Kapitel 44

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„Gute Nacht, schlaf schön und träum was Süßes, mein Sonnenschein." Ich drückte meiner Tochter einen Kuss auf die Stirn und stopfte ihr Deckbett noch einmal um sie fest. Ihre Augen waren schon nur noch kleine Schlitze und es würde wahrscheinlich nicht einmal mehr eine Minute dauern bis sie im Land der Träume war.  Die mega Geburtstagsfeier heute mit den vielen Kindern war für sie wohl ziemlich aufregend. Aber scheinbar nicht nur für sie, denn ich hörte leichte Poltergeräusche aus der Küche. Für Luca war die Feier heute wohl auch eine ziemliche Herausforderung gewesen. Bis jetzt hatte ich ihn noch nie betrunken erlebt. Eigentlich neigte er eher dazu, immer bei klarem Verstand zu bleiben. Ob es an dem Heiratsantrag von Will lag, der ihn so runterzog? Das war doch aber eigentlich Blödsinn, denn Maja und er waren ja schon eine Weile getrennt und so viel ich wusste sogar wieder gute Freunde. Wieder ertönte ein Poltern. Ich lief in die Küche, um zu schauen, was mein Mitbewohner dort gerade fabrizierte. „Was machst du denn da?" Luca hantierte mit einer Pfanne herum. „Ich mache einen strammen Max. Willst du auch einen strammen Otto oder lieber einen strammen Luca?", kicherte er in meine Richtung. Na wenigstens sprach er nicht mehr Bayrisch. Vielleicht baute sich der erste Alkohol schon ab. Die Hoffnung erlosch, als er ein Ei samt Schale in die Pfanne schlug. Ich musste hier unbedingt einschreiten. Nicht nur, dass das Essen mit Sicherheit nur für den Mülleimer taugte. Nein, ich hatte auch keine Lust, dass hier die Bude abfackelte oder ich meine Tochter wieder wecken musste, weil ich den Kerl wegen irgendwelcher Verbrennungen oder anderen Verletzungen in die Notaufnahme verfrachten musste.  „Du solltest lieber ins Bett gehen", schlug ich also vor. Dort wäre er mit Sicherheit am besten aufgehoben. Luca schüttelte wild seinen Kopf und seine schulterlangen Haare schlugen ihm ins Gesicht. Pustend versuchte er sie wieder dort wegzubekommen. Ehrlich gesagt war das ein ziemlich niedlicher Anblick und ich musste schmunzeln. „Nö, ich habe Hunger." Die vor der Brust verschränkten Arme und der Schmollmund erinnerten mich etwas an Espie, die auch genau diese Position einnahm, wenn sie unzufrieden war. „Dann setz dich an den Tisch. Ich mache dir ein Brot." Ich erntete ein fast zufriedenes Grinsen. „Aber mit Ei drauf!" „Na klar", beruhigte ich ihn, ehe er wieder aufsprang und reinigte erst einmal die Pfanne, ehe ich ein neues Ei darin briet. Vorsichtig ließ ich das Spiegelei auf das Schinkenbrot gleiten und drehte mich um, um den Teller auf den Küchentisch zu stellen. Das war doch nicht wahr. Luca hatte seinen Kopf auf seine Arme gelegt, die auf dem Küchentisch lagen und atmete tief und gleichmäßig. Der Kerl war einfach eingepennt während ich das Essen für ihn zubereitet hatte. Ich schaute auf den Teller in meiner Hand und mein Magen signalisierte mir, dass es eine Schande wäre, wenn ich das Essen nicht selbst verzehrte. Zehn Minuten später schaute ich gesättigt zu Luca, der leise Schnarchgeräusche von sich gab. Auf alle Fälle konnte ich ihn hier nicht die ganze Nacht so sitzen lassen. Nee, das ging auf keinen Fall, sonst hatte er morgen garantiert Rücken. Mit meiner Hand stupste ich ihn leicht an und erntete ein leises Brummen. Ich versuchte es noch einmal. Diesmal war das Brummen schon lauter. Ich war also auf dem richtigen Weg.  „Ab ins Bett, Luca!" unterstützte ich mein noch kräftigeres Stupsen. „Bin aber noch nicht müde, Mama!" Ich konnte ein Glucksen nicht unterdrücken. Ja, genau.....noch nicht müde! „Los jetzt! Du gehst jetzt ins Bett", ließ ich keine Ruhe und stellte begeistert fest, dass das wohl die richtige Ansprache gewesen sein musste, denn er erhob sich ohne Widerspruch und trottete wie ein Schlafwandler los. Erstaunlicherweise fand er auch sein Bett auf Anhieb und ließ sich dort hinein plumpsen. „Hilfst du mir beim Ausziehen und deckst mich zu?" Er schaute mich mit seinen großen braunen Augen bettelnd an. Also ausziehen musste ja nicht sein. Aber gegen zudecken sprach ja nichts. Also schnappte ich mir die Decke von der anderen Betthälfte und breitete sie über ihm aus. „Danke!", grinste er breit. „Und jetzt noch ein Gute-Nacht-Kuss." Der Kerl konnte in dem Zustand ja richtig fordernd sein. Aber wenn er dann wenigstens Ruhe gab. Ich beugte mich zu ihm und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn und ließ den gleichen Spruch wie vor einiger Zeit bei meiner Tochter ab. „Ich träume ganz sicher was Süßes", grinste der Kerl breit vor mir und nickte enthusiastisch. „Ich träume garantiert wieder von dir, mein Spatzl." Okay, er war wirklich total hinüber, wenn er mich schon mit meiner Tochter verwechselte, schließlich nannte er Espie immer Spatzl. „Ich habe dich nämlich tooootaaaal liiieeeebbb!" Ja, das bestätigte meine Theorie noch einmal nachdrücklich. „Hast du mich auch lieb?" Wieder schauten mich diese großen braunen Augen an und erinnerten mich an einen nach Streicheleinheiten bettelnden Welpen. Da blieb ja nur eine Antwort, damit er endlich Ruhe gab. „Natürlich habe ich dich auch lieb." Und ehrlich gesagt war die Antwort ja nicht einmal gelogen, denn irgendwie mochte ich diesen jungen Kerl vor mir.  Sofort tauchte ein zufriedenes Grinsen in seinem Gesicht auf. Okay, dann würde er ja gleich beruhigt wieder einschlafen können und ich konnte mich auch endlich in mein Bett aufmachen. Der Tag heute war ja doch ziemlich lang. Man, würde ich es morgen genießen einfach etwas länger zu schlafen, wenn meine Tochter es denn zuließ. Kleine Kinder schienen einen implantierten Wecker zu haben, der nur am Wochenende funktionierte, aber nicht in der Woche, wenn sie in die Kita mussten. Zwei Hände, die sich um mein Gesicht legten, rissen mich aus meinen Gedanken. Im nächsten Moment spürte ich Lucas warme Lippen, die sich ganz vorsichtig auf meine legten. Noch ehe ich reagieren konnte, löste er sich schon wieder von mir. „Ich hab dich wirklich gaaanz doolll lieeb, Genia." Mit einem Ruck ließ er sich wieder ins Kissen plumpsen und schloss mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht seine Augen, während ich ihn verwirrt anstarrte. Was sollte das? Es fiel mir schwer, zu realisieren, was da gerade passiert war, während Luca bereits fest zu schlafen schien. Jedenfalls deuteten seine gleichmäßigen Atemzüge darauf hin. Luca hatte mich geküsst und mir seine Liebe gestanden. Ja, mir! Denn er hatte Genia und nicht Espie gesagt. Das musste an dem vielen Alkohol gelegen haben, den er sich hinter die Binde gegossen hatte. Genau...so musste es sein. Ich lief beruhigt aus seinem Zimmer. Alles andere wäre ja totaler Blödsinn. Betrunkene und Kinder sagen aber immer die Wahrheit, schoss es mir durch mein Gehirn. Ok, Wahrheit hin oder her.  Wahrscheinlich war das ein Hauch von Mutterkomplex, der da durchgebrochen war. Schließlich war ich 15 Jahre älter als er. Genau, so wird es gewesen sein. Erleichtert machte ich mich daran das Sofa auszuziehen, um endlich auch in mein Bett zu kommen. Ich kuschelte mich in meine Decke und schloss meine Augen. Ich hab dich wirklich gaaanz doolll lieeb, Genia, hallte es durch meinen Kopf. Irgendwie war das total niedlich, wie er das gesagt hatte. Irgendwie mochte ich diesen Kerl da zwei Türen weiter auch. Es war schon immer toll, wie er mit meiner Kleinen umging. Ja, ich mochte ihn als sympathischen und hilfsbereiten Mitbewohner. Alles andere war ja totaler Schwachsinn. Schnell begann ich Schäfchen zu zählen, um diesen Mist aus meinem Gehirn zu verdrängen und endlich einzuschlafen.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt