Kapitel 100

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„Na, Spatzl. Hast du dich immer noch nicht bei ihm gemeldet?", Luca setzte sich neben mich auf die Bettkante, während ich mit meinem Finger über die Visitenkarte meines Vaters strich. Mein Geburtstag war jetzt schon fast eine Woche her und ich hatte es nicht fertig gebracht ihn einfach anzurufen. Warum? Dafür gab es sicher mehrere Gründe. „Ich hatte keine Zeit bis jetzt", schwindelte ich Luca an. Das war mit Sicherheit keiner der wirklichen Gründe, aber.....aber er hatte sich solche Mühe gegeben meinen Vater zu finden, wie sollte ich ihm da erklären, dass........ja, was sollte ich ihm erklären? „Das ist doch Quatsch, für so ein Telefonat findet man immer Zeit, wenn man will. Ich glaube eher, du hast Schiss." Mein Freund legte seinen Arm um meine Schulter und zog mich an sich. Verflucht, er kannte mich echt schon richtig gut. „Wieso hast du das gemerkt?" Luca lachte kurz auf. „Weil du nur so zögerlich bist, wenn dir was nicht geheuer ist. Sonst hättest du wahrscheinlich nicht einmal angerufen, sondern gleich bei ihm auf der Matte gestanden." Luca drückte seine Lippe an meine Schläfe. „Es ist doch total verständlich, dass du zögerst. Nach allem was hinter dir......was hinter euch liegt, bist du erst einmal skeptisch. Du traust deinem Vater einfach noch nicht wieder." Wieso war Luca eigentlich so empathisch? Das würde ihm als Lehrer bestimmt helfen.....und seinen Schülern auch. „Ich will einfach nicht, dass Espie enttäuscht wird, weil er uns wieder fallen lässt." Luca schüttelte seinen Kopf. „Du meinst du willst nicht wieder enttäuscht werden. Espie hat ja erst einmal noch gar keine Bindung zu ihm."
.„Aber sie könnte ganz schnell eine aufbauen, so wie zu deinem Vater", brummte ich. „Ach Spatzl, jetzt versteck dich doch nicht hinter deiner Tochter. Gib doch einfach zu, dass du Angst hast." Natürlich hatte ich Angst, denn wenn ich mich wieder völlig auf meinen Vater einließ, würde es mich wieder verletzen, wenn er mich fallen ließ. Und das würde er unweigerlich tun, wenn ihm meine Mutter auf die Schliche kam. War das so schwer zu verstehen? Ich versuchte doch nur mich selbst zu schützen. Ja, ich musste mein Schutzschild immer schön oben behalten, das war ich meiner kleinen Tochter und mir schuldig. Ich wollte auf keinen Fall, dass sie verletzt wurde oder dass sie mitbekam, wie ich verletzt wurde. Nein, ich wollte für sie eine heile Welt. Aber zu dieser heilen Welt gehörte auch ihr leiblicher Opa. Wieder spürte ich diese Zerrissenheit in mir. „Es ist doch auch völlig verständlich, dass du Angst hast. Schließlich hast du deinen Vater sehr lange nicht gesehen. Und zwischen euch ist viel vorgefallen." Eben! Luca kannte ja nicht einmal einen Bruchteil des ganzen Familiendesasters, das hinter mir lag. Er wusste ja nur, dass meine Eltern und ich miteinander gebrochen hatten. Okay, er wusste auch von Carmen, aber.....ach nichts aber. So ein pfiffiges Kerlchen wie er war, konnte er sich sicher ansatzweise vorstellen, was da alles vorgefallen war. Und sicher konnte er sich auch vorstellen, dass ich das meinen Eltern nie vergeben konnte. Andererseits hatte er natürlich auch immer mitbekommen, dass ich meinen Vater vermisst. Ja, ich vermisste ihn wirklich. Und sein Anblick zu meinem Geburtstag war so....so überwältigend gewesen......und so beängstigend. „Du solltest dich auf alle Fälle wenigstens mit ihm unterhalten, um dir ein Urteil zu bilden, ob das mit euch wieder eine Zukunft hat." Ich schaute Luca erstaunt an. „Du wärst also nicht böse, wenn ich den Kontakt wieder abbreche, weil ich ihm nicht traue?" Luca schüttelte schmunzelnd seinen Kopf „Nein, warum sollte ich?" „Na weil du Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hast, um ihn zu finden." Ein raues Lachen drang aus seiner Kehle. „Also Himmel und Hölle ist was anderes als ein Ermittler, der sich mit Nachhilfestunden für seinen Sohn bezahlen lässt. Das Ganze sollte einfach nur eine Überraschung zu deinem Geburtstag sein, weil ich wusste, dass du ihn vermisst. Aber wenn es nach den Jahren nicht mehr passt, dann passt es nicht mehr. Trotzdem solltest du dir wenigstens erst einmal ein Bild machen, ob das überhaupt so ist. Vielleicht könnt ihr ja auch alles klären und es ist eitel Sonnenschein. Oder eben nicht, dann ist es aber geklärt und du weißt was ist und grübelst nicht über das was wäre wenn nach." Da hatte Luca recht. Ich würde mir so oft die Frage stellen, wie wäre es, wenn mein Vater jetzt hier wäre. Spätestens bei Espies Einschulung würde ich mir diese Frage wieder stellen. Oder bei ihrer Firmung. Oder an ihrem 18. Geburtstag.....oder, oder, oder. Wenn ich jetzt die Chance nicht ergriff, würde ich immer ein schlechtes Gewissen meiner Tochter gegenüber haben, dass ich ihr etwas vorenthielt. Und dass nur, weil ich Angst hatte, enttäuscht und verletzt zu werden. „Aber wenn meine Mutter das mitbekommt, ist das sowieso alles vorbei", schoss mir meine größte Angst dann doch aus dem Mund. Luca schaute mich nachdenklich an. „Ich habe ja nicht viel mit deinem Vater geredet.....also eigentlich habe ich ihn nur zu deinem Geburtstag eingeladen als ich bei ihm in der Uni aufgetaucht bin, aber er war sofort begeistert und hat zugestimmt zu kommen. Ehrlich gesagt, war er sogar ziemlich gerührt und hat sogar ein paar Tränen verdrückt. Ich habe ihn da aber als entschlossenen Mann kennengelernt, den nichts und niemand davon hätte abhalten können zu deinem Geburtstag zu kommen. Vielleicht solltest du ihm ein wenig Vertrauen schenken." Luca verzog sein ernstes Gesicht zu einem frechen Grinsen. „Du wirst es nicht glauben, aber wir Männer sind auch manchmal noch im Alter in der Lage uns weiterzuentwickeln." Vielleicht hatte Luca recht damit. Wenn ich an meinen Geburtstag dachte, hatte mein Vater sich schon verändert. Er war...er war definitiv noch herzlicher als früher. Ja, das war er, wenn ich an das Bild in meinem Kopf von ihm und Espie dachte. Und noch etwas fiel mir bei dem Gedanken auf. Er war auch viel lockerer und sportlicher gekleidet als früher. Damals hätte er nie im Leben Sneaker und Jeans getragen. Dafür hätte schon der Drache gesorgt. Vielleicht hatte er sich wirklich verändert. Das würde ich aber nie herausfinden, wenn ich mich nicht mit ihm traf. Ich hatte jetzt die Chance und die sollte ich auch ergreifen, nur so konnte ich sehen, ob es für uns eine gemeinsame Zukunft gab. Klar konnte ich wieder verletzt werden, aber wenn ich es nicht versuchte, blieb dort auch diese tiefe Narbe und.....und wenn alles gut lief....vielleicht verschwand sie dann ja oder wurde viel kleiner. In mir stieg jede Menge Hoffnung auf. Ja, ich musste es einfach versuchen. Ich griff zu dem Handy auf dem Nachttisch und wählte die Nummer auf der Visitenkarte.....

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt