Kapitel 18

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Ich schaute mich verwirrt um, während ich meine Schultasche neben meinen Schreibtisch stellte. Warum lag da ein Koffer auf meinem Bett? Was war hier los? Das würde ich wahrscheinlich gleich erfahren, denn meine Mutter kam wie ein ICE in Volllast in mein Zimmer gerauscht. Wahrscheinlich hatte sie wieder irgendeine auswärtige Veranstaltung mit der Firma und ich sollte ihren netten, familiären Hintergrund geben. Das kam ja öfter einmal spontan vor. Die wohlerzogene Tochter als Verkaufsargument und Leumund für die Vertrauenswürdigkeit des Unternehmens. Ich verstand zwar bis jetzt nicht den Sinn dahinter, warum Leute sich davon beeinflussen ließen, aber Mama schien fest davon überzeugt zu sein. „Bärbel, du packst deine Sachen ein, die du für die nächsten paar Monate benötigst. Wahrscheinlich werden es ja nicht allzu viele Kleidungsstücke sein, die dir noch lange passen." Sie verzog ihr Gesicht und der Missfallen sprang ihr förmlich aus dem Gesicht. Ich öffnete meinen Mund. Was hieß hier für die nächsten Monate? Bevor ich überhaupt einen Ton herausbringen konnte, fuhr sie bereits fort. „Ich war heute Vormittag bei deinem Rektor und habe bereits alles geklärt. Du wirst ein Auslandsjahr in Belgien machen. Das kommt dann auch deinem Französisch zu gute. Eine Austauschfamilie habe ich auch schon gefunden, die mir noch etwas schuldet und mit deinem delikaten Zustand umgehen kann." Ich schnappte nach Luft. Was sollte das denn heißen? Ich war schwanger und bekam ein Kind der Liebe. Das war doch kein delikater Zustand, sondern mein größtes Glück. „Aber....aber", begann ich. Mama stoppte mich mit einer energischen Handbewegung. „Da gibt es kein aber. Du gehst nach Belgien, ehe hier noch etwas bekannt wird und du uns der Peinlichkeit preisgibst. Dein Rektor war auch damit einverstanden, dass du schon sofort wechselst, da deine Noten ja bis jetzt zum Glück noch nicht gelitten haben und das Schuljahr in drei Wochen sowieso endet." Ich schaute Mama schockiert an. Ich hatte mich schon so auf die großen Ferien gefreut. Mit Paula hatten wir schon Pläne gemacht, was wir alles unternehmen wollten, weil Papa ja immer erst am Ende der Ferien zwei Wochen Urlaub hatte und dann meist mit mir in die Berge zum Wandern fuhr. Mama konnte sich ja nicht einmal da von ihrer Firma trennen und uns begleiten. „Ich will aber nicht weg. Ich will mit Paula meine Ferien zusammen verbringen", wütend stampfte ich mit meinem Fuß auf. Sie konnte mich doch hier nicht einfach so wie einen Schwerverbrecher rauswerfen. „Das Bocken kannst du gleich sein lassen. Diese Paula ist sowieso kein Umgang für dich. Wenn ich nur daran denke unter welchen Umständen sie lebt." Mama schüttelte angewidert ihren Kopf. „Wahrscheinlich hatte sie auch eine Mitschuld an deinem Malheur. Sie hat dich doch mit Sicherheit dazu animiert, dich mit dem Kerl einzulassen. Nicht umsonst ist ihre Mutter alleinerziehend mit zwei Kindern. Bei diesen Asozialen nimmt man das ja nie so genau." Ich musste schlucken. Paulas Mama war alles andere als asozial. Sie war total lieb und nett und kümmerte sich immer um Paula und ihren kleinen Bruder Andreas. Die beiden standen bei ihr immer an erster Stelle. Sie hatte letztens sogar einfach ihre Arbeit verlassen, weil Andreas mit dem Fahrrad gestürzt und ins Krankenhaus gekommen war, und das obwohl sie nicht wie Mama eine eigene Firma hatte, sondern im Supermarkt Wurst und Fleisch verkaufte. Wenn die drei Ausflüge machten, durfte ich auch immer mit. Und in ihrer kleinen Wohnung war es viel gemütlicher als in unserem großen Haus. „Paulas Familie ist nicht asozial", protestierte ich deshalb auch lautstark. „Ich glaube nicht, dass es dir in deinem beschränkten gesellschaftlichen Rahmen schon möglich ist das zu beurteilen. Es wird ganz gut sein, wenn du etwas Abstand zu diesem Pöbel bekommst. Es war mir sowieso noch nie recht, wenn dieses Mädel hier bei uns im Haus war. Wer weiß, was sie schon hat mitgehen lassen, ohne dass wir es bemerkt haben." „Paula klaut nicht", verteidigte ich meine Freundin sofort. „Ist ja auch egal. Das Thema hat sich ja sowieso erst einmal erledigt", winkte Mama ab. „Pack jetzt deine Sachen, wenn Papa aus der Uni kommt, wollen wir losfahren. Ich habe dieses Wochenende schließlich noch mehr zu erledigen als mich um diesen leidigen Kram zu kümmern. Was mich das Gespräch heute Vormittag eigentlich schon mit deinem Rektor an Zeit gekostete hat. Ich musste extra ein wichtiges Meeting verschieben." Sollte ich ihr dafür etwa noch dankbar sein? Ehe ich ihr das an den Kopf werfen konnte, war sie schon wieder aus dem Zimmer gerauscht und ich ließ mich auf mein Bett neben den Koffer plumpsen. Wütend hieb ich mit meiner Hand dagegen.  Ich hörte ein leises Klopfen an den Türpfosten und hob meinen Kopf. „Soll ich dir helfen?" Frau Kowalski stand in der Tür und lächelte mich aufmunternd an. So wie sie es immer tat, wenn Mama gemein zu mir war. „Ich soll für ein Jahr nach Belgien", schniefte ich los. So langsam realisierte ich erst wirklich, was das bedeutete. Mama warf mich aus meinem Elternhaus. Ich würde dort ganz alleine in einem fremden Land bei fremden Leuten sein. Da gab es dann keinen Papa, der sich um mich kümmerte. Oder Paula mit der ich Spaß haben konnte. Und da gab es auch keine Frau Kowalski, die mich tröstete, wenn ich Trost brauchte. So wie jetzt. Unsere Haushälterin setzte sich neben mich und legte ihre Hand auf meine. „Sie wirft mich einfach raus!", setzte ich schluchzend nach. „Ach Mädel, ich weiß. Ich finde es auch nicht schön, wenn du nicht da bist. Um wen soll ich mich denn dann kümmern? Da ist dann keiner, der meine Pfannkuchen mit Blaubeeren verschlingt wie ein reißender Löwe." Ich musste trotz allem grinsen. Ja, ich liebte diese Pfannkuchen. Genau wie Papa. „Doch Papa isst die auch gerne." Frau Kowalski schmunzelte „Da hast du recht. Die waren vielleicht gerade ein schlechtes Beispiel. Du wirst mir auf alle Fälle ganz doll fehlen. Aber vielleicht hat deine Mutter ja recht und es ist unter den Umständen für dich dort leichter deine Schwangerschaft zu erleben. Dort kennt dich keiner und du kannst dich ganz auf dich und das Baby konzentrieren." Ich nickte. Das stimmte schon. In meiner Schule würden sie sich garantiert über mich lustig machen. Sie zogen mich ja so schon immer als Streberleiche und Professorentochter auf. Ja, vielleicht sollte ich das Jahr wirklich nur für mein Baby und mich nutzen. Ich umarmte Frau Kowalski. „Ich werde sie auch ganz doll vermissen.....und nicht nur wegen der Eierkuchen. Vielleicht können Sie mich ja mal besuchen kommen." Frau Kowalski zwinkerte mir zu. „Das lässt sich bestimmt machen. So, und jetzt lass uns packen, bevor deine Mama hier wieder auftaucht." Ich nickte und stand auf. Als erstes mussten meine beiden Schätze in den Koffer. Ich zog meine Nachttischschublade auf. Wieso fehlte da meine Zeitschrift für werdende Mütter? Ich schaute mich suchend um und entdeckte sie im Papierkorb neben dem Schreibtisch. Das musste Mama gewesen sein. Schnell fischte ich sie wieder heraus und glättete sie, ehe ich sie in den Koffer legte, während Frau Kowalski die ersten Kleidungsstücken aus dem Schrank holte. Mein Blick ging zurück zu meinem Tagebuch in der Nachttischschublade. Irgendetwas war daran komisch. Aber was?

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt