Kapitel 82

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„Weißt du, wie ich das die letzten drei Tage vermisst habe?" Luca  malte kleine Kreise auf meinen Oberarm, den ich über seine Brust gelegt hatte, „Du hast den Sex vermisst?", fragte ich gespielt schockiert. „Und ich dachte eigentlich die Oberschwester hätte sich schon bereitwillig um dich gekümmert. Oder eine Schwesternschülerin. Ist das nicht immer eine von den Sexfantasien von euch Männern? Sex mit einer Krankenschwester in einem knappen Röckchen?" Luca prustete lachend los. „Hast du dir den Drachen von Oberschwester mal angeschaut? Vor der stehen selbst die Ärzte stramm." „Siehst du, also ist doch etwas dran, wenn sogar die Ärzte stramm stehen", kicherte ich und betonte das stramm stehen besonders. „Veralberst du mich gerade, du kleines Biest!" Lucas Hände begannen mich zu kitzeln und ich musste mich konzentrieren, um nicht laut loszulachen. So unbeschwert mit einem Mann im Bett zu sein, war schön. Es gab einmal eine Zeit in meinem Leben, da gab es beim Sex nicht viel zu lachen....

„So, los, nun beweg dich mal ein bisschen." Carlo schob mich in eine Wohnung. Er hatte dort geklingelt und eine Frau in meinem Alter, die in ähnlichen Klamotten steckte, hatte uns geöffnet. In dem Flur dieser Wohnung schaute ich mich um. Das war....alles irgendwie .....keine Ahnung. Auf alle Fälle war es für eine Party hier ziemlich still. „Hey, ich bin Severin." Sie knautschte wenig ladylike auf einem Kaugummi herum. „Ähm Marlen", stellte ich mich ihr auch vor. „Carlo hat schon gesagt, dass du kommst. Dann bleibt die ganze Arbeit wenigstens nicht mehr an mir alleine hängen." „Halt die Klappe Severin". fuhr Carlo sie sauer an und sie zuckte erschrocken zusammen. Was war denn das? So kannte ich Carlo gar nicht. Zu mir war er immer sehr zuvorkommend und nett gewesen. Und von was redete diese Severin bitte? Welche Arbeit meinte sie? „Sieh zu, dass du in dein Zimmer kommst und dich ein bisschen frisch machst, der nächste Kunde kommt in zehn Minuten. Wir haben hier schließlich auch gewisse Standards."  Jetzt verstand ich noch weniger. Was meinte Carlo mit Standards und Kunden? Ehe ich weiter grübeln konnte, packte er mich schon wieder am Oberarm und schob mich weiter durch den Flur zu einer Tür, die er öffnete. „So, das ist ab heute dein Reich. Eigentlich wollte ich dich ja noch etwas länger für mich behalten, aber Luisa, die alte Schlampe, hat einfach die Fliege gemacht." Ich schaute mich in dem Zimmer um, das nur aus einem runden Bett in der Mitte des Raumes bestand und über dem ein Spiegel an der Decke angebracht war.  Carlo ließ seine Fingerknöchel knacken und zuckte mit den Schultern. „Also wirst du jetzt ihren Job machen, denn wenn ich sie erwische, wird sie dazu sowieso nie wieder in der Lage sein." Bei seinen Worten lief mir ein Schauer über den Rücken, auch wenn ich nicht genau wusste, was sie zu bedeuten hatten, bekam ich doch so langsam eine Ahnung, wovon er redete. Wenn ich diese Worte dann mit dieser Wohnung und meiner Kleidung addierte, kam ich zu einem eindeutigen Ergebnis. Dafür brauchte es nicht einmal meinen Mathe Master. Carlo war nicht wirklich Geschäftsmann. Er war Zuhälter und ich....ich war ihm in die Falle gegangen. Verfluchter Mist, was sollte ich jetzt bloß machen?

Das war sozusagen der Anfang vom Ende. Noch heute fragte ich mich, wie ich jemals so tief sinken konnte. „Warum bist du auf einmal so nachdenklich?" Luca hatte wirklich eine feine Antenne, dass er so etwas gleich spürte. „Ach, ich habe nur an früher gedacht." Das war ja nicht gelogen und ich musste ihm ja nicht gleich meine ganzen Gedanken auf die Nase binden. „Du warst heute den ganzen Tag schon so nachdenklich. Immer wenn mein Dad sich mit der Kleinen beschäftigt hat. Wenn sie ihn immer Opa genannt hat, bist du förmlich zusammen gezuckt. Willst du nicht, dass sie ihn so nennt? Dann müssen wir mit den beiden reden." Ja, Luca hatte recht, jedes Mal, wenn Espie Leon Opa genannt und er dabei breit gegrinst hatte, war es mir durch und durch gegangen. „Nein, das ist schon okay. Eigentlich sollte ich mich ja darüber freuen." „Aber?" Luca hatte seinen Blick auf mich fixiert und musterte genau jede meiner Regungen. „Aber...." Ich zuckte mit den Schultern. „Aber eigentlich ist er nicht ihr richtiger Opa." Okay, jetzt war es raus. Und wahrscheinlich verletzte ich Luca damit, weil es ja auch gleichzeitig deutlich machte, dass er nicht Espies richtiger Vater war. Manno, warum konnte ich nicht einfach meine Klappe halten? „Du vermisst deinen Vater sehr,  oder?" Wie, er war nicht einmal im Ansatz beleidigt sondern zog gleich die richtigen Schlüsse aus diesem blöden Satz von mir. Manchmal fragte ich mich echt, womit ich diesen wundervollen Mann verdient hatte und wie ein Mann in seinem Alter schon so weitsichtig und gleichzeitig feinfühlig sein konnte. „Ja, gerade in solchen Situationen wie heute wird mir bewusst, dass er eigentlich da sein sollte und mit seiner Enkeltochter so herumschäkern wie es dein Vater heute getan hat."  Leon hatte sich wirklich extrem viel mit Espie beschäftigt und sie ständig zum Lachen gebracht. „Warum nimmst du nicht einfach Kontakt zu ihm auf?" Okay, vielleicht war Luca doch nicht weitsichtig. „Weil er damals meiner Mutter zur Seite gestanden hat, als sie mich aus dem Haus gejagt hat und sich niemals bei mir gemeldet hat. Er hätte sich auf meine Seite stellen müssen. Schließlich bin ich doch seine Tochter." Die letzten Worte hatte ich wie ein trotziger Teenager ausgespuckt. Außerdem hatte er mir auch nicht mit meiner kleinen Carmen geholfen. Ich spürte wie immer mehr Wut in mir hoch kochte.  „Warum sollte ich mich also bei ihm melden?" Luca zuckte mit den Schultern. „Ganz einfach, weil du ihn vermisst. Und weil der Klügere nachgibt." Ich stieß nur ein Brummen aus und verzog mein Gesicht. „Er ist aber Professor und ich bin nur Master. Also ist er der Klügere." Luca zog mich grinsend an sich und drückte einen Kuss auf mein Haar. „Manchmal kannst du ganz schön stur sein. Außerdem sagt ein Titel nichts über die wahre und schon gar nicht über die emotionale Intelligenz eines Menschen aus." Da hatte er auch wieder recht. Trotzdem würde ich da nicht über meinen Schatten springen können. Auch wenn sich mein Herz trotz allem danach sehnte meinen Papa wiederzusehen, müsste der erste Schritt schon von ihm kommen. Aber das war in den letzten fast vierzehn Jahren nicht passiert. Also brauchte ich auch nicht mehr darauf zu hoffen.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt