Kapitel 123

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„Und deine Tochter......sie....sie ist aber nicht auf der Straße..." Paula brach mitten im Satz ab. „Manno, ich hätte für dich da sein müssen und dich da rausholen. Damals hätte mir schon auffallen müssen, dass du Hilfe brauchst. Ich hätte dich zu einem Entzug zwingen müssen, anstatt dich vor die Wahl zu stellen." „Also erstens, nein Espie ist nicht auf der Straße geboren. Glücklicherweise habe ich noch vorher die Kurve gekratzt. Und zweitens...." Ich verzog mein Gesicht und schüttelte leicht den Kopf. „Ich bezweifele, dass ich mich damals darauf eingelassen hätte. Ich steckte da schon viel zu sehr drin. Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass das wohl alles mehr oder weniger damit zusammenhing, dass sie mir Carmen weggenommen haben und ich mich vielleicht auch selbst etwas bestrafen wollte und nicht nur meine Eltern." Ja, das war mir in ein paar Gesprächen, die ich mit einem Psychologen geführt hatte, klar geworden. Ich hatte mir immer eine Mitschuld gegeben, dass ich nicht besser auf mein kleines Mädchen aufgepasst hatte. Wäre ich nach der Geburt nicht eingeschlafen, hätte meine Mutter sie nicht einfach verschwinden lassen können. Ich hatte als Mutter einfach versagt und deshalb hatte ich nicht nur meine Eltern versucht durch mein Verhalten  zu bestrafen, sondern vor allem auch mich selbst. Ja, wenn ich ehrlich war, hatte mich dieses ganze Modellbusiness nicht wirklich interessiert. Ich hatte nie wirklich Freude daran mich in irgendeiner Zeitung oder auf irgendeinem Plakat zu sehen. Und wenn ich ganz ehrlich war, hatte ich auch nie Spaß an diesen blöden Partys gehabt, sondern mich eher dorthin gequält. Das war ja schließlich auch der Grund, warum ich selbst zu diesen blöden Pillen gegriffen hatte. Nein, ich hatte allen nur diese rosarote Welt vorgegaukelt. Und der Grund dafür war Carmen. Ich hatte einfach nicht aufhören können mir an allem unterbewusst die Schuld zu geben und das dann darin verkleidet, dass ich das Geld für ihre Suche nur auf diesen Weg zusammenbekam. Aus heutiger Sicht war das totaler Blödsinn. Hätte ich eine Karriere in der Wirtschaft angestrebt, hätte ich von der finanziellen Seite her weitaus seriöser nach meiner kleinen Tochter suchen können. „Das hätte mir als deine beste Freundin auffallen müssen." Paula schaute mich schuldbewusst an. Aus einem Impuls heraus griff ich nach ihrer Hand und schaute sie an. „Wie hätte dir etwas auffallen sollen, was mir selbst nicht einmal klar war zu dem Zeitpunkt?" „Ich war deine beste Freundin. Ich hätte dir helfen müssen, aber ich hatte die Kinder und bei Paul im Job..." Sie brach ab und schüttelte den Kopf. „Das sind doch nur Ausflüchte. Ich hätte dir helfen müssen und Punkt." „Dazu hätte ich überhaupt erst einmal bereit sein müssen Hilfe anzunehmen und ich hätte Einsicht in meine Probleme haben müssen. Jetzt erzähl mir lieber, wie es euch ergangen ist." Ja, ein Themenwechsel konnte mal nicht schaden. „Na ja, Paul ist Oberstaatsanwalt geworden und ich habe eine eigene Kanzlei als Steuerberaterin. Julia geht auf das Gymnasium und Henry....." Sie zuckte mit den Schultern. „Der ist in der Schule genauso eine faule Socke wie mein Bruder früher. Nur, dass er nicht an der Konsole sondern an seinem Tablett zockt." Paula räusperte sich. „Ich muss mich auch noch einmal bei dir bedanken, dass du Julia gerettet hast." Sie fuhr sich mit ihrer Hand durch das Gesicht. „Ich hatte solche Angst, dass ich sie nie wieder sehe." Das Gefühl konnte ich gut nachvollziehen. „Sie sollte doch nur in dem abgesperrten Bereich schnorcheln, während wir das Essen holen waren. Klar ist sie eine gute Schwimmerin. Sie ist ja im Verein, aber...." Ich spürte Paulas Panik immer noch. „Ich hätte mir das niemals verzeihen können. Ich weiß gar nicht, wie wir dir das jemals danken können." „Das war doch mein Job als Patentante", zwinkerte ich ihr zu. „Und manche Dinge passieren halt nicht ohne Grund." Ja, da war ich mir mittlerweile sicher. Nichts passierte einfach nur so. Hinter allem steckte ein tieferer Sinn, auch wenn ich es nicht gleich den Fingerzeig Gottes nennen wollte. Soweit war ich dann doch nicht. „Wie alt ist deine kleine Maus eigentlich?" „Espie wird nächsten Monat drei." „Wow, dann bist du also seit drei Jahren wieder da raus?" Ich nickte. „Ja, ich habe noch vor der Geburt wieder festen Boden unter die Füße bekommen. Ich arbeite momentan noch als Übersetzerin, aber....." Ich war mir nicht sicher, ob ich Paula von meinem Plan erzählen sollte. Vielleicht hielt sie mich dann wieder für flatterhaft.  „Bist du wieder schwanger?" Paulas Augen fingen fast an zu leuchten. Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin nur schwanger mit einer Idee. Ich will eine Stiftung für minderjährige Mütter gründen." Ihr Blick war nachdenklich. „Okay, das ist naheliegend, aber verdient man so viel als Übersetzer?" Ich schüttelte den Kopf „Nein, das Geld dafür kommt woanders her, aber das ist eine zu lange Geschichte." Ich sah ihren skeptischen Blick. „Keine Angst, es ist legal." Paula drehte an ihrem Ohrring, wie sie es immer tat, wenn sie etwas belastete, sie aber nicht so recht weiter wusste. „Mir hätte damals nach dem Unfall und der Vergewaltigung klar sein müssen, dass da etwas bei dir total schief läuft." Ich winkte ab. „Das ist doch egal. So wie es gekommen ist, ist es doch auch okay. Ich bin mit meinem neuen Leben jetzt glücklich. Ich habe tolle Freunde gefunden, den besten Mann an meiner Seite, den ich mir wünschen kann, und meine kleine Tochter ist mein allergrößter Schatz." Wieder sah mich Paula an, als hätte ich sie geohrfeigt. „Dann willst du mich bestimmt nicht mehr als Freundin." Mein Blick fixierte sie und ich versuchte ein nachdenkliches Gesicht zu machen. Mit meinem Zeigefinger klopfte ich an mein Kinn. „Also jetzt, wo du das gerade ansprichst......irgendwie fehlt mir noch eine allerbeste Freundin, mit der ich durch dick und dünn gehen kann." Paula boxte mich gegen meinen Oberarm. „Du dusselige Kuh, ich dachte schon du überlegst wie du mir klar machen kannst, dass ich keinen Platz mehr in deinem Leben habe." Keine Ahnung, wer den ersten Schritt machte, aber irgendwie fanden wir uns in einer Umarmung wieder. Und ich genoss es. Ja, die Umarmung fühlte sich gewohnt an und schloss einen Riss in meinem Herzen, der Paulas Namen trug. Jetzt war da nur noch ein Riss, der heilen musste. Aber ich bezweifelte, dass das jemals passieren würde. Der Riss von Carmen würde dort ewig bleiben.

Schuss und Treffer - zum Comeback    ✔️    Teil 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt