Kapitel 81

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Luca humpelte auf seinen beiden Armstützen in Richtung Wohnungstür. Ich trug seine Reisetasche und lief hinter ihm her. Endlich hatte ich ihn aus dem Krankenhaus abholen können. Die letzten drei Tage waren mir unendlich vorgekommen. „Uih, was ist denn das?" Er blieb stehen und drehte sich grinsend zu mir um. „Da haben Espie und ich gestern Abend noch gebastelt." Ja, wir hatten es uns nicht nehmen lassen, ein Willkommen-Zuhause-Schild zu basteln und an die Tür zu hängen. „Danke!" Luca stützte sich auf seinen Gehhilfen ab und beugte sich leicht zu mir, um mir einen Kuss auf meine Lippen zu drücken. Manno, fühlte sich das gut an. Das war nämlich auch etwas, was ich unglaublich vermisst hatte in den letzten Tagen. Da gab es ja nur einen Begrüßungs- und einen Abschiedskuss. Auch wenn Luca ein Einzelzimmer gehabt hatte, wussten wir doch, was sich in einem Krankenhaus gehörte.....und das war mit Sicherheit keine wilde Knutschorgie, ganz abgesehen davon, dass wir dort so gut wie nie alleine waren. Ja, die Familie Goretzka hatte beschlossen, dass Luca ständig jemand um sich haben sollte, der ihn bespaßte. Deshalb hatten sich Lucy, Leon und Lisa rhythmisch abgewechselt. Aber das würde ja jetzt ein Ende haben und wir würden endlich einmal wieder etwas Zeit nur für uns haben. Ich hatte mir auch die nächsten paar Tage frei genommen, damit ich mich ganz und gar um Luca kümmern und ihn verwöhnen konnte. „Weißt du, auf was ich mich am meisten freue?"„Wahrscheinlich auf meine genialen Kochkünste." Ich betonte das Genia in genial besonders. Wenn man schon so einen extravaganten Namen hatte, musste man ihn doch auch mal ins Spiel bringen. „Und dass du nicht mehr diesen Schlangenfraß vorgesetzt bekommst?", vermutete ich, denn Luca hatte sich jeden einzelnen Tag im Krankenhaus über das Essen beschwert. Ich musste mir ein Schmunzeln verkneifen, denn in unserem Ofen wartete schon eine Lasagne, die ich extra für ihn vorbereitet hatte. „Das auch", grinste er breit. „Aber noch mehr freue ich mich, dass ich meine beiden Spatzln wieder ganz für mich habe. Und auf so einiges anderes mit meinem einen Spatzl auch noch." Mir war schon klar, was dieses freche Zwinkern zu bedeuten hatte. „Du bist immer noch schwer verletzt." Ich zuckte bedauernd mit den Schultern und musste mich wirklich zusammenreißen, nicht laut los zu lachen, bei der enttäuschten Flappe, die gleich in Lucas Gesicht auftauchte. „So schwer bin ich gar nicht verletzt. Das ist quasi schon fast verheilt", kam dann auch prompt die schmollende Antwort. „Ach, dann hast du die Gehhilfen nur zur Zierde, um Mitleid zu schinden und damit ich deine Tasche trage?" Luca fing an zu schmunzeln. „Ja, so in etwa. Und außerdem bin ich mir ganz sicher, dass wir schon eine Möglichkeit finden werden, bei der mein Bein nicht zu stark belastet wird." Da war ich mir auch ziemlich sicher. Gerade als ich den Schlüssel in das Schloss steckte, wurde von innen die Tür aufgerissen. „Herzlich willkommen!" Scholl es uns mehrstimmig entgegen. Verflucht, wo kamen denn Lisa, Lucy und Leon her? Klar, wusste ich, dass sie Schlüssel für die Wohnung hatten, aber das war doch so überhaupt nicht abgesprochen. Ich schaute zu Luca, der nicht weniger überrascht schien. „Luda!" Zwischen den dreien drängelte sich meine kleine Tochter durch und sie hüpfte auf uns zu. Auf ihrem Kopf thronte ein Krönchen mit einem roten Kreuz und um ihren Hals baumelte ein Stethoskop, während sie in ihrer kleinen Hand ein rotes Plastiköfferchen mit einem weißen Kreuz hielt. „Ja, Spatzl!" Mein Freund beugte sich zu ihr hinunter so gut es seine körperliche Verfassung zuließ und drückte ihr einen Kuss auf ihr blondes Haar. „Wie kommst du denn hierher?" Ich hockte mich zu meiner Tochter und bekam auch einen Begrüßungskuss. „Lusy abholt. Is Luda Tantenswesta." Ich schaute zu meiner Freundin. „Ich dachte sie gehört auf alle Fälle zum Begrüßungskomitee." „Na wie gut, dass ich dich für Notfälle in der Kita angegeben habe." Auch wenn das nicht wirklich gerade ein Notfall war. Aber so wie meine Kleine strahlte, war es dann doch okay. „Wo hast du denn deine tollen Krankenschwesterutensilien her?" Obwohl eigentlich erübrigte sich die Frage. Wahrscheinlich hatte Lucy mit ihr auch noch einen Abstecher in einen Spielzeugladen gemacht. Sie verwöhnte ihr Patenkind ja zu gerne. „Hat Opa mis tauft", grinste meine Tochter mich breit an. Bei dem Wort Opa zuckte ich förmlich zusammen. Sie hatte ja keinen Opa. Nein, mein Vater wusste ja nicht einmal, dass er Opa war. Obwohl, nein das stimmte nicht. Er wusste ja, dass es Carmen gab, schließlich hatte er geholfen sie mir wegzunehmen. Aber er wusste nicht, dass er bereits zweimal Opa war. Dieser Gedanke schmerzte mich immer mehr, je älter mein kleiner Sonnenschein wurde. Ich konnte ihr weder einen Vater noch Großeltern bieten. „Ja, so eine Krankenschwester muss ja auch richtig ausgerüstet sein, damit sie unseren Patienten richtig versorgen kann." Leon war hinter meiner Tochter aufgetaucht und hatte ihr liebevoll seine Hand auf die Schulter gelegt. Diese Geste traf mich total unvorbereitet, denn ich hatte gedacht, dass sein Verhalten ihr gegenüber nur dem Schock geschuldet war, dass sein Sohn wegen des Unfalls im Krankenhaus gelandet war. So wie es gerade aussah, war dem aber nicht so. Ich spürte, wie ich fest schlucken musste, damit sich keine Träne auf den Weg machte. So schön ich das auch fand, machte es mir auch klar, wie sehr ich mir wünschte, dass mein Vater so neben meiner Tochter stand. Aber das würde nie passieren. „Jetzt lasst uns erst einmal rein, damit ich mich auf das Sofa setzen und das Bein hoch legen kann." Luca humpelte an mir vorbei. „Gib mal her, die nehme ich." Leon schnappte sich die Reisetasche, die ich immer noch in meinen Händen hielt und schob mich auch in Richtung Wohnzimmer. Ich schnuffelte in die Luft. Hier roch es nach Essen. Aber nicht nach meiner Lasagne. „Ich habe uns einen schönen Schweinsbraten in die Röhre geschoben. Den magst du doch so gerne." Lisa strich ihrem Sohn liebevoll über den Rücken und ich fragte mich, was aus meiner Lasagne geworden war. Scheinbar konnte Lisa Gedanken lesen. „Deinen Auflauf habe ich in den Kühlschrank getan. Dann musst du morgen nicht gleich wieder kochen."  Okay, das war wirklich nett gedacht, aber......aber irgendwie fühlte ich mich gerade ziemlich übergangen. „Setz dich mal zu Luca. Wir kümmern uns schon um alles." Lucy drückte mich auf das Sofa neben ihrem Bruder, der sofort seinen Arm um meine Schulter legte und mich an sich zog. „Irgendwann werden sie auch müde und gehen, dann haben wir unsere Ruhe. Oder soll ich sie rausschmeißen?", raunte er mir zu. Ich schüttelte schnell den Kopf. Um Gottes Willen, ich war ja zufrieden, dass keine dicke Luft mehr zwischen seiner Familie und uns herrschte. Trotzdem musste ich mich wohl erst noch an die Übergriffigkeit der Familie Goretzka gewöhnen, die mich mittlerweile mit einbezog.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt