Kapitel 75

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„Ich glaube, du unterschätzt deinen Sohn ganz schön, denn ich würde bestreiten, dass er mir unterlegen ist. Das Jahr in Costa Rica hat ihn ziemlich reifen lassen. Außerdem, was heißt unterlegen? Wir befinden uns ja nicht in einem Kampf, sondern in einer Partnerschaft. Und da sollte man sich generell auf Augenhöhe begegnen. Oder ist das bei Leon und dir nicht so?" Die letzte Frage konnte ich mir nicht verkneifen. Wieso ging alle Welt immer davon aus, dass nur Gleichaltrige sich auch gleichberechtigt verhielten und dass der Jüngere immer der Unterlegene war? Das war doch totaler Blödsinn. So etwas war doch auch vom Charakter abhängig. Wenn ich einen durchsetzungsstarken jungen Menschen hatte und einen unterwürfigen älteren, konnte es doch genauso andersherum sein. Und bei Luca und mir sah ich uns durchaus auf Augenhöhe. „Manchmal sieht Leon keinen Stich gegen mich", grinste Lisa „Aber zugeben würde er das nie, noch nicht einmal einsehen. Du weißt schon, wer das eigentlich wirklich starke Geschlecht ist?" Ich musste ein Schmunzeln unterdrücken. Was Leon wohl dazu sagen würde? „Trotzdem musst du mich auch verstehen. Ich mache mir halt Sorgen um meinen Buam. Er hat bis jetzt einfach so viel Pech in der Liebe gehabt. Und ich wünsche mir einfach eine glückliche Partnerschaft für ihn." Sie machte eine kurze Pause und ich fragte mich, warum sie sich die nicht mit mir vorstellen konnte. „So eine mit allem drum und dran." Wieder stockte sie. „Luca wird sich mit Sicherheit irgendwann Kinder wünschen. Also eigene, auch wenn Espie total süß ist und ich weiß, dass sie ihn anhimmelt. Trotzdem wird irgendwann der Wunsch in ihm wachsen. Da bin ich mir ganz sicher. Und bitte nimm es mir nicht übel, aber bei dir zeigt die biologische Uhr schon fünf vor zwölf. Kannst du nicht verstehen, dass ich da einfach Angst habe, dass mein Sohn nie wirklich das Leben leben können wird, dass ihm möglich wäre.....dass er sich immer irgendwie einschränken und auf etwas verzichten muss. Und was ist, wenn das sogar alles mit euch funktioniert? In fünfzig Jahren steht er dann vielleicht alleine da." „Also eine Garantie auf ewiges Glück und einen gemeinsamen Tod gibt es ja nie", platzte es aus mir heraus. „Es gibt auch genügend gleichaltrige Paare, wo dann der eine Partner schon viel früher stirbt." Das war ja nunmal ein echt lächerliches Argument. Aber ich musste zugeben, dass mir die Sache mit dem eigenen Kind auch schon so manches Mal Kopfzerbrechen bereitet hatte. Natürlich hatte ich die Befürchtung, dass Luca irgendwann diesen Wunsch hatte und ich ihm diesen einfach nicht erfüllen konnte, weil es die Natur nicht mehr zuließ. Und jetzt, wo es die Natur noch zuließ, war so etwas einfach zu früh und er viel zu jung dafür. Außerdem war ich mir auch selbst nicht sicher, ob ich überhaupt noch ein Kind haben wollte. Schließlich hatte ich Espie, der ich alles geben wollte. Manchmal sollte man sein Glück einfach auch nicht überstrapazieren. „Da hast du natürlich Recht, aber du musst auch meine Sorgen verstehen." Ich nickte. Irgendwie tat ich das sogar. „Nichtsdestotrotz muss ich dir die eigentlich wichtigste Frage stellen, die mich als Mutter beschäftigt. Liebst du Luca wirklich? Kannst du dir vorstellen, mit ihm alt und grau zu werden?" Da musste ich nicht lange überlegen. „Ja, ich liebe ihn so, wie ich noch nie jemanden außer Espie geliebt habe." Warum sollte ich daraus ein Geheimnis machen? Es war schließlich die Wahrheit und ich konnte es aus tiefstem Herzen behaupten. „Und das mit dem alt und grau." Ich zuckte mit den Schultern „Das trifft ja jetzt schon auf mich zu. Da musst du dann wohl eher deinen Sohn fragen." Lisa fing an zu lachen und boxte mich gegen den Oberarm. „Du sollst mich gefälligst ernst nehmen." „Das tue ich. Und ich kann auch deine Sorgen verstehen. Es ist ja nicht so, dass ich nicht schon die gleichen Gedanken gehabt hätte. Luca hat es aber geschafft mich davon zu überzeugen, dass wir das schaffen, wenn ich uns eine Chance gebe..." Lisa grinste. „Ja, wenn mein Sohn sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann kann er sehr überzeugend sein." Da konnte ich nicht widersprechen. „Dann werde ich euch wohl auch eine Chance geben müssen." Sie schaute mich ernst an. „Bitte versprich mir aber, dass du ihm und seiner Entwicklung nicht im Weg stehst und ihn nicht verletzt." „Das habe ich nicht vor. Eigentlich will ich ihn gerade davon überzeugen, dass er endlich wieder an die Uni geht." In Lisas Gesicht tauchte ein begeisterter Ausdruck auf. „Und?" Ich zuckte mit den Schultern. „Ich will ihn davon überzeugen, dass er Lehramt studiert. Du müsstest ihn mal sehen, wie er darin aufgeht Espie etwas zu erklären oder letztens als er Carmen bei den Hausaufgaben geholfen hat. Er hat auch schon dem Sohn einer Kollegin Nachhilfe in Mathe gegeben. Eigentlich hatte ich gehofft, dass er dadurch von alleine darauf kommt." „Na, da hat er genauso ein Brett vorm Kopf wie der Leon. Noch dazu, wenn er denkt, er muss euch jetzt versorgen." Lisa klopfte mit ihren beiden Händen auf den Tisch. „Das Problem gehen wir als erstes an. Ich werde dafür sorgen, dass der Unterhalt wieder fließt und er nicht mehr den Fahrradcowboy spielen muss. Und dann lassen wir uns noch was einfallen, wie wir ihn mit der Nase direkt darauf stupsen. Lehramt passt wirklich gut zu ihm, da hast du recht. Ich bin mir sicher, dass er an dem Studiengang auch Spaß hat. Er konnte schon immer den Erklärbären geben. Schon früher bei Lucy. Apropos Lucy, die sollten wir vielleicht mit ins Boot holen. Und Maja, die hat doch auch auf Lehramt studiert." Lisas stockte abrupt und schaute mich unsicher an. „Oder ist Maja ein Problem für dich?" Ich schüttelte den Kopf. „Maja ist zwar Lucas Ex, aber auch eine Freundin von mir. Nein, da brauchst du dir keine Gedanken machen." Lisa fing an zu schmunzeln. „Also so langsam glaube ich, dass so eine ältere Freundin auch Vorteile hat. Die jungen wären sofort vor Eifersucht an die Decke gegangen. So ein bisschen Abgeklärtheit kann echt nicht schaden. Dann haben wir jetzt also einen Plan und der heißt Luca zurück an die Uni." Sie hielt mir ihre Hand zum Einschlagen hin. Ich zögerte  kurz, denn eigentlich wollte ich ja nie wieder etwas hinter Lucas Rücken machen, aber es war ja nur zu seinem Besten, also schlug ich ein.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt