte ich mir den Ausklang des Tages bestimmt nicht vorgestellt. Was wurde denn jetzt aus dem Sonnenuntergang und den Trommlern.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt